Zwangslizenzen nur wenn nötig

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Corona-Impfstoff
David L. Ryan, Getty Images
Eine Forscherin im Labor von Moderna. Die Schweiz hat sich die Lieferung von Impfdosen des US-amerikanischen Biotech-Unternehmens gesichert.
Corona-Impfstoff
Die Schweiz hat sich als eines der weltweit ersten Länder dank einer Vereinbarung mit einem Biotech-Unternehmen 4,5 Millionen Impfdosen gesichert. Gleichzeitig spielt sie eine leitende Rolle in einer Ini­tiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die den gleichberechtigten Zugang für alle Länder sichern soll. Die Organisation Public Eye bezeichnet das als „Heuchlerei“.

Anfang August gab die Schweiz die Vereinbarung mit der US-Biotechfirma Moderna Therapeutics bekannt. Die Firma will mithilfe der Basler Pharmazulieferin Lonza jährlich 500 Millionen Impfdosen herstellen. Durchläuft der Impfstoff die klinische Testphase erfolgreich, bekommt die Schweiz 4,5 Millionen Impfdosen, schrieb das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einer Medienmitteilung. Insgesamt 300 Millionen Franken stelle der Bundesrat für Impfstoffe bereit. Gleichzeitig unterstütze die Schweiz multilaterale Vorhaben zur gerechten Verteilung eines zukünftigen Impfstoffes.

Eine dieser Initiativen ist die Covid-19 Global Access Facility (Covax), die von der WHO lanciert worden ist. Sie soll sicherstellen, dass Covid-19-Impfstoffe allen Ländern zur Verfügung stehen. Zusammen mit Singapur koordiniert die Schweiz die Arbeit der „Friends of the Facility“, eine Gruppe von Staaten, „die sich für Covax interessieren und sich konstruktiv im Etablierungsprozess einbringen wollen“, wie das BAG und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA auf Anfrage gemeinsam schreiben. Bis Ende August haben rund 172 Länder ihr Interesse bekundet, bei Covax mitzumachen. Die Länder gehen damit aber keine verbindliche Abmachung ein.

Eine Milliarde Impfdosen für die Hälfte der Weltbevölkerung

„Über Covax sollen bis Ende 2021 geschätzte zwei Milliarden Impfdosen reserviert und je zur Hälfte an arme und reiche Länder aufgeteilt werden“, sagt Patrick Durisch, Gesundheitsexperte bei Public Eye. Die reichen Länder sicherten sich allerdings mit ihren bilateralen Deals weit mehr als eine Milliarde Impfdosen. Die ärmeren Länder hingegen – also fast die Hälfte der Weltbevölkerung – müsse versuchen, mit der Milliarde Impfdosen aus Covax die Pandemie zu bekämpfen, erklärt Durisch. Wenn Länder mit hohem Einkommen Impfstoffe für sich reservieren und gleichzeitig ihr Interesse an einer gerechten globalen Verteilung bekunden, sei das „eine Heuchlerei“.

Ein weiteres Problem gibt es laut Durisch mit den Produktionskapazitäten. Solange Impfstoffe nicht in ausreichender Menge produziert werden können, könne auch keine gerechte Verteilung gewährleistet werden, sagt er. Covax löse das Problem nicht, weil die „heiße Kartoffel“ geistiges Eigentum von den Diskussionen ausgeklammert werde. Staaten mit Pharmaindustrie seien nicht willens, mit den im internationalen Patentsystem vorhandenen Mitteln, wie beispielsweise Zwangslizenzen, sicherzustellen, dass möglichst viel Impfstoff in möglichst vielen Ländern produziert werden kann, sagt Durisch. Reichere Länder wie die Schweiz wollten sich nicht mit den in ihren Ländern beheimateten Unternehmen anlegen, denn für die sei Wort Zwangslizenz „ein Schreckgespenst“. 

Das BAG und die DEZA bezeichnen Covax als die einzige globale Initiative, die mit Regierungen und Herstellern zusammenarbeitet, um die faire Verteilung sicherzustellen. Ein internationales Netzwerk von NGOs, darunter auch Public Eye, hat jedoch zusammen mit der WHO und Costa Rica eine eigene Initiative lanciert, den Covid-19 Technology Access Pool (C-TAP). Die Initiatoren sehen Patente und andere Exklusivrechte als Hindernisse für einen gerechten Zugang zu erschwinglichen Impfstoffen. Staaten finanzieren maßgeblich die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen, stellen aber keine Bedingungen, beispielsweise bei der Preissetzung. In einer globalen Krise wie der Corona-Pandemie sei das nicht vertretbar, sagt Durisch. Deshalb wolle C-TAP alle Beteiligten, einschließlich Pharmaunternehmen, an einen Tisch bringen, um freiwillige Lizenzvergaben auszuhandeln. Zwangslizenzen sollten nur wenn nötig verhängt werden. Bis Ende August hatten sich die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer C-TAP angeschlossen sowie aus Europa Norwegen, Portugal, Luxemburg, Belgien und die Niederlande.

Gemäß BAG und DEZA engagiere sich die Schweiz für eine „konstruktive Zusammenarbeit mit Rechteinhabern und (…) pharmazeutischen Unternehmen“ und werde C-TAP nicht unterstützen. Durisch bezweifelt indes, dass Covax seine Ziele erfüllen wird. Die Solidarität, die den Diskurs zu Beginn der Pandemie beherrscht habe, sei auf der Prioritätenliste hinabgerutscht. „Jetzt sind wir wieder zurück im Wettbewerb: Erst wir, dann die anderen.“

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erschienen in Ausgabe 10 / 2020: Idealismus und Karriere
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