Fluchtursachen näher betrachtet

picture alliance / SZ Photo/Metodi Popow
Ein Versuch, den Streit über Migration zu versachlichen: Bärbel Dieckmann, Vorsitzende der Fachkommission, präsentiert den neuen Bericht.
Migration
„Krisen vorbeugen, Perspektiven schaffen, Menschen schützen“ lautet der Titel des Berichts, den die Fachkommission Fluchtursachen vorgelegt hat. Er analysiert Ursachen von Flucht und irregulärer Migration und gibt der Politik Leitlinien an die Hand.

Eine davon ist die Zielmarke von 0,05 Prozent der eigenen Bevölkerung. Diese Zahl an Geflüchteten sollen Staaten pro Jahr aufnehmen, insbesondere Frauen, Kinder und Opfer sexualisierter Gewalt aus humanitären Krisengebieten. Die Kommission erläutert nicht, wie sie auf diese Zielgröße kommt. Im Falle von Deutschland wären das 40.000 Menschen, heißt es in dem Bericht, der hierfür den Schulterschluss vor allem mit Frankreich, Benelux, den skandinavischen Staaten, Portugal und Irland empfiehlt. So würden insgesamt 120.000 Zusagen zur Neuansiedlung zustande kommen. Der 70. Geburtstag der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in diesem Jahr wäre ideal für so eine multilaterale „Allianz für Resettlement“, so die Kommission; der Vorschlag ist eine von 15 Weichenstellungen für die Politik in dem Bericht. 

Die Fachkommission will ihr Werk ausdrücklich den Parteien einer künftigen Koalition für ihre Verhandlungen an die Hand geben. Klimawandel und die Folgen der Corona-Pandemie würden den Migrationsdruck verstärken. Die „Querschnittsaufgabe“ müsse von allen Politikressorts und in Kooperation mit der EU effizienter als bisher angegangen und langfristig finanziert werden, betonte die Ko-Vorsitzende Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes. 

Ungleichheit, Klimastress und Ressourcenknappheit als Fluchtursachen

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hatte das Gremium eingesetzt, um das deutsche Engagement zur Minderung der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration zu verbessern. Noch vor der Bundestagswahl will er mit anderen Ministerien Schlussfolgerungen vereinbaren. Er würdigte die Expertise der 24 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft, nichtstaatlichen und internationalen Organisationen, die mit ihrer Expertise das Spektrum relevanter Migrationsursachen abdeckten: von Konflikten und politischer Verfolgung bis hin zu Ressourcenknappheit, unsicherer Ernährung, Ungleichheit und Klimastress. 

Bessere Lebensperspektiven seien das Ziel, um Ursachen für Migration und Flucht abzustellen, unterstrich die zweite Ko-Vorsitzende Bärbel Dieckmann, Ex-Präsidentin der Welthungerhilfe. Nötig seien staatliche soziale Sicherungssysteme, so dass Menschen mit Ernährung, Gesundheit, Bildung und Energie versorgt seien. Vorrangig seien zudem mehr Klimaschutz sowie Unterstützung für Binnenvertriebene und für Aufnahmeländer von Geflüchteten.  

Millionen Geflüchtete in Uganda und Sudan

Die Fachkommission betont außerdem, nötig seien mehr Krisenprävention und eine aktivere Konfliktbewältigung. Zu selten würden die Ursachen von Konflikten bearbeitet, häufig ein Streit um knappe Ressourcen. Die Kommission plädiert für die Einrichtung eines Rats für Frieden, Sicherheit und Entwicklung, in dem Analysen und Strategien zusammenlaufen. Personal aus Deutschland für Mediation und humanitäre Diplomatie sollten ausgebaut, Rüstungsexporte und Sicherheitskooperationen dagegen geprüft werden, ob sie Konflikte anheizen oder Menschenrechtsverstöße befördern.

In den wichtigsten Transitländern müsse man mit mehrjähriger Hilfe Strukturen verbessern, die dort Lebensgrundlagen für Geflüchtete schaffen, mahnt der Bericht. Häufig ließen fehlender Schutz, prekäre Lebenslagen und der Mangel an Perspektiven Menschen nicht zur Ruhe kommen. Die Nachbarländer Syriens hätten mittlerweile alle Grenzen geschlossen, berichtete Migrationsexperte Gerald Knaus. Und aus Afrika sei im vergangenen Jahr nur ein Prozent der Geflüchteten überhaupt nach Europa gelangt, allein Uganda und Sudan hätten Millionen Menschen aufgenommen. 

Auch mit der EU-Außengrenze, von der Geflüchtete häufig widerrechtlich zurückgetrieben werden, setzt der Bericht sich kritisch auseinander. Besonders hart ging Minister Müller mit der EU ins Gericht, die vor allem auf die Grenzsicherung setze, es in ihrem Wirken nach außen aber an Verantwortung fehlen lasse. Die Aussetzung der EU-Seenotrettung nannte er „fatal“: So werde das Mittelmeer ein „Meer des Todes“.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2021: Entwicklung wohin?
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