Wirtschaft versus Hilfswerke

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Picture Alliance, Keystone, Peter Schneider
Umstrittenes politisches Bekenntnis: Die Pauluskirche in Bern wirbt im Herbst für die Konzernverantwortungsinitiative.
Schweiz
Die Konzernverantwortungsinitiative ist zwar gescheitert, doch Wirkung hat sie trotzdem erzielt. Die Wirtschaftslobby fühlt sich herausgefordert und reagiert mit Druck auf NGOs und Hilfswerke.

Während gut fünf Jahren hatte ein Bündnis von 130 NGOs, Kirchenverbänden und Hilfswerken Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mobilisiert. Es sammelte rund 15 Millionen Franken – ein Spendenrekord. Die „Ja zur Konzernverantwortungsinitiative!“-Fahnen hingen an Balkonen und Kirchtürmen von Bellinzona bis ins Berner Oberland. Die Initiative wollte erreichen, dass Schweizer Konzerne für im Ausland verursachte Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden haften.

Die Initiative erreichte zwar die Mehrheit der Volksstimmen, aber nicht die der Kantone – als erste Initiative seit 65 Jahren; beide Mehrheiten sind für einen Sieg an der Urne nötig. Somit tritt der Gegenvorschlag der Regierung in Kraft. Dieser sieht vor, dass Konzerne über ihre Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards und zu ihrem Arbeitnehmerschutz berichten müssen. In den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien müssen die Unternehmen besondere Sorgfaltspflichten einhalten. Der Gegenvorschlag, dessen Umsetzungsgesetz in Arbeit ist, sieht jedoch keine Haftung für Verletzungen vor.

„Weckruf für freiheitlich gesinnte Kreise“

Trotz des Scheiterns der Initiative weht der wirkungsmächtigen Wirtschaftslobby ein unerwartet rauer Wind entgegen. Zivilgesellschaftliche Kampagnen etwa zum Klimaschutz oder wie die zur Konzernverantwortung zielten im Kern auf eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik, schreibt Markus Mugglin, Journalist und Autor des Buches „Konzerne unter Beobachtung: Was NGO-Kampagnen bewirken können“ auf dem Onlineportal „infosperber.ch“. Wirtschaftspolitik sei nicht mehr nur Sache der Wirtschaft: „Die Wirtschaft sind wir alle, nicht nur die Arbeitgeber und deren Wirtschaftsverbände“, schreibt Mugglin. Viele Unterstützer und Unterstützerinnen der Konzernverantwortungsinitiative nehmen bereits weitere wirtschaftspolitische und umweltrelevante Themen ins Visier, etwa im Rahmen der Stop Palmöl-Kampagne das geplante Handelsabkommen mit Indonesien.

Wirtschaftsnahe und bürgerliche Politikerinnen und Politiker werten den hohen Anteil der Ja-Stimmen für die Konzernverantwortungsinitiative als „Weckruf“ für „freiheitlich gesinnte Kreise und Unternehmer“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb. Mit mehreren politischen Vorstößen machen sie nun Druck und versuchen die politischen Aktivitäten von NGOs zu unterbinden.

Keine öffentlichen Mittel für Kampagnen

Einer dieser Vorstöße verlangt, dass gemeinnützige Organisationen nicht mehr steuerbefreit sind, wenn sie politisch aktiv werden. Ein weiterer Vorstoß zielt darauf, Projekte nichtstaatlicher Organisationen, die sich an politischen Kampagnen beteiligen, nicht mehr mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Zudem wird der Bundesrat in einem Postulat (einem parlamentarischen Vorstoß) aus den Reihen der konservativen CVP aufgefordert, in einem Bericht darzulegen, welche NGOs staatlich gefördert werden, was die Organisationen mit dem Geld machen und welche aktiven Politiker und Politikerinnen in Steuerungsorganen der Organisationen vertreten sind.

Hintergrund ist ein Fall, in dem das Hilfswerk Solidar Suisse, dessen Präsident ein Nationalrat der sozialdemokratischen SP ist, Fördermittel der staatlichen Entwicklungsagentur Deza in Höhe von 24.000 Franken falsch verbucht hatte: Statt für Entwicklungshilfe wurde das Geld für einen Bericht über Kinderarbeit auf Baumwollplantagen verbucht. Mit diesem Bericht hat Solidar Suisse unter anderem die Konzernverantwortungsinitiative unterstützt. Das Hilfswerk korrigierte den Buchungsfehler umgehend; für die bürgerlichen Parteien war der Fall dennoch ein gefundenes Fressen.

Kirchen zur politischen Neutralität verpflichten

Die Deza schrieb daraufhin alle relevanten NGOs an und erinnerte sie daran, dass ihre Fördermittel nicht für politische Lobby-Arbeit in der Schweiz verwendet werden dürfen. Kurz vor Weihnachten berichteten Schweizer Zeitung zudem über einen Brief des Außendepartements (EDA) an die NGOs mit der Aufforderung, DEZA-Mittel nicht zur Informations- und Bildungsarbeit im Inland zu verwenden. Laut der Zeitung „Blick“ verwahrt sich das EDA gegen den Vorwurf, es habe dem Druck der Konzerne nachgegeben. Es räumt aber ein, Anlass für den Brief sei das Engagement der NGOs für die Konzernverantwortungsinitiative gewesen.

Neben diesen Vorstößen fordern drei bürgerliche St. Galler Kantonsräte die Kantonsregierung auf, die Kirchen zur politischen Neutralität zu verpflichten. Kirchenverbände und Kantonalkirchen hatten mehrheitlich die Konzernverantwortungsinitiative unterstützt. Während des Abstimmungskampfs hatte die liberale Partei Jungfreisinnige Schweiz deshalb versucht, Kirchen von Äußerungen zu der Initiative abzuhalten. Das Gesuch scheiterte vor dem Bundesgericht.

Die Vorstöße versuchten offensichtlich das politische Engagement von NGOs und Hilfswerken zu behindern, sagt Jeanne Pestalozzi, Stiftungsratspräsidentin des evangelischen Werks Brot für alle, in einem Interview mit dem News-Portal der reformierten Kirche. Diese neue Form des zivilgesellschaftlichen Mobilisierens sei „eine gewaltige Herausforderung“ für die klassisch organisierten Kräfte wie die Wirtschaft, die Parteien, den Staat und die Kirchen.

Hilfswerke müssen sich politisch engagieren dürfen, sagt Pestalozzi. Bei Brot für alle sei das entwicklungspolitische Engagement im Stiftungszweck festgehalten. „Die Landeskirchen haben uns dafür mandatiert.“ Gemeinnützigkeit habe immer die Gesellschaft als Ganzes im Blick: „Ich wüsste gar nicht, wie Gemeinnützigkeit funktionieren sollte, ohne auch die Wurzeln der Ungerechtigkeit zu benennen und sich für eine Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen einzusetzen“, sagt Pestalozzi.

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