Wie Menschen den Glauben verbreiten

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Durch organisierte Mission sind der Buddhismus, das Christentum und der Islam zu Weltreligionen geworden. Dabei sind Zwangsbekehrungen vorgekommen wie zur Kolonialzeit und zuletzt beim „Islamischen Staat“. Doch Glaubensverbreitung mit Gewalt ist eine seltene Ausnahme..

Die Grundidee jeder religiösen Mission lässt sich gut an einem aktuellen, nicht religiösen Beispiel erklären: Greta Thunberg und die von ihr angeregte Bewegung „Fridays for Future“. Sie haben so etwas wie eine Mission: Sie sind auf ein Problem aufmerksam geworden, das alle Menschen auf der ganzen Welt betrifft (hier: Klimawandel). Deshalb haben sie Formen des Handelns entwickelt, die eine Lösung des Problems anstreben (hier: Erzeugen von öffentlicher Aufmerksamkeit für notwendige Veränderungen). Sie unternehmen Anstrengungen, weltweit Menschen zu erreichen. Ein wichtiges Mittel dafür sind heute soziale Netzwerke. Aber auch eine Fortbewegungsweise mit hohem Wiedererkennungswert gehört zum Erscheinungsbild der Bewegung: Selfies zeigen Greta Thunberg im Zugabteil oder in nächtlichen Bahnhöfen während ihrer tagelangen Reisen von Schweden aus quer durch Europa.

Missionarische Bewegungen sind immer genau dann entstanden, wenn Personen subjektiv, aus ihrer eigenen Perspektive, den Eindruck hatten, dass ein Problem oder ein Mangel alle Menschen betrifft, und wenn sie weiter der Ansicht waren, sie hätten eine Praxis oder eine Lehre entdeckt, die diesem Mangel abhelfen kann. Nur unter solchen Voraussetzungen wurden Anstrengungen unternommen, die jeweilige Lehre grenzenlos zu verbreiten und möglichst die ganze Menschheit davon in Kenntnis zu setzen. Auch vor vielen Jahrhunderten war dafür insbesondere eine Form von Fortbewegung nötig, die der Bewegung ein Gesicht gab und die gleichzeitig große Entfernungen zu überwinden half.

Längst nicht jede Religion, die wir aus der Geschichte der Menschheit kennen, verhält sich missionarisch. Die Regel bildeten vielmehr zunächst überall religiöse Praktiken, die sich auf gemeinsame Ahnen beziehen und die nur an die Nachkommen dieser Ahnen weitergegeben wurden. Auch Reichsreligionen wie die ägyptische, die römische oder zeitweise die chinesische wollen nicht alle Welt erreichen, sondern nur die Untertanen des jeweiligen Reiches.

Die historisch älteste Weltreligion

Der früheste Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit, zu dem sich missionarische Bewegungen beobachten lassen, liegt 2500 Jahre zurück. In Indien entstanden damals mehrere solcher Bewegungen, von denen manche längst vergessen sind, weil sie keinen Erfolg hatten. Eine aber hat es geschafft, zur historisch ältesten Weltreligion zu werden: der Buddhismus.

In den sogenannten „vier edlen Wahrheiten“ des Buddhismus ist das Grundprinzip der missionarischen Bewegung knapp zusammengefasst. „Alles ist Leiden“, stellt die erste edle Wahrheit fest – es besteht ein Mangel, von dem alle Menschen, ja sogar alle Lebewesen betroffen sind. In der zweiten und dritten edlen Wahrheit werden die Ursache des Leidens und die Möglichkeit seiner Überwindung benannt, und die vierte edle Wahrheit beschreibt, was zu tun ist, um das Leiden zu überwinden: Dafür – so die Lehre des Buddha – muss man dem edlen achtfachen Pfad folgen, einer Kombination aus Einsichten, ethischen Regeln und meditativen Praktiken, die eine Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten versprechen.

Um diese Praxis zu verbreiten, brachte der Buddha seine Mönche auf den Weg: Menschen mit einer ehelosen, besitzlosen und heimatlosen Lebensweise, die nirgends angebunden waren und die deshalb immer weiter von Dorf zu Dorf ziehen konnten, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land. Nach vier oder fünf Jahrhunderten hatte der Buddhismus sich bis nach China verbreitet, und auch im antiken Ägypten sind wohl buddhistische Mönche gesichtet worden.

Christentum: Vorbild für die Ausbreitung des Islam

Das Christentum wird oft für eine Religion gehalten, deren Missionspraxis sie lange Zeit von allen anderen Religionen unterschied. Dies ist jedoch ein Vorurteil. Die Anfänge der christlichen Mission sind mit den Anfängen der buddhistischen Mission Punkt für Punkt vergleichbar. Der Mangel, von dem alle Menschen betroffen sind, besteht aus christlicher Sicht darin, dass die Menschheit sich von dem Gott abgewandt hat, der die ganze Welt und auch die Menschen erschaffen hat. Das Angebot zur Überwindung des Mangels besteht im Glauben an Jesus Christus und in der durch ihn ermöglichten Heilung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Die Gesandten, die diese Nachricht in alle Welt tragen sollen, heißen im frühen Christentum zunächst „Apostel“. Aber auch die Lebensform des Mönchtums wurde im Christentum nach einiger Zeit aufgegriffen und in den Dienst seiner Mission gestellt. Dies geschah nicht durch direkte Nachahmung eines buddhistischen Vorbilds, sondern vermittelt durch Berichte über indische Asketen in der antiken Literatur und durch asketische Lebensweisen in antiken Philosophenschulen.

Sehr viel direkter war die Vorbildwirkung, die das Christentum später für die Ausbreitung des frühen Islam hatte. Über den Islam ist oft zu lesen, dass er eine ganz eigene, vom Christentum unterschiedene Form der Ausbreitung hätte, die von Kritikern manchmal auch als „Schwertmission“ bezeichnet wird. Tatsächlich jedoch ahmten die frühen islamischen Herrscher nach, was sie im Byzantinischen (Oströmischen) Reich vorfanden: Das Byzantinische Reich hatte sich das Christentum als seine Reichsreligion angeeignet und erwartete von allen Untertanen Loyalität gegenüber der Religion des Herrschers. Die alten Kulte des Römischen Reichs waren verboten, das Judentum jedoch als anerkannte Religion erlaubt. Menschen jüdischen Glaubens wurden in manchen Belangen benachteiligt, aber nicht zum Übertritt zum Christentum gezwungen. Die frühen muslimischen Herrscher übernahmen dieses System, bestimmten aber den Islam zur neuen Reichsreligion und duldeten daneben Judentum und Christentum als anerkannte Religionen.

Solche gegenseitigen Nachahmungen ziehen sich durch die gesamte weitere Geschichte der religiösen Missionen: Keine religiöse Bewegung konnte eine neu entwickelte Ausbreitungsstrategie lange für sich allein behalten. Jede Handlung und jede Lebensform, die darauf gerichtet ist, viele Menschen außerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zu erreichen, wird natürlich von vielen dieser Außenstehenden beobachtet.

Zum Beispiel folgten im 13. und 14. Jahrhundert christliche Mönche aus Europa wie buddhistische Mönche den Handelsrouten quer durch den asiatischen Kontinent – vor allem der sogenannten Seidenstraße –, um Menschen in China, Indien und weiteren Ländern zu erreichen. Dann aber machten Europäer im Bereich des heutigen Malaysia und Indonesien eine entscheidende Entdeckung: Muslime hatten dort begonnen, die Handelswege über das Meer nicht nur zu benutzen, sondern ihre Kontrolle darüber abzusichern, indem sie kleine Gebiete an den Küsten in Besitz nahmen, Häfen anlegten und diese mit Bewaffneten absicherten. Im 15. Jahrhundert begannen portugiesische Seefahrer im Verbund mit einem bewaffneten christlichen Mönchsorden entlang der Küsten von Afrika genau dasselbe zu tun. Mit der Zeit wurde so ein Seeweg nach Indien, Südostasien und China erschlossen und für die portugiesische Krone gesichert. Mehrere Päpste der katholischen Kirche haben das Projekt mit ihren Verlautbarungen begleitet und ihm durch den Auftrag zur Verbreitung des christlichen Glaubens einen (auch) missionarischen Zweck gegeben.

Autor

Andreas Feldtkeller

ist Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin. Er forscht unter anderem zur Ausbreitung von Religionen.
Der Zusammenhang zwischen der von Europa ausgehenden christlichen Mission und dem von Europa ausgehenden Kolonialismus, der heute die Diskussion sehr stark prägt, hat von diesem Vorgang seinen Ausgang genommen. Als Spanien und Portugal nach der Erkundungsreise des Kolumbus in die Karibik miteinander um Einfluss zu konkurrieren begannen, teilte Papst Alexander VI. im Jahr 1493 kurzerhand die Welt zwischen ihnen auf. Damit war eigentlich weiterhin gemeint: für die Gründung von Häfen und die friedliche Verbreitung des christlichen Glaubens entlang der Handelsrouten.

Religiös begründete Gewalt

Stattdessen jedoch trugen die beiden europäischen Mächte eine krude Idee in die Welt hinaus, die schon seit dem 10. Jahrhundert innerhalb von Europa praktiziert worden war: den Eroberungskrieg, der gleichzeitig der Verbreitung des Christentums dienen sollte. Eine Spur religiös begründeter Gewalt hatte sich bereits vom heutigen Sachsen-Anhalt über das Baltikum bis nach Finnland gezogen. In der Neuen Welt eskalierte diese Form der Kriegführung vollends – Tempel wurden zerstört, unzählige Menschen versklavt und roheste Gewalt bis hin zum Völkermord verübt.

Daran gibt es nichts zu beschönigen. Und gleichzeitig ist festzuhalten: Die gewaltsame Mission konzentriert sich innerhalb der 2000-jährigen Geschichte christlicher Mission und der 2500-jährigen Geschichte religiöser Missionen auf bestimmte Zeiträume und Regionen. Vor ihr, neben ihr und nach ihr gibt es zahlreiche andere Varianten der missionarischen Ausbreitung von Religion.

Gegen die gängigen Klischees ist festzuhalten, dass auch die Verbreitung des Islam in zahlreichen Phasen und Regionen friedlich verlaufen ist – beispielsweise in Afrika südlich der Sahara vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. Eroberungen durch muslimische Herrscher waren nicht häufiger religiös motiviert als Eroberungen durch christliche Herrscher. Religiöser Zwang gegenüber Untertanen widerspricht der muslimischen Lehre ebenso wie der christlichen. Dennoch kam er in islamischen Herrschaftsgebieten vor, zum Beispiel bei den Mongolenherrschern des 15. Jahrhunderts in Westasien.

Auch die Geschichte des Buddhismus ist nicht so frei von Gewalt, wie es häufig dargestellt wird. Der Buddhismus hat sich zwar nicht in gleicher Weise wie das Christentum und der Islam durch Eroberungen nach außen verbreitet, wohl aber gab es innerhalb von bereits buddhistisch geprägten Gebieten Kämpfe um die Vorherrschaft einer bestimmten Schule des Buddhismus, insbesondere im Tibet des 15. Jahrhunderts.

Bis ins 19. Jahrhundert gehörte es vor allem bei den drei Religionen Buddhismus, Christentum und Islam durchgehend zum Selbstverständnis, dass ihre Botschaft und ihre Praxis aller Welt bekanntgemacht werden sollten. Weitere Religionen haben sich diesem Kreis angeschlossen und ihn dann wieder verlassen, insbesondere der lange Zeit von Europa bis Zentralasien verbreitete Manichäismus. Keine missionierende Religion hat aber über all die Jahrhunderte an einer ganz bestimmten Form der Ausbreitung festgehalten.

Dann geschieht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts plötzlich etwas Neues: Die europäische Weltherrschaft durch Kolonisierung in Verbindung mit technischem Fortschritt steht auf dem Höhepunkt ihrer Macht, und gerade dadurch zeigt Europa der ganzen Welt zunehmend seine Schattenseiten. Immer mehr Akteure in anderen Regionen werden ermutigt zu dem Perspektivwechsel, dass vielleicht die Lösung für die Probleme der Menschheit gar nicht in Europa liegt, sondern in ihrer jeweils eigenen religiösen Überlieferung.

In dieser Situation beginnen Religionsgemeinschaften zu missionieren, die das vorher nicht getan hatten. In Indien entsteht aus dem sogenannten Neo­hinduismus heraus der Anspruch, die ganze Welt in der Weisheit der Veden zu unterweisen. Aus dem Iran kommend tritt die Gemeinschaft der Bahai mit einer Lehre auf, die Elemente verschiedener Religionen verbindet und die gleichzeitig eine neue Weltordnung nach dem Prinzip des Miteinanders gleichberechtigter Völker vorschlägt.

Die Entstehung säkularer Gesellschaften

Die „klassischen“ missionarischen Religionen Buddhismus und Islam beginnen zur gleichen Zeit, ihre missionarischen Bestrebungen neu nach Europa und Nordamerika auszurichten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Säkularisierung, die in manchen Regionen von Europa und Nordamerika damals bereits begonnen hatte. Ein wichtiger Aspekt der Säkularisierung ist, dass in immer mehr europäischen Ländern die feste Verbindung zwischen christlichem Königtum und einer christlichen Konfession aufgegeben wird. An ihre Stelle treten parlamentarische Staatsformen, in denen allen Bürgern und Bürgerinnen die Freiheit zugesprochen wird, sich ihre Religion selbst zu wählen oder auch keiner Religion anzugehören.

Wo immer solche säkulare Gesellschaften entstanden, da dauerte es nicht lange, bis die unterschiedlichsten Religionen mit ihren Angeboten in Erscheinung traten. In Deutschland beispielsweise gab es regionale Vorstufen der Religionsfreiheit bereits im 18. und 19. Jahrhundert, aber der entscheidende Schritt war die Einführung einer demokratischen Verfassung für das gesamte Deutsche Reich im Jahr 1919. Noch im selben Jahr erwarb der Arzt Paul Dahlke ein Grundstück in Frohnau (heute Berlin), auf dem 1924 ein buddhistisches Zentrum eröffnet wurde. Die erste für den dauerhaften Gebrauch durch deutsche Muslime bestimmte Moschee wurde fast gleichzeitig 1924–25 in Berlin-Wilmersdorf gebaut. Die Initiative dazu ging von der Ahmadiyya-Gemeinschaft aus dem heutigen Grenzgebiet zwischen Indien und Pakistan aus, die für mehrere Jahrzehnte die treibende Kraft bei der friedlichen Einladung zum Islam in Europa und Nordamerika bleiben sollte.

Später folgten missionarische Bewegungen, die angesichts der zunehmenden Suche nach alternativen Lebensformen religiöse Angebote unterbreiteten. Dazu kann man etwa die neohinduistische „Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein“ (auch bekannt als Hare Krishna) rechnen, die ebenfalls aus Indien kommende Osho-Bewegung oder Angebote in afrikanischem Trance-Tanz. Für all diese Praktiken und Überlieferungen bedeutete es eine erhebliche Veränderung, dass sie nun auch außerhalb einer eng begrenzten Gemeinschaft weitergegeben wurden.

Das 20. und 21. Jahrhundert haben religiöse Missionen in einer Vielfalt hervorgebracht, wie es sie niemals zuvor gegeben hat. Christen und Christinnen aus Europa spielen dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Mission ist vielstimmig geworden, sowohl was die religiöse als auch was die geografische Herkunft ihrer Träger anbelangt. So werden unterschiedliche Fassungen des Christentums in Europa unter anderem von afrikanischen, südkoreanischen und US-amerikanischen Kirchen angeboten.

Auch hinsichtlich ihrer Methoden und Haltungen bilden die Missionen der Gegenwart ein sehr vielschichtiges Bild. Die Bandbreite reicht von stiller einladender Gegenwart an einem Ort bis zu durchaus lautstark auftretenden Formen der Mission in Verbindung mit politischen Absichten, die zwar in der Regel nicht mehr mit physischer Gewalt, aber relativ häufig mit anderen Formen der Machtausübung verfolgt werden. Ein Beispiel dafür ist die in diesem Heft diskutierte Verbreitung saudi-arabischer Interessen über die wahhabitische Bewegung; ein anderes ist, dass manche evangelikale oder pfingstliche Richtungen des Christentums konservative oder rechtspopulistische Politik unterstützen. Die inzwischen weit verbreitete Religionsfreiheit trägt jedoch entscheidend dazu bei, dass heute friedliche Formen von Mission das Bild dominieren. Gewalttätige Glaubensverbreitung bildet eine seltene Ausnahme.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2019: Mission und Macht
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