Auswandern zum Wohl der Heimat

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Bettina Rühl

Die Händler von Koniakary profitieren vom Verdienst ihrer Landsleute im Ausland. Mit deren Geld wurden die Markthallen errichtet.

Mali
Koniakary in Mali kann auf seine Emigranten zählen: Sie sorgen dafür, dass sauberes Wasser aus dem Brunnen kommt und die Schule allen Kindern Platz bietet. Doch all das will gut organisiert sein.

Nachts liegt Bassirou Bane manchmal wach. Dabei läuft es in seinem Leben eigentlich rund: Bane, Anfang 60, ist ein erfolgreicher Händler in Koniakary, einer Kommune im äußersten Westen von Mali. Seit 1999 ist er dort Bürgermeister, schon drei Mal wurde er wiedergewählt. Wenn er durch Koniakarys quirlige Straßen geht, grüßen ihn die Menschen mit Wärme und Respekt. Was ihm bisweilen den Schlaf raubt, sind die Bilder von überfüllten und kaum seetüchtigen Booten auf dem Mittelmeer, die ihm der Fernseher abends ins Wohnzimmer bringt. „Ich finde es schockierend zu sehen, wie sich junge Menschen in diese Schlauchboote quetschen und ihr Leben bei der Überfahrt riskieren“, sagt Bane. Jedes Mal sucht er die Gesichter nach Bekannten ab. Bisher waren keine dabei.

Koniakary mit seinen 15.000 Einwohnern gehört zu den Kommunen in Mali, aus denen besonders viele Menschen auf der Suche nach Arbeit ins Ausland gehen. Das gilt seit Generationen für die gesamte Region im Westen des Landes rund um die Provinzmetropole Kayes. Die Gegend an der Grenze zum Senegal lebt von der Landwirtschaft, aber die Böden sind karg und geben nicht viel her. Deshalb müssen die Familien in der Trockenzeit dazuverdienen. „Früher gingen die Männer jedes Jahr für ein paar Monate in die Nachbarländer“, erzählt Bane, ein schlanker Mann mit aufmerksamem Blick. „Zur Regenzeit kamen sie aus dem Senegal oder der Elfenbeinküste zurück und halfen hier bei der Ernte.“ Anschließend zogen sie wieder los, bis der nächste Regen kam. Früher blieben die Arbeitsmigranten nicht für Jahre, sondern für drei bis fünf Monate im Ausland.

Mit dem Beginn der Erdöl- und Mineralienförderung in Afrika wurden auch zentralafrikanische Staaten für die Malier attraktiv. Sie gingen nach Gabun, in die Demokratische Republik Kongo oder nach Angola. „Vor allem in Zentralafrika haben die Menschen aus unserer Gegend als Händler ein Vermögen verdient“, sagt Bane. Den Großteil ihres Verdienstes schickten sie nach zu Hause zurück. Von Europa habe damals kaum jemand geträumt. Das Glück lag näher und war einfacher zu haben. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert: Laut Banes Schätzungen arbeitet ein Viertel der Dorfbewohner im Ausland, nur fünf Prozent davon in Europa. Die Vorteile der Emigration in afrikanische Staaten liegen für ihn auf der Hand: Die Verdienstmöglichkeiten seien gut, die kulturelle Umstellung gelinge leicht, und der Weg sei nicht so gefährlich.

Die Risiken einer Überfahrt über das Mittelmeer sprechen sich mehr und mehr herum. „Nach jedem Bootsunglück hören wir die gleichen Sonntagsreden von Politikern, die solche Dramen angeblich stoppen wollen“, erregt sich Bane. „Aber von dem Geld, das Europa seit Monaten verspricht, sehen wir hier vor Ort bisher nichts.“ Das ärgert ihn, doch ein Gegner der Migration ist er nicht. Die Arbeitssuche im Ausland sei „eine komplexe Angelegenheit“, sagt der Bürgermeister. „Für unsere Gemeinde und viele Familien wäre das Ende der Migration die reine Katastrophe.“ Um zu zeigen was er meint, lädt er zu einem Rundgang ein.

Die Tour beginnt im Rathaus. Das wurde schon 1978 gebaut, damals noch als Außenstelle des Standesamtes von Kayes, „weil wir es leid waren, für jedes Dokument stundenlang fahren zu müssen“. Und weil die malische Regierung keine Anstalten machte, sich um die Anliegen ihrer Bürger zu kümmern, nahm die Bevölkerung von Koniakary ihre Geschicke Anfang der 1970er Jahre selbst in die Hand, enttäuscht von der jungen Demokratie. 1972 nahmen die Dorfältesten Kontakt mit denen auf, die ihr Geld im Ausland verdienten, damals noch ausschließlich in afrikanischen Ländern. So begann eine Entwicklungszusammenarbeit, die bis heute anhält: Die Migranten schicken das Geld, die Bevölkerung von Koniakary macht etwas daraus – zum Wohl der Gemeinschaft.

Bane führt zum Gesundheitszentrum, das Migranten und Ansässige als erstes gemeinsam in Angriff genommen hatten. Zur Einweihung in Koniakary kam sogar die First Lady des damaligen Präsidenten Moussa Traoré, denn in der ganzen Region habe es nichts Vergleichbares gegeben, meint Bassirou Bane. „Bezahlt haben das alles unsere Migranten“, sagt Demba Bane stolz, der in einem grünen Kittel dazugekommen ist. Er ist der Vorsitzende des Vereins, der das Gesundheitszentrum verwaltet. Demba Bane war selbst Emigrant: Er hat in Gabun als Händler jahrzehntelang viel Geld verdient und seine Heimatgemeinde von dort aus finanziell unterstützt.

Vereine sorgen dafür, dass das Geld gut verwendet wird

Die „Koniakarois“ haben sich in Gabun zu einem Verein zusammengeschlossen, jedes Mitglied zahlt im Monat 2000 westafrikanische Francs, umgerechnet rund drei Euro. Der Verein hatte in seinen besten Zeiten Mitte der 1990er Jahre 150 Mitglieder, da kam jeden Monat einiges an Geld zusammen. Die aktuelle Zahl kennt Bane nicht, sie liegt aber seiner Schätzung nach nicht viel darunter. Ähnliche Vereine existieren in anderen afrikanischen und europäischen Ländern. Das Geld liegt für die Belange des Dorfes bereit. Abgerufen wird es, wenn der Bürgermeister anruft und berichtet, dass die Schule neue Klassenzimmer braucht. Oder das Dach nicht mehr dicht ist. Oder dass die Wasserversorgung nicht mehr ausreicht.

Bei ihrem nächsten monatlichen Treffen beraten die „Koniakarois“ im afrikanischen und europäischen Ausland über den „Projektantrag“ aus der Heimat, stellen Nachfragen und schicken dann in aller Regel Geld. In Koniakary hat sich die Bevölkerung ebenfalls in Vereinen („associations“) organisiert. So gibt es Zusammenschlüsse der Jugend, der Frauen und verschiedener Gewerbe. Mit Hilfe dieser Vereinsstrukturen wird das Geld aus dem Ausland in der Heimatkommune umgesetzt: Entsprechend ihrer praktischen Fähigkeiten leisten die Vereinsmitglieder die Arbeit.

Die Abgaben für die Gemeinschaft sind nur ein Teil dessen, was die Arbeitsmigranten für ihr Heimatdorf tun. Sie schicken außerdem Geld an ihre Familien – für regelmäßige Ausgaben wie die Schulgebühren der Kinder, die Strom- und Wasserrechnung oder für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Beerdigungen, Hochzeiten und die Reparatur eines Autos. Manchmal zahlten sie auch die Flugtickets derer, die im Ausland keinen Erfolg hatten und wieder nach Hause wollten, erzählt Demba Bane.

Wie groß der Anteil seiner Einnahmen war, den er nach Hause geschickt hat, kann Bane nicht sagen. Das sei von Monat zu Monat anders gewesen. „Ich habe nur darauf geachtet, dass ich immer genug Geld zurückbehalte, um selbst leben und in meinen Handel investieren zu können.“ Vor gut acht Jahren kam er nach Koniakary zurück. Inzwischen arbeiten bereits einige seiner Kinder im Ausland: drei in der Elfenbeinküste und im Kongo, die drei jüngeren gehen in Koniakary noch in die Schule. Demba Bane bestellt seit seiner Rückkehr wieder seinen Acker und verwaltet ehrenamtlich das Gesundheitszentrum.

Der Gemüsegarten verhilft zu einem guten Leben

Bürgermeister Bassirou Bane treibt weiter, er möchte noch vieles zeigen: den Kindergarten, die Markthallen, das kommunale Radio und zusätzliche Klassenräume. Während einige Bauten ausschließlich von den Migranten bezahlt wurden, überwiesen sie in anderen Fällen den Eigenbeitrag, den die Kommune leisten musste, um Geld von einer internationalen Hilfsorganisation oder staatliche Fördermittel zu erhalten. Seit gut zehn Jahren spielt auch ihre französische Partnerstadt Villetaneuse eine wichtige Rolle, Jahr für Jahr verwirklicht sie gemeinsam mit Koniakary ein Projekt.

Dass die Partnerschaft zwischen der Stadt nördlich von Paris und Koniakary so lebendig ist, liegt laut Bürgermeister Bane an den afrikanischen Emigranten in Frankreich. „Wir könnten zwar einzelne Projekte auf den Weg bringen, aber wenn sich in Frankreich niemand um Kontakte kümmert, ist die Zusammenarbeit nicht sehr produktiv.“ Dank der französisch-malischen Partnerschaft wurde 2009 beispielsweise ein Gemüsegarten für die Frauen angelegt. Wenn die Sonne am späten Nachmittag nicht mehr so heiß brennt, drängen sich dort Frauen und Kinder um die Gemeinschaftsbrunnen.

Fatmata Touré hat gerade wieder einen Eimer gefüllt und ist auf dem Weg zu ihren Parzellen. Sie habe 15 davon gepachtet, pro Stück beträgt die Pacht in der Saison 250 afrikanische Francs, knapp 40 Eurocent. Das Stückchen Land misst etwa 1,50 mal 1,50 Meter. Wer pachten möchte, wendet sich an das Komitee des Ortes, das den Gemüsegarten verwaltet. Fatmata Touré baut derzeit Süßkartoffeln und Minze an. Davor hatte sie Salat gepflanzt, aber die Saison dafür ist vorbei. Von dem, was sie durch den Verkauf des Gemüses verdient, kann sie die Ausgaben für ihre Kinder begleichen. Ein Fortschritt, denn bis es den Garten mit den Brunnen gab, konnte sie nur in der Regenzeit Gemüse anbauen und verkaufen. „Seit ich diesen Garten habe, geht es mir und meinen Kindern gut.“

Stolz ist Bürgermeister Bane auch auf ein Projekt aus den Zuwendungen der Emigranten, mit dem Einzelne in Koniakary eine landwirtschaftliche Grundausstattung bekommen können. „Wir wollen damit vor allem junge Leute erreichen, damit nicht alle ins Ausland gehen“, sagt er. Bashirou Touré  hat ein solches „Landwirtschaftskit“ bekommen: einen Esel, einen Karren, eine Sämaschine, einen Pflug und zwei Zugochsen. Das Gesamtpaket hat laut Bane einen Wert von umgerechnet 2000 Euro. Die müssen zurückgezahlt werden, damit der Nächste davon profitieren kann.

Autorin

Bettina Rühl

ist freie Journalistin in Nairobi, Kenia. Sie arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk, den WDR und den Evangelischen Pressedienst (epd).
Über die Vergabe entscheidet ein Komitee. Dass Bashirou Touré trotz seiner 49 Jahre bei einem Projekt „für die Jugend“ berücksichtigt wurde, ist nur aus deutscher Perspektive erstaunlich: In Westafrika zählt man bis zum 50. Geburtstag zu den „Jeunes“, den „Jungen“. Touré räumt ein, dass er selbst nie ins Ausland gehen wollte. „Einige bleiben zu Hause,  kümmern sich um den Besitz der Familie und versuchen natürlich, hier auch etwas Geld zu verdienen.“ Als Gegenwert für das „Landwirtschaftskit“ müssen die Empfänger nicht nur zahlen, sondern auch gewissenhaft ihre Bürgerpflichten erfüllen: Sie müssen Steuern entrichten, Schwangere müssen alle Vorsorgeuntersuchungen machen und sicherstellen, dass ihre Kinder eine Geburtsurkunde bekommen. Außerdem muss jeder Empfänger des Kits einen Baum pflanzen, damit die Aufforstung Fortschritte macht.

Obwohl es langsam dunkel wird, will Bassirou Bane eine Sache noch unbedingt zeigen. Er führt in die Pumpstation, seit 1988 das Herz der Wasserversorgung von Koniakary. 2017 haben die „Koniakarois“ ihr Leitungssystem erweitert und Solarpaneele gekauft. Bis jetzt liefen die Pumpen mit Generatoren, „aber das war unglaublich teuer, zumal die Kosten für Diesel in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind“, erklärt Bane. Nun hat die Kommune ein Hybridsystem. Nachts beziehen die Pumpen den Strom aus Generatoren, tagsüber aus Sonnenenergie. Das System stammt von der deutschen Firma Lorentz.

Die Solarpaneele wurden nicht mit einer Spende der Emi­granten angeschafft, sondern mit Hilfe eines Kredits. Immerhin geht es bei dem Gesamtprojekt um rund 20.000 Euro. Gut die Hälfte davon hat sich der Ort von seinen „Ausländern“ geliehen, den Rest hat ein Zusammenschluss französischer Kommunen namens „Pleine Commune“ spendiert. Außerdem hat die Kommune zwei weitere Brunnen gegraben und dafür jeweils eine Pumpe gekauft. Die Erweiterung wurde nötig, weil Koniakary in den vergangenen Jahren fast auf die doppelte Größe gewachsen ist.

Bane kann sich nicht vorstellen, wo der Ort ohne die Überweisungen seiner Emigranten stünde. Er selbst kommt allerdings ohne Unterstützung aus dem Ausland bestens klar: Schon sein Vater hat Koniakary nie verlassen und vor Ort als Händler ein Vermögen verdient. Sein Geld und sein Talent hat er Bane vererbt, wohl auch zum Nutzen der Gemeinde. Denn dass ihr Bürgermeister zupackend und vorausschauend ist und dabei offensichtlich gut mit Geld umgehen kann, trägt zum relativen Wohlstand des Ortes sicherlich bei.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2018: Diaspora: Zu Hause in zwei Ländern
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