Im Dienst der Mächtigen

Reyes/picture alliance/ZUMAPRESS.com
Ana Gabriela Guevara (Dritte von links) besucht im Februar die Sporthochschule von Mexiko-Stadt. Die frühere Läuferin leitet die staatliche Sportför­derung und steht im Zentrum von Korruptionsskandalen.
Sport in Mexiko
In Mexiko nutzen Politiker den Sport, um Stimmen zu fangen und Geld abzuzweigen. Die neue Regierung hat versprochen, mit solcher Korruption Schluss zu machen – und sich bereits selbst in Skandale verstrickt.

Seit Ende 2018 regiert in Mexiko Andrés Manuel López Obrador von der Nationalen Erneuerungsbewegung (Morena). Er ist der erste Präsident, der weder zur Partei der Institutionellen Revolution (PRI) gehört noch zur Partei der Nationalen Aktion (PAN) – den einzigen Parteien, die zuvor auf Bundesebene regiert hatten. Er hat versprochen, dass die alten politischen Machtgruppen nicht länger öffentliches Geld abzweigen können und Ehrlichkeit, Transparenz und das Gesetz zur Richtschnur werden, auch im Sport.

Die Mexikaner haben aber nicht das Gefühl, dass die antidemokratischen Praktiken vorbei sind, mit denen die Nation ausgeplündert wurde. Zum Beispiel ist ein Video aufgetaucht, das zeigt, dass Pío Lorenzo López Obrador, der Bruder des Präsidenten, von einem Beamten gesetzwidrig Hunderttausende Pesos für den Präsidentschaftswahlkampf seines Bruders entgegennimmt. Und das größte Staatsunternehmen, der Ölkonzern Petroleos Mexicanos, hat Aufträge in Millionenhöhe für Umweltanalysen an eine Cousine des Präsidenten vergeben.

Auch im Sport wandert öffentliches Geld in Richtung der Machthaber; das zeigen Recherchen von Journalisten, durchgestochene Dokumente und Strafanzeigen. Ein Skandal hat das Land gerade zu der Zeit erschüttert, als im Januar 2021 die Zahl der Covid-19-Toten auf fast 140.000 stieg und die überlasteten Krankenhäuser um mehr Geld und Personal baten. Für die Umgestaltung des Stadions der Profi-Baseballmannschaft von Guacamayas in der kleinen Stadt Palenque stellte die Bundesregierung 89 Millionen Pesos (etwa 4,5 Millionen US-Dollar) bereit. Das Staatsoberhaupt vergab damit einen immensen Geldbetrag für das Stadion einer regionalen Baseballmannschaft, die sein umstrittener jüngerer Bruder Pío Lorenzo ins Leben gerufen hatte und von der die meisten Mexikaner noch nie gehört hatten: Guacamayas spielt nicht in der oberen Profiliga, sondern in einer niedrigeren. Mit dem Geld sollten unter anderem Geschäftsräume und VIP-Tribünen geschaffen werden. Der Präsident sagte natürlich nie, dass die Mannschaft von seiner Familie finanziert und gesteuert wurde.

Korruption bei der Kommission für Sport

Die Korruption im Sport hat in den vergangenen zwei Jahren die höchsten Ebenen erreicht. Um den Breitensport ebenso wie den Spitzensport zu fördern, gibt es in Mexiko die Kommission für Sport und Körperertüchtigung (Conade). Ihre Generaldirektorin ist seit Dezember 2018 die bekannteste Sportlerin in der Geschichte der mexikanischen Leichtathletik, die frühere Läuferin Ana Gabriela Guevara. Sie hat bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 die Silbermedaille und bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Paris 2003 Gold gewonnen. Und sie steht im Zentrum vieler Korruptionsvorwürfe und Ermittlungen. Das Sekretariat für den Staatsdienst (SFP) vermutet, Guevara habe beim Umgang mit Staatsgeld das Gesetz gebrochen; das Sekretariat gehört zu derselben Regierung, die an der Funktionärin festhält: Guevara behält ihren Posten, weil der Präsident sie stützt. Er erklärt, politische Rache sei der Grund für die kritischen Nachfragen.

Die Opposition hat Guevara mehrfach aufgefordert, ihr Amt niederzulegen. Die Liste mit Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten ist lang. Ihr wird vorgeworfen, Mittel aus dem Treuhandfonds für Leistungssport veruntreut zu haben, der Kosten für Training, Lebenshaltung und Reisen zu Wettbewerben für vielversprechende mexikanische Athleten übernimmt. Die Verfahren gegen sie sind noch nicht abgeschlossen, aber es steht wohl fest, dass um die 100 Millionen Pesos (fünf Millionen US-Dollar) an Unternehmen zweifelhafter Herkunft gezahlt worden sind. Um Ausgaben nachzuweisen, wurden falsche Rechnungen genutzt, womit auch ein Schaden für die Steuerbehörde entstanden wäre.

Autor

Annibal Santiago

ist Journalist in Mexiko-Stadt. Er schreibt für mehrere Zeitungen und Zeitschriften, arbeitet für den Fernsehsender "Imagen Televisión" und wirkt bei zwei Podcasts mit.
Der Höhepunkt der Auffälligkeiten aber war: Das Unternehmen Cocinas Industriales Multifuncionales de Calidad hat sich wie viele andere um einen Auftrag für die Verköstigung von Trainern und Sportlern am nationalen Zentrum für Spitzensport beworben, jener Einrichtung für herausragende Sportler. Nach Angaben der Firmeninhaber versprach ihnen Ana Guevara, dass sie den Zuschlag bekämen, wenn sie unter der Hand etwas mehr als 15 Prozent der mehr als 16,5 Millionen Pesos zurückgäben, die sie verdienen würden. Das Unternehmen gestand in den Medien ein, die illegalen Geschäftsbedingungen akzeptiert zu haben, doch es beging einen „Fehler“: Es zahlte nur einen Teil des geforderten Bestechungsbetrags. Die Sportkommission beendete die Geschäftsbeziehung.

Die Anwälte des Unternehmens, Rafael Sánchez und Jesús Chaín, enthüllten in der Presse die mutmaßlichen korrupten Handlungen der Sportmanagerin, und im Mai 2020 nahm die Justiz Ermittlungen wegen Erpressung auf. Im folgenden Monat attackierte ein Kommando in Veracruz beide und schoss auf sie. Der Anschlag sei ein Akt der Vergeltung seitens Ana Gueveras, weil sie deren Erpressung öffentlich gemacht hatten, versicherten sie. Sie haben Strafanzeige wegen Mordversuchs gestellt; die Untersuchung dauert an.

Die Roten Haie und die Regierung von Veracruz

Wenn öffentliche Mittel für den Sport derart zweckentfremdet werden, ruft das Entrüstung hervor, denn Mexiko hat sich von der neuen Regierung eine Wendung zur Aufrichtigkeit erhofft. Das Übel ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der heutigen Verwaltung, seine Wurzeln reichen viel tiefer. Ein Beispiel sind die Roten Haie von Veracruz. Diese sehr beliebte Fußballmannschaft spielt mal in der ersten, mal in der zweiten Profiliga Mexikos. Und die PRI, die in 79 der vergangenen 100 Jahre in Mexiko den Präsidenten stellte, hat den Club missbraucht, bedrängt und ausgenutzt.

Die 1943 gegründeten Haie haben ihren Sitz in der gleichnamigen Hauptstadt von Veracruz. Der Bundesstaat ist mit mehr als acht Millionen Einwohnern der mit der drittgrößten Bevölkerung und der viertschwächste in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht; 62 Prozent der Menschen dort sind arm. In Veracruz kämpfen seit 2006 zwei grausame Drogenkartelle, Jalisco Nueva Generación und Los Zetas, um die Vorherrschaft und haben eine Tragödie mit Tausenden Toten und Verschwundenen hervorgerufen. In diesem blutigen Umfeld haben regierende PRI-Politiker den roten Club benutzt, um Wahlkampf zu führen, Berge von öffentlichen Geldern zu bewegen und befreundete Unternehmer zu begünstigen. 

Die Allianz zwischen der PRI und den Haien bestand mehr als drei Jahrzehnte: Sie wurde Ende 1989 geschmiedet. Damals erwarb die Provinzregierung unter dem Gouverneur Dante Delgado die Lizenz einer Mannschaft, die aus der zweiten Liga aufgestiegen war, und übertrug sie durch Änderung des Namens auf die Haie. So konnten diese, die ein Jahrzehnt zuvor abgestiegen waren, in der höchsten Liga auferstehen.

In dieser Mannschaft spielte das größte Fußball­idol aller Zeiten in Veracruz, der Argentinier Jorge Comas. Die Mannschaft war die erste, bei der die laufenden Kosten und die Gehälter von Spielern und Managern aus Steuermitteln bezahlt wurden; die Gehälter entsprachen den europäischen, sie beliefen sich auf Millionen Dollar. Seither waren neun Gouverneure im Amt und alle waren in die Verwaltung des Fußballclubs verwickelt – teilweise nur, um Sympathien zu erzeugen und politische Unterstützung zu erhalten, denn der Sport ist sehr populär. Wie viel Geld die Regierung der Mannschaft in 31 Jahren zukommen ließ, kann nicht genau beziffert werden, es waren Schätzungen zufolge aber nicht unter umgerechnet 50 Millionen US-Dollar.

Die wachsame Öffentlichkeit stellte zwar infrage, dass eine Fußballmannschaft Steuergeld über undurchsichtige verborgene Transaktionen erhielt. Doch es gibt eine Möglichkeit, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen: das Gesetz zur staatlichen Organisation des Sports. Es erlaubt dem lokalen Kongress, professionellen Basketball-, Baseball- und Fußballmannschaften Geld zur Verfügung zu stellen. So verschwendet ein Bundesstaat, in dem vieles im Argen liegt, seine Ressourcen für die Ermittlung von Spielerwerten, für Sportanlagen, Prozentsätze beim Sponsoring und Zahlungen an Funktionäre. 

Sportlich hat sich die Allianz der Haie mit der Regierung von Veracruz nicht gelohnt. Seit 1950 hat die Mannschaft nicht mehr den nationalen Meistertitel geholt. Es half auch nicht, 2004 und 2010 Cuauhtémoc Blanco unter Vertrag zu nehmen, der neben Hugo Sánchez als bester mexikanischer Fußballer der Geschichte gilt. Ihn abzuwerben, diente nur seiner Bereicherung.

Die Rolle des Geschäftsführers Fidel Kuri

Ein herber Schlag für die Staatskassen von Veracruz kam 2013: Javier Duarte, der Gouverneur von 2010 bis 2016 und heute wegen Korruption in Haft, kaufte über seine Regierung die soeben in die erste Liga aufgestiegene Mannschaft Reboceros de La Pie­dad und änderte den Namen in „die Haie“ (die ursprünglichen Haie spielten damals in der zweiten Liga). Duarte, ein Mitglied der PRI, kaufte die Reboceros von niemand Geringerem als dem Unternehmer Fidel Kuri, der als Mitglied derselben Partei Abgeordneter sowohl auf Bundes- wie auf lokaler Ebene war. Er erhielt dafür umgerechnet 6,5 Millionen US-Dollar. Beide traten regelmäßig und ohne Scheu gemeinsam vor der Presse auf, um die Allianz zwischen der PRI und den Haien zu demonstrieren. 

Fidel Kuri ist selbst unter seinesgleichen nicht mehr wohlgelitten: Dem Besitzer des Fußballclubs aus Veracruz wird Ende 2019 der Zugang zur Versammlung der Clubeigen­tümer verwehrt.

Obwohl das Stadion Luis „Pirata“ Fuente in staatlichem Besitz ist, trat die Regierung Duarte Kuri zu Geschäftszwecken sowohl den Namen als auch die Marke der Roten Haie ab und ebenso die Einkünfte aus dem Parkplatz des Stadions, die Anlagen des Hochleistungszentrums und sogar das Logo – kostenlos. Die einzige Bedingung war, dass die Roten Haie in Veracruz bleiben würden und die Lizenz nicht verkauft würde (wie es im mexikanischen Fußball durchaus üblich ist).

In den Gouverneurswahlen in Veracruz 2016 wurde die politische Instrumentalisierung der Mannschaft auf die Spitze getrieben. In einer Pressekonferenz im Mai 2016 legte Kuri dar: „Entweder gewinnt Héctor Yunes, oder es besteht das Risiko, dass die Haie gehen. Ich habe drei Angebote in anderen Bundesstaaten der Republik.“ Er drohte also, die Lizenz zu verkaufen, wenn der Kandidat seiner Partei, der PRI, die Wahl verlieren würde. Am Ende erhielt Yunes 30 Prozent der Stimmen und verlor. Die Zurückweisung in der Gesellschaft, der Sportwelt und den anderen politischen Parteien war klar: Der Fußball und seine Leute waren Geiseln der PRI. 

Die Geschäftsführung von Kuri war die schlechteste in der 77 Jahre währenden Geschichte der Fußballmannschaft. Der Besitzer des Vereins akzeptierte, dass viele Verträge mit Spielern und dem Betreuerteam nur mündlich geschlossen wurden. Die Haie spielten 41 Spiele nacheinander ohne einen Sieg. Der mexikanische Fußballbund beschloss Ende 2019, wegen Missachtung von Verträgen und Verstößen gegen die Verwaltungsvorschriften des Clubs, die Haie auszuschließen. Damit sind sie aus der ersten Liga ausgeschieden. Ihre Schulden bei Spielern, anderen Fußballclubs und dem mexikanischen Fußballbund belaufen sich auf umgerechnet 2,2 Millionen US-Dollar.

Heute sind die Haie von der Bildfläche verschwunden – doch allen Anzeichen nach nicht für allzu lange. Der heutige Gouverneur von Veracruz, Cuitláhuac García von der Partei Morena, hat der Bevölkerung von Veracruz versprochen, seine Regierung werde sich dafür einsetzen, dass die Haie bald zurück im Profifußball sind.

Aus dem Spanischen von Christine Lauer.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
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