Wie die Weltwirtschaftskrise den Süden trifft

Badru Katumba /AFP via Getty Images

Mehr Abstsand, weniger Absatz: Auch auf diesem Markt in Kampala laufen die Geschäfte schlecht.

Corona-Pandemie
Grenzschließungen und eine Rezession im Norden haben schwere Folgen für Entwicklungsländer. Was lässt dort jetzt Armut und Hunger zunehmen?

Die Weltwirtschaft wird dieses Jahr infolge der Corona-Pandemie stärker schrumpfen als nach der Finanzkrise von 2007-08, prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Folgen für Entwicklungsländer werden dramatisch sein. Einige dürften in eine neue Schuldenkrise geraten. Die Zahl der extrem Armen, die von weniger als umgerechnet 1,90 US-Dollar am Tag leben müssen, wird steigen – besonders in Afrika und Südasien, schätzt das International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington. Zusammen mit Kriegen und dem Klimawandel könne die Pandemie zu einer „Hungerkatastrophe größten Ausmaßes“ führen, warnt die Deutsche Welthungerhilfe.

Um die Notlage zu verstehen, muss man drei Ursachen unterscheiden: Erstens die Folgen der Krankheit selbst, also dass viele Menschen erkranken und sterben; zweitens die Folgen ihrer Bekämpfung im jeweiligen Land, etwa mittels Kontaktverboten und Verkehrseinschränkungen; und drittens die grenzüberschreitenden weltwirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie. Diese werden sogar Länder treffen, in denen vielleicht nur relativ wenige Menschen an Covid-19 schwer erkranken.

Die Gesundheitssysteme der meisten armen Länder sind kaum gerüstet, um Corona-Kranken das Leben zu retten. Aber es ist bisher unklar, wie stark sich das Virus in den Tropen ausbreitet – im kühleren Klima scheint das schneller zu gehen – und wie schlimm dann die relativ junge Bevölkerung, speziell in Afrika, unter Covid-19-Infektionen leiden wird. Unter der Bekämpfung leiden viele bereits: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung war Mitte April von irgendeiner Art Kontakteinschränkung betroffen, hat das IFPRI ermittelt – etwa in Indien, Brasilien und Uganda. Das bedeutet für viele Menschen in armen Ländern dramatische Einkommensverluste, zumal viele im informellen Sektor arbeiten, ohne festes Gehalt und Sozialversicherung.

Die Krise ist anders als 2008

Doch es spricht vieles dafür, dass die indirekten weltwirtschaftlichen Schäden für arme Länder mittelfristig das größte Problem sein werden. Infolge der Lage in China, Europa und Nordamerika ist eine Weltwirtschaftskrise unvermeidlich. Ihr Ausmaß hängt stark vom Verlauf der Pandemie, den Bekämpfungsmaßnahmen und der Ausgestaltung der riesigen Konjunkturprogramme ab, die in den großen Volkswirtschaften auf den Weg gebracht werden; genaue Vorhersagen sind daher kaum möglich. Doch es ist bereits absehbar, dass diese Rezession den globalen Süden noch härter trifft als die von 2008-09 – am stärksten Afrika, gefolgt von Südasien und Lateinamerika.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Denn die heutige Krise ist anders als die von 2008-09. Diese begann im Finanzwesen: Faule Kredite brachten Großbanken in Schieflage; andere Wirtschaftsbereiche wurden angesteckt, als sie kaum mehr an Finanzmittel kamen. Die Corona-Pandemie und ihre Bekämpfung hingegen haben zunächst Industriebetriebe lahmgelegt, die auf Vorprodukte aus China angewiesen sind. Dann wurden große Teile der Dienstleistungen direkt stillgelegt, in denen besonders viele Menschen arbeiten wie der Tourismus und Teile des Verkehrs. Als Folge sind die Nachfrage nach Rohstoffen, besonders nach Erdöl, und damit deren Preise stark eingebrochen. Grenzschließungen und der Rückgang der Nachfrage in von Corona betroffenen Ländern behindern zudem den internationalen Warenhandel. Durch Zahlungsausfälle geraten dann Finanzinstitute in die Klemme.

Wie zieht diese Krise, deren Epizentrum zuerst China war und dann Europa und Nordamerika, Länder im globalen Süden in Mitleidenschaft? Erstens fallen Einnahmen aus dem Tourismus praktisch aus. Das trifft besonders Länder, wo viele Menschen im Tourismus arbeiten und wo der Sektor einen großen Teil der Deviseneinnahmen erbringt – darunter Kenia, Tansania und Inselstaaten wie Mauritius, aber auch etwa die Türkei.

Wichtige Rücküberweisungen sinken

Zweitens führen Verzögerungen im Warenhandel zu Verlusten. Die ärmsten Länder sind zwar wenig in industrielle Produktionsketten eingebunden und deshalb von deren Unterbrechung nicht direkt betroffen. Aber verderbliche landwirtschaftliche Produkte wie Blumen und Gemüse können dort teils nicht oder nur zu niedrigeren Preisen verkauft werden. Aus Indien zum Beispiel berichten Gemüsebauern über Einnahmerückgänge um die Hälfte.

Drittens sind die regelmäßigen Rücküberweisungen von Arbeitskräften im Ausland gesunken – bereits um ein Fünftel, schätzt die Weltbank. Das trifft Länder hart, in deren Volkswirtschaft solche Überweisungen großes Gewicht haben, darunter die Philippinen, Nepal und Staaten in Zentralasien.

Viertens verlieren viele Staaten Einnahmen in harter Währung, weil die Rohstoffpreise gesunken sind – etwa für Metalle, die zum Beispiel für Sambia und die Demokratische Republik Kongo Hauptdevisenbringer und eine bedeutende Quelle der

Staatseinnahmen sind. Besonders dramatisch ist aber der Verfall der Erdölpreise. Er ist dadurch verstärkt worden, dass Russland und Saudi-Arabien sich erst jüngst einigen konnten, die Fördermenge gemeinsam zu drosseln. Fachleute gehen davon aus, dass die Krise nun den Ölproduzenten auf der Arabischen Halbinsel eine Gelegenheit bietet, Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Deren Förderkosten sind höher – zum Teil weil Offshore gefördert wird – und ihre Förderstätten sind bei den heutigen Preisen auf Dauer nicht rentabel. Große Einbußen für die Volkswirtschaften und die Staatshaushalte sind etwa absehbar für Ecuador, Nigeria, Angola und den Irak.

Währungen verlieren an Wert

Fünftens ziehen angesichts der Rezession bereits Anleger in Massen ihr Kapital aus Entwicklungs- und Schwellenländern ab und bringen so ganze Volkswirtschaften weiter ins Trudeln. Das war schon in früheren Krisen wie der von 2007-08 und der Asienkrise von 1997 der Fall und offenbart erneut grundlegende Mängel in der Regulierung der globalen Finanzmärkte. Die UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) fordert deshalb als Notmaßnahme unter anderem, auch einseitige Beschränkungen des Kapitaltransfers ausdrücklich zuzulassen.

Die UNCTAD hat im Februar und März im Zeitraum von nur einem Monat einen doppelt so hohen Kapitalabfluss aus Entwicklungs- und Schwellenländern registriert wie nach Ausbruch der Finanzkrise 2007. Stark betroffen waren unter anderem Indien, Indonesien, Thailand, Südafrika, Nigeria, Brasilien, Mexiko und die Türkei. Als Folge haben die Währungen an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Das macht ihre Importe teurer zu einer Zeit, da ihre Exporterlöse, besonders von Rohstoffen, einbrechen. Als Folge können in vielen Entwicklungsländern der Staat und private Unternehmen Zinsen und Tilgungen für Auslandskredite immer schwerer aufbringen. Zugleich werden Umschuldungen schwieriger, weil die Finanzmärkte für frische Kredite immer höhere Risikoaufschläge verlangen.

Die Gruppe der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G20) hat sich deshalb Mittel April auf ein Schuldenmoratorium geeinigt. Es entspannt die Lage etwas, kommt aber nur 77 besonders armen Ländern zugute, mehrheitlich in Afrika. Die Zinsen werden auch nur gestundet und nicht erlassen, und private Gläubiger sind nicht einbezogen.

Dabei ist das Risiko neuer großer Schuldenkrisen viel höher als 2007-08. Seitdem haben sich nicht nur Regierungen, sondern auch Unternehmen im globalen Süden viel Geld im Ausland geliehen, zunehmend bei privaten Geldgebern. Das schien nur vernünftig, weil infolge der Nullzinspolitik im Norden die Zinsen dort sehr viel günstiger waren als zu Haus. So ist der Schuldenstand gestiegen; in vielen Ländern, etwa Angola, Libanon, Sri Lanka, Ghana, Costa Rica und der Mongolei, mussten die Regierungen schon 2018 mehr als ein Fünftel ihres Etats und einen größeren Anteil als 2012 für den Schuldendienst aufwenden.

Die Getreidespeicher sind noch gut gefüllt

Das Niveau der Rohstoffpreise hingegen lag vor dem Absturz wegen der Corona-Pandemie schon relativ niedrig. Und die Pandemie ist noch nicht vorbei – in vielen Ländern eher am Anfang. Das lässt befürchten, dass die Erholung diesmal länger dauern wird als nach der vorigen Weltwirtschaftskrise. Für die Regierungen zahlreicher Länder heißt das auch: Ihr ohnehin geringer Spielraum, mit Staatsausgaben die heimische Wirtschaft zu stützen, das Gesundheitswesen zu stärken oder die Einbußen für arme Menschen mit Sozialausgaben aufzufangen, ist noch geschrumpft und schrumpft weiter.

In einer Hinsicht allerdings ist die Ausgangslage etwas besser als 2008: Die Getreidelager sind gut gefüllt, es gibt mehr Rücklagen an Grundnahrungsmitteln und die Weltmarktpreise dafür sind niedriger. Trotzdem wird wahrscheinlich auch die Zahl der Hungernden zunehmen. Zum einen einfach, weil die Armut wächst und deshalb mehr Menschen das Geld für ausreichend Nahrungsmittel fehlt. Zum anderen sind viele Länder Afrikas und des Nahen Ostens auf Getreideimporte angewiesen, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Wenn ihre Währungen abwerten, die Verschuldung steigt und die Exporteinnahmen sinken, ist zu erwarten, dass die Nahrungspreise im Inland steigen und Arme weiter in Not bringen.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Transporte wegen der Pandemie behindert werden oder dass erneut, ähnlich wie 2008, einige große Erzeuger von Getreide Exporte einschränken. Beides würde in Ländern, die auf Importe von Nahrung angewiesen sind, die Preise weiter hochtreiben – verstärkt noch bei Panikkäufen. Bisher gibt es das in Einzelfällen; so haben Vietnam und Kasachstan die Exporte von Reis beziehungsweise Weizen beschränkt, der Irak und Ägypten wollen ihre Lager schnell aufstocken. Doch große Störungen des Marktes sind nicht unwahrscheinlich, zumal sich in sechs Ländern, die zusammen über die Hälfte der Weltgetreideexporte tätigen, das Virus weiter ausbreitet: in den USA, Russland, Indien, Argentinien, Australien und der Ukraine.

Eine solche zusätzliche Belastung armer Nahrungsmittelimporteure kann man eigentlich abwenden: mit Vereinbarungen zwischen den Staaten, den Nahrungsmittelhandel nicht zu behindern. Das würde im Grunde allen nützen. Trotzdem kann man sich leider nicht darauf verlassen, dass sie zustande kommen. Denn ein weiterer wichtiger Unterschied zu 2008 ist: Heute ist nicht zuletzt dank der US-Regierung ein multilateral abgestimmtes Krisenmanagement viel schwieriger zu erreichen. Und wenn es scheitert, werden viele Entwicklungsländer zu den größten Leidtragenden gehören.

Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier

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