Sexuelle Gewalt als Waffe

epd-bild/Bettina Rühl

Die 16-jährige Kongolesin Felista wurde nach der Vergewaltigung durch einen Soldaten schwanger und hat vor zwei Monaten ihren Sohn Ajuwa geboren.

Kongo
Frauen werden in der Demokratischen Republik Kongo systematisch vergewaltigt. Die Justiz lässt sie im Stich, ohne Geld oder Unterstützung von Helfern passiert gar nichts. Die 16-jährige Félista ließ nicht locker, brachte ihren Vergewaltiger vor Gericht.

In Félistas Blick schleicht sich immer noch leichte Überraschung, wenn sie auf den Säugling schaut, den sie im Arm hält. Dabei geht die junge kongolesische Mutter liebevoll mit ihrem Sohn Ajuwa um, der gerade etwas jammert und offensichtlich unzufrieden ist. Félista ist selbst noch ein halbes Kind, sie ist gerade 16 geworden, und nun schon seit zwei Monaten Mutter. "Ich war auf dem Rückweg von der Schule", sagt sie leise und mit einer hellen Stimme, die fast kindlich wirkt. Ihre Sätze sind kurz, nach jedem macht sie eine Pause. Als müsse sie Mut schöpfen für den nächsten.

Auf dem Rückweg von der Schule vergewaltigt

Dabei guckt sie immer wieder zu Juliette Mapendo, die zur katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (CDJP) gehört. Deren Mitglieder kämpfen in der Demokratischen Republik Kongo für Menschenrechte, unterstützen Frauen wie Félista. "Mir kam ein Soldat entgegen." Pause. "Er hat mich zwischen die Bäume am Wegrand gezerrt. Er hat mir Gewalt angetan. Nachdem er fertig war, hat er gesagt, dass ich abhauen soll." Weinend suchte Félista ihre Kleidung zusammen und machte sich langsam auf den Heimweg, jeder Schritt schmerzte.

Sie lebt bei ihrer älteren Schwester in einem Dorf etwa 30 Kilometer von Bukavu entfernt, der Hauptstadt der Provinz Südkivu im Osten des Landes. Félista ist es sichtlich unangenehm, über ihre Geschichte zu sprechen, aber sie weiß auch, dass sie in diesem Rahmen offen reden kann. Außer Mapendo hört auch Nene Bintu Iraqi zu, die Anwältin ist ebenfalls Mitglied der CDJP und begleitet Opfer von Menschenrechtsverletzungen juristisch.

Viele Opfer schweigen aus Scham

Zu Hause angekommen erzählte Félista ihrer Schwester, was ihr geschehen war. Das ist nicht selbstverständlich, auch im Kongo schweigen viele Opfer aus Scham und aus Angst davor, anstelle des Täters verantwortlich gemacht zu werden. Aber ihre Schwester glaubte ihr, und die beiden Frauen gingen zur nahen Kaserne, um den Soldaten anzuzeigen. Der Kommandeur nahm sie ernst und rief alle Soldaten zum Appell, damit Félista den Täter benenne. "Das ist absolut ungewöhnlich", sagt Anwältin Nene Bintu Iraqi. "Aber offensichtlich gibt es dank der vielen Aufklärungsarbeit doch auch Fortschritte."

Kirchliche und weltliche Menschenrechtsaktivisten kämpfen seit Jahren dafür, dass sexuelle Gewalt im Kongo geahndet wird. Es handelt sich oft um unfassbare Gräueltaten, denn sexuelle Gewalt ist eine Waffe im Krieg um die reichen Rohstoffvorkommen der Region - und dieser Krieg dauert im Osten des Landes nun schon rund 20 Jahre. Die Bevölkerung wird mit Vergewaltigungen terrorisiert, aus ihren Dörfern vertrieben. Milizionäre demonstrieren so ihre Macht gegenüber den Männern, die nichts dagegen unternehmen können.

Unter den Tätern sind auch viele Soldaten und Polizisten - Repräsentanten der Regierung also, die doch eigentlich die Bevölkerung vor Gewalt schützen sollten. Menschenrechtsaktivisten schätzen die Zahl der überlebenden Opfer auf mehr als 200.000. Die Überlebenden brauchen Jahre, um mit den psychischen und körperlichen Folgen fertig werden. Der kongolesische Arzt Denis Mukwege, der Opfer von brutalen Vergewaltigungen behandelt, erhält für seinen Einsatz in diesem Jahr den Friedensnobelpreis.

Täter bleiben fast immer straffrei

Die Täter bleiben fast immer straffrei, Menschenrechtsaktivisten kritisieren das seit Jahren. Und seien Militärs die Täter, würden nur die unteren Ränge verfolgt, Kommandeure dagegen kämen meist ohne Strafe davon. Aber bisweilen urteilten die Militärgerichte eben doch, sagt Nene Bintu Iraqi. "Und dann manchmal sehr konsequent. Viel effizienter als zivile Gerichte."

Verurteilt wurde auch der Mann, der Félista vergewaltigte: Weil sein Opfer minderjährig war, bekam er 20 Jahre Haft. Und er sitzt auch tatsächlich im Gefängnis. Womöglich nicht lange, denn immer wieder kaufen sich Verurteilte durch Schmiergeldzahlungen frei, wie Frauenrechtsorganisationen und die CDJP kritisieren.

"Aber es hat sich was geändert", betont die Anwältin. Seit die Gefahr besteht, für die Verbrechen belangt zu werden, dächten wenigstens einige Soldaten zwei Mal nach, ehe sie eine Frau vergewaltigten. "Wir haben den Eindruck, dass die Zahl der Vergewaltigungen durch Militärs etwas zurückgegangen ist." Ein erster Schritt, aber mehr auch nicht. Denn: "Auch die Militärgerichte urteilen nur, wenn der Täter schon bekannt ist", kritisiert Bintu. Die Mühe von Ermittlungen macht sich niemand.

In einem weiteren wichtigen Punkt würden die Gesetze bis heute nicht beachtet: "Die Opfer haben ein Anrecht auf Entschädigung, aber die kriegen sie nie." Auch Félista bekommt weder vom Staat noch von der Familie des Täters irgendeine Unterstützung. Sie und ihre Familie leben von ihren Feldern, außerdem verkaufen sie Bauholz nach Bukavu. Wenn sie Glück haben, reicht ihr Verdienst für das Nötigste. Seit Félista auch noch ihren Sohn ernähren muss, kann sie sich die Schule nicht mehr leisten, dabei hätte sie gerne noch gelernt.

Auch Jacqueline Furaha Kanyenge musste ihre Träume aufgeben. Bis sie durch eine Vergewaltigung Mutter wurde, ging auch sie auf die weiterführende Schule. Heute schlägt sich die 20-Jährige als Tagelöhnerin durch, bestellt die Felder anderer Leute. Sie war auf dem Heimweg vom Markt, als ein Polizist sie vergewaltigte. Damals war auch sie noch minderjährig, ihre Tochter Bulangalire ist inzwischen drei Jahre alt.

Staat ohne Recht

Als sie ihren Eltern von der Vergewaltigung erzählte, unternahmen die nichts. Jacqueline hat dafür Verständnis: "Wir wussten ja nicht, wer der Täter war." Sie wusste noch nicht einmal, dass eine Anzeige gegen Unbekannt möglich ist. Aber das ist sowieso nur Theorie, bestätigt Nene Bintu Iraqi. Wer wolle, dass die Justiz tätig werde, müsse Geld mitbringen: für Papier und Stifte, für Benzin. Andernfalls passiere gar nichts.

"Weil das im Kongo schon seit vielen Jahren so ist, denken die meisten Menschen gar nicht mehr an Polizei oder Justiz, wenn sie Opfer eines Verbrechens werden", kritisiert die Anwältin. Zivilgesellschaftliche Organisationen und die katholische CDJP versuchen das zu ändern, ermutigen die Menschen zu klagen. "Man braucht eine Organisation, die in der Lage ist, die Polizisten oder Vollstreckungsbeamten zu bezahlen", schildert die Menschenrechtsaktivistin. "Sonst wird kein Haftbefehl durchgesetzt."

"Der Zustand unserer Justiz ist absolut beklagenswert", bestätigt der Anwalt Georges Kapiamba. Er leitet den "Kongolesischen Verein für den Zugang zu Justiz". Wer kein Geld habe, sagt auch er, habe keine Möglichkeit, seine Rechte einzuklagen. Es sei denn, er wird von Menschenrechtsgruppen wie der katholischen CDJP oder Kapiambas Verein unterstützt. Zwar gebe es im Kongo Gerichtsgebäude, Staatsanwälte, Richter und Gerichtsschreiber. Aber das sei die rein institutionelle Ebene. "Das, was man unter Recht oder Gerechtigkeit versteht, gibt es hier nicht."

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