Die Seuche wird gern ausgenutzt

Mladen Antonov / Kontributor / Getty Images

Kommando „Abstand halten“: Ein Polizist setzt in Bangkok Mitte April die Corona-Hygieneregeln durch,  während Menschen Schlange stehen, um Schmuck zu verkaufen.

Corona in Thailand
In Thailand hat sich die Corona-Pandemie langsamer verbreitet als in anderen südostasiatischen Staaten – allerdings eher trotz als wegen seiner Regierung. Und die Gesundheitskrise vertieft nun die politische Kluft.

Thailand ist international für die Eindämmung von Covid-19 gelobt worden. Mitte Juli 2020 waren in dem Land rund 3000 Krankheitsfälle aufgetreten und 58 Todesfälle zu beklagen; auf den nahe gelegenen Philippinen waren schon mehr als 50.000 Krankheitsfälle bestätigt. Aber Thailands Regierung hat ihre Macht gefestigt, indem sie den Notstand ausrief, und steht nun wahrscheinlich vor den Folgen einer Wirtschaftskrise. 

Als die ersten Corona-Fälle auftraten, handelte die von der Partei Palang Pracharat geführte Regierungskoalition schwerfällig und richtungslos – vor allem infolge von Machtkämpfen in der Koalition. Führungspersonal im öffentlichen Gesundheitswesen, das normalerweise das Establishment entschieden unterstützt, empfahl zur Vorsicht strengere Grenzkontrollen, doch ihr Rat stieß auf taube Ohren. Als die Fallzahlen in China im Februar Höchstwerte erreichten, hieß Thailand noch immer chinesische Touristen willkommen. Mediziner kritisierten die Nachlässigkeit der Regierung öffentlich, während Anhänger der Monarchie erwarteten, dass das Königshaus eine größere Rolle bei der Krisenbewältigung spielen würde. Auf der privaten Facebook-Seite eines Royalisten erschien ein ausgearbeiteter Kommentar, der skizzierte, was der König in den schwierigen Zeiten für sein Volk hätte tun sollen und bisher versäumt habe. Derlei offene Kritik am Königshaus von Seiten konservativer Hardliner ist selten und deutet auf einen möglichen Wandel im Lager der Machteliten hin.

Obwohl die Regierung anfänglich ins Stolpern geriet, konnte die Pandemie vor allem aus zwei Gründen doch eingedämmt werden. Zum einen wuchs nach dem ersten Fall, in dem Anfang März ein Infizierter viele andere ansteckte, der Druck aus dem Gesundheitswesen auf die Regierung und brachte sie dazu, mehr Verantwortung an Fachleute zu übertragen. Thailands öffentliches Gesundheitswesen gilt als deutlich kompetenter als andere staatliche Einrichtungen und als Vorbild für die Region. Am 26. März warnten angesehene Ärzte öffentlich, dass Thailand ohne Abstandsregeln bis Mitte April mit 350.000 Fällen und 7000 Toten rechnen müsse. Kurz darauf rief die Regierung den Notstand aus und verhängte Ausgangssperren. Einkaufszentren, Bars und Friseure wurden geschlossen, öffentliche Versammlungen verboten und die Grenzen blieben für zwei Monate zu. Gleichzeitig sollte ein neu geschaffenes Lenkungsorgan die Strategien der Ministerien koordinieren und dabei die politischen Unstimmigkeiten angehen, die im Februar aufgetreten waren.

Zum anderen reagierte die Zivilbevölkerung schneller und umfassender auf die Gesundheitskrise als die Regierung. Insbesondere leisteten Freiwillige im Gesundheitswesen medizinische Versorgung auch in abgelegenen Gegenden – vor allem in den Heimatorten von Arbeitskräften, die angesichts des Lockdown aus den Städten dorthin zurückkehrten. Die Freiwilligen schickten Rückkehrer mit Krankheitssymptomen zum Testen in Kliniken. Sie setzten die Quarantäne für Menschen durch, die zwischen Provinzen hin- und herreisten oder aus dem Ausland kamen. Sie traten Gerüchten über die Pandemie entgegen und stellten Falschinformationen richtig. Und nicht zuletzt suchten sie besonders gefährdete Stellen auf wie Gefängnisse oder Flüchtlingsunterkünfte und versorgten die Menschen dort mit wichtigen Gesundheitsinformationen. Dieses Engagement von Freiwilligen war ein entscheidender Faktor, die Zahl der Infektionen gering zu halten. 

Andere Gruppen, die sich aus Studierenden, aus der Start-up-Szene im Technologiebereich sowie aus Wohlfahrtsorganisationen rekrutierten, versorgten gefährdete Gemeinschaften mit dem Allernötigsten wie Essen und Unterkünften und stellten digitale Plattformen für die Armen zur Verfügung. Zwar wollte auch die Regierung die wirtschaftliche Not dieser verletzlichen Gruppen mit Finanzhilfen lindern. Ihr drakonisches Vorgehen stand dazu allerdings oft im Widerspruch. So drohten Polizeibeamte während des ersten Monats im Lockdown Bürgern, die Nahrungspakete verteilten, mit Verhaftung wegen Missachtung des Versammlungsverbots. Ein obdachloser Mann wurde wegen Verstoß gegen die Ausgangssperre angeklagt.

Autorin

Janjira Sombatpoonsiri

ist Assistenzprofessorin am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität Thammasat in Thailand. Ihr Artikel entstand im Rahmen ihrer Arbeit für das Carnegie Endowment’s Civic Activism Project.
Die Pandemie scheint vorerst unter Kontrolle, den politischen Aufruhr aber hat Thailand noch vor sich. Denn die beginnende Wirtschaftskrise vertieft noch die Gräben in der Gesellschaft. Und obwohl verschiedenste Gruppen sich im Unmut über das Vorgehen der Regierung in der Krise einig waren, ist es weder auf Ebene der Eliten noch in der Gesellschaft zu bedeutender Zusammenarbeit über die ideologischen Gräben hinweg gekommen. 

Andauernde politische Konflikte und die Wendung zum Autoritarismus belasteten Thailand schon vor Covid-19. Der Kampf spielte sich auf Ebene der Eliten ab, als sich Königshaus, Militär, Justiz, Bürokraten und bedeutende Wirtschaftsführer in den frühen 2000er Jahren von der wachsenden Popularität Thaksin Shinawatras und seiner Partei Thai Rak Thai (TRT) bedroht sahen. Die Machteliten fanden ihre Unterstützer in der städtischen Mittelschicht, die ihre Interessen gegen die aufstrebenden ländlichen Mittelschichten verteidigten. Diese wurden zur entscheidenden Stütze des aufbegehrenden TRT-Lagers, das einen höheren Lebensstandard für die Landbevölkerung sowie deren öffentliche Anerkennung als gleichwertiger Teil der Gesellschaft forderte.

Eine jugendliche und hoffnungsfrohe Kraft

Dank ihres Einflusses auf fast alle Institutionen des Landes haben die Machteliten ihre politischen Gegner zurückgedrängt. So führten sie in den Jahren 2007 und 2014 Militärputsche herbei und 2008 einen juristischen Staatsstreich, der die gewählte Regierung absetzte. Der Putsch von 2014 gipfelte in einer fünf Jahre währenden Militärherrschaft, die jene demokratischen Institutionen aushöhlte, die mit der demokratischen Öffnung Thailands in den 1990er Jahren geschaffen worden waren. Die Junta schnitt die Verfassung von 2016 so zu, dass sie Oppositionsparteien und das Parteiensystem als Ganzes sowie die Mechanismen der Gewaltenteilung schwächt und freie und faire Wahlen einschränkt. Nur deshalb gewann die von der Militärjunta gestützte Partei Palang Pracharat 2019 die Wahlen, obwohl sie nicht die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigte.

Doch trotz aller Versuche der Regierung, den organisierten Widerspruch auszumerzen, lebt der Zorn auf das Establishment fort. Er zeigt sich unter anderem auf Social-Media-Plattformen und gelegentlich in Form kleinerer Zusammenkünfte. Die Konfliktlinien verlaufen neuerdings zwischen der jüngeren, fortschrittlich gesinnten Generation und älteren, konservativen Bevölkerungsgruppen. Das wurde bei der Wahl 2019 deutlich, als die neu gegründete Future Forward Party (FFP) mit über sechs Millionen Stimmen zur drittstärksten Kraft wurde. Sie repräsentiert die neue Oppositionsbewegung, eine jugendliche und hoffnungsfrohe Kraft. Wie die TRT stellt auch die FFP den Status quo infrage und wird autoritär angegangen. Das reicht von Schmutzkampagnen gegen ihre Führung bis hin zu unrechtmäßigen Anklagen – eine davon hat das Verfassungsgericht am 21. Februar dieses Jahres veranlasst, die Partei aufzulösen. Daraufhin protestierten empörte jugendliche Unterstützer der FFP und prodemokratische Gruppen an mehr als 50 Universitäten und Schulen im ganzen Land. Dann kam die Covid-19-Pandemie und rettete einmal mehr das Regime.

Aber sie hat auch Debatten über widerstreitende Konzepte der thailändischen Identität neu entfacht. Gegner des Establishments kritisierten die Regierung für ihr nationalistisches und militaristisches Vorgehen in der Gesundheitskrise. In der Tat bemühten Generäle Kriegsrhetorik und Appelle an den Patriotismus für den Aufruf, dass die Thailänder zu Hause bleiben sollten. Auf die Kritik daran entgegnen Unterstützer der Machteliten, nationalistische Töne seien geeignet, um die in der Gesundheitskrise nötige nationale Einheit zu schmieden. 

Zahl der Armen nahezu verdoppelt

Die ideologischen Gräben haben auch zu weit auseinanderklaffenden Positionen gegenüber dem Lockdown und der Lage verletzlicher Gruppen geführt. Unterstützer der Machteliten begrüßen eher autoritäre Antworten auf den Notstand; dagegen argumentieren liberale Stimmen, die Gesundheitskrise solle grundlegende Rechte und Freiheiten nicht infrage stellen. Die meisten Gegner der Machteliten sympathisieren mit den Armen und reagieren zuweilen aufgebracht, wenn andere das nicht tun. Einige Konservative hingegen betrachten Wohlstand als Zeichen spiritueller Verdienste und lehnen bedingungslose Hilfe für Arme ab; stattdessen argumentieren sie, die Krise sei ein Überlebenstest.

Statt dieser Spaltung entgegenzuwirken, haben die Machthaber sich selbst gerettet und den Notstand verlängert. Angesichts der geringen Zahl der Infektionen in Thailand (zumindest bis diese Zeilen verfasst wurden) vermuten Kritiker, dass die Notstandsverordnung vor allem Bürger zum Schweigen bringen soll, die über die wirtschaftlichen Rückschläge und die unzureichende Reaktion der Regierung aufgebracht sind. Laut der Weltbank könnte die thailändische Wirtschaft um fünf Prozent schrumpfen, das wäre einer der stärksten Rückgänge in der Region Asien-Pazifik. Millionen von Arbeitsplätzen sind verloren gegangen und man erwartet, dass die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze von 5,50 US-Dollar am Tag lebt, sich innerhalb weniger Monate annähernd verdoppelt: von 4,7 Millionen auf 9,7 Millionen. Die meisten, die ihren Job verlieren, arbeiteten im informellen Sektor ohne förmliche Verträge oder festes Gehalt. Bedienstete in Hotels, Essensverkäufer und Fahrer von Motorradtaxen beispielsweise können sich keinen Heimarbeitsplatz einrichten und erhalten anders als Büroangestellte ihre Bezüge nicht weiter. Das Konjunkturprogramm der Regierung hat bisher nur einen Bruchteil der 27 Millionen Menschen erreicht, die sich für Geldzuwendungen beworben hatten. Das hat im April zu Protesten vor dem Finanzministerium geführt. Ende Mai verabschiedete das Parlament ein Hilfspaket in Höhe von 1,9 Billionen Baht (58 Millionen US-Dollar), das aber vor allem großen Firmen zugutekommt.

Die Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung verstärken die Ungleichheit in Thailand, wo das reichste Prozent der Bevölkerung beinahe 67 Prozent des Vermögens im Land besitzt. Wenn die Machteliten diese Missstände nicht beheben, könnte Thailand bald eine neue Welle von gesellschaftlicher Polarisierung und wirtschaftlicher Kämpfe erleben.

Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier

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erschienen in Ausgabe 9 / 2020: Die wahre Macht im Staat?
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