Seenotretter wider Willen

REUTERS/Juan Medina
Eine NGO-Mitarbeiterin kümmert sich Anfang September um Geflüchtete vor Lampedusa. Auch Handels­schiffer kommen öfter in solch eine Lage.
Handelsschiffe
Nicht nur nichtstaatliche Organisationen retten auf dem Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot, auch Handelsschiffe kommen Migranten immer wieder zur Hilfe. Dadurch geraten sie unverschuldet in Schwierigkeiten, beklagt der Reederverband European Community Shipowners‘ Associations (ECSA). 

„Handelsschiffe werden natürlich weiter Menschen aus Seenot retten. Das ist eine moralische und rechtliche Verpflichtung“, macht ECSA-Generalsekretär Martin Dorsman im Gespräch mit „welt-sichten“ klar. Es dürfe sich dennoch nicht wiederholen, was in der Vergangenheit den Kapitänen von Handelsschiffen ebenso widerfahren ist wie denen von privaten Rettungsorganisationen: dass EU-Länder ihnen nach der Rettung keinen Hafen zuteilen. „Sie müssen die Garantie haben, schnell und vorhersehbar anlanden zu können.“ 

Handelsschiffe hätten manchmal eine Crew von nur sechs Leuten, erklärt Dorsman, dessen Organisation in Brüssel die Interessen von Reedern aus 20 Ländern vertritt. „Wenn sie 100 weitere Menschen aufnehmen, können Sie sich die Situation vorstellen. Es gibt natürlich Vorräte an Bord, aber die gehen schnell aus.“ Auch die medizinische Versorgung sei heikel, insbesondere in der Corona-Pandemie. Hinzu komme die psychologische Belastung. „Es kann problematisch werden, wenn die Leute an Bord festsitzen, ohne Gewissheit, was in den nächsten Tagen passiert.“

So wie im Fall der „Maersk Etienne“. Der dänische Tanker geriet im Spätsommer 2020 in die Schlagzeilen, nachdem er im Mittelmeer 27 Migranten an Bord genommen hatte. Über einen Monat mussten sie und die Besatzung ausharren, bevor ein privates Rettungsschiff sie übernehmen und schließlich in Italien anlanden durfte. „Das ist ein Beispiel, was für die Schifffahrtsbranche nicht akzeptabel ist“, urteilt Dorsman. 

Malta-Mechanismus hat noch keinen Erfolg

Dem ECSA-Generalsekretär zufolge müssen Handelsschiffe Folge leisten, wenn ihnen die Behörden etwa vorgeben, in Libyen anzulanden und die Flüchtlinge dort an Land zu setzen. Zugleich könne es dann neue Probleme geben, etwa wenn die Geretteten dagegen protestieren. 

Für Dorsman sind alle EU-Staaten für die Misere verantwortlich. Nördliche Länder müssten sich solidarisch mit Ländern wie Italien und Malta zeigen und ihnen gerettete Migranten abnehmen, damit diese die Schiffe mit ihnen überhaupt anlanden ließen. Der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2019 mit initiierte Malta-Mechanismus, der eine schnelle Ausschiffung und Verteilung von Geretteten leisten sollte, habe noch keinen Erfolg gehabt. Und die EU-Kommission sehe zwar das Problem der Reeder und wirke auf die Länder ein, so Dorsman. „Aber die politische Situation in den meisten Mitgliedstaaten ist einer schnellen Lösung nicht günstig.“

Den Schifffahrtsunternehmen geht durch Rettungsmanöver auch Geld verloren. Entschädigungen der öffentlichen Hand hält der ECSA-Generalsekretär jedoch für keine gute Idee. Denn erhalte die Handelsflotte finanzielle Mittel, könnte der Staat sie als „Standardoption“ für Einsätze missverstehen, fürchtet er. „Seenotrettung muss aber von spezialisierten Schiffen und Crews gemacht werden.“ 

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erschienen in Ausgabe 10 / 2021: Pfingstler auf dem Vormarsch
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