"Unternehmen haben Sorgfaltspflichten"

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Lieferketten
Amnesty International-Vorstandsmitglied Mathias John erklärt, warum er nach dem Gerichtsurteil gegen den Ölkonzern Shell in den Niederlanden auf ähnliche Verfahren in Deutschland hofft.

Mathias John ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied bei Amnesty International Deutschland und arbeitet vor allem zu menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen und zu Rüstungsexporten.
Im Januar hat ein niederländisches Gericht den Ölkonzern Shell verurteilt, mehrere Bauern in Nigeria wegen der Verschmutzung ihres Landes aufgrund undichter Ölleitungen zu entschädigen. Wie ist dieses Urteil zustande gekommen?
Im Jahr 2018 hatte ein niederländisches Berufungsgericht entschieden, Shell könne in den Niederlanden wegen der Ölverschmutzung in Nigeria verklagt werden. Die Instanzen davor hatten das stets zurückgewiesen und waren der Argumentation von Shell gefolgt, dass möglicherweise seine Tochtergesellschaft in Nigeria verantwortlich sei und die Verfahren deshalb dort stattfinden müssten. Das Berufungsgericht hingegen hat die Verfahren gegen Shell und seine nigerianische Tochter verbunden und damit den Weg für das Urteil im Januar frei gemacht. Gut möglich, dass das Gericht dabei auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Blick hatte. Die haben die Ansicht gestärkt, dass Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten haben.

Ist ein solches Urteil auch in Deutschland denkbar?
Wir hoffen das. Das Verfahren gegen den Bekleidungskonzern KiK wegen des Brandes in einer Textilfabrik in Karatschi in Pakis-tan im Jahr 2012, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden, war meines Wissens das erste seiner Art, das von einem deutschen Gericht angenommen wurde. Allerdings haben die Gerichte pakistanisches Recht angewendet und danach in letzter Instanz geurteilt, die Ansprüche der Opfer seien verjährt – obwohl KiK selbst zunächst auf Verjährungsfristen verzichtet hatte. 

Verjährt heißt ja: Leider zu spät, aber nicht prinzipiell aussichtslos.
Richtig. Die Gerichte haben den Fall angenommen und hätten meiner Ansicht nach auch weiter verhandeln können. So wie im Fall der Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE wegen der Folgen der Erderwärmung: Da hat das Oberlandesgericht Hamm die Beweisaufnahme angeordnet, das Verfahren läuft noch. Wenn hier gezeigt würde, dass RWE eine Mitverantwortung trägt, wäre das ein echter Präzedenzfall für Deutschland.

Wenn solche Urteile gegen Unternehmen wie Shell und möglicherweise auch gegen RWE heute schon möglich sind, ist dann ein Lieferkettengesetz noch nötig?
Ja, wir brauchen das dringender denn je. Ein solches Gesetz soll ja vorbeugend gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden wirken: Die Unternehmen sollen ihre Wertschöpfungsketten transparent machen, auf Risiken für Menschenrechte prüfen und dagegen vorgehen. Zudem sollte die Haftung neu geregelt werden, damit Gerichte nicht mehr solche Schleifen drehen müssen wie das Berufungsgericht in Den Haag. Und sie könnten dann nicht mehr wie im Fall von KiK auf pakistanische Verjährungsfristen verweisen. Es ginge dann um eine nach deutschem oder noch besser europäischem Recht verbindliche Sorgfaltspflicht.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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