Schweizer Klimaschutz: Holpriger Weg zu netto Null

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Protestaktion für mehr Klimaschutz der Gletscher-Initiative im September 2020.
Klimawandel
Die Schweiz will ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 auf netto Null senken. Doch der Weg dorthin scheidet nach dem Scheitern des neuen CO2-Gesetzes die Geister.

Im Juni haben die Schweizerinnen und Schweizer mit 51,6 Prozent das Gesetz zur Verminderung von Treibhausgasemissionen, genannt CO2-Gesetz, an der Urne abgelehnt. Es war bereits ein hart verhandelter politischer Kompromiss. Nun hat die Schweiz keinen Umsetzungsplan für ihre Ziele, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 um 50 Prozent und bis zum Jahr 2050 auf netto Null (Emissionen abzüglich Aufnahme von CO2 etwa in Wäldern) zu senken. 

Seit dem Sommer ist die Politik damit beschäftigt, ein mehrheitsfähiges Übergangsgesetz zu schustern, das ab Januar 2022 bis 2024 gültig sein soll; im Winter soll das Parlament darüber abstimmen. Unterdessen hat die Ablehnung des CO2-Gesetzes der Initiative „Für ein gesundes Klima“, besser bekannt als „Gletscher-Initiative“, Aufwind verliehen. Sie strebt das Netto-Null-Ziel an, fordert aber darüber hinaus, dass dieses und weitere Ziele in der Verfassung verankert werden. So sollen ab 2050 fossile Brennstoffe nur noch in wenigen Ausnahmen zugelassen werden.

Handel mit Emissionsrechten als wichtiges Thema für die Schweiz

Den Gegenvorschlag zur Initiative, den die Regierung im August vorgelegt hat, lehnen die Initianten ab. Er hält fest, der Ausstieg aus den fossilen Energien müsse „wirtschaftlich tragbar“ sein. Michèle Andermatt, Politikverantwortliche der Gletscher-Initiative, sagt dazu, das Kriterium der wirtschaftlichen Tragbarkeit dürfe die Ziele der Initiative nicht verwässern. „Wenn dieses Kriterium zum Beispiel auch auf die Erdölindustrie angewendet werden kann, dann erreichen wir das Netto-Null-Ziel nicht.“ 
Die Initiative und der Gegenvorschlag durchlaufen im Herbst den parlamentarischen Prozess. Je nach Ergebnis entscheidet das Initiativ-Komitee, ob es die Gletscher-Initiative zurückzieht oder ob die Schweiz darüber abstimmen soll. Das wäre frühestens 2023.

In der Zwischenzeit bereitet sich die Schweiz auf den diesjährigen UN-Klimagipfel COP26 in Glasgow vor. Patrick Hofstetter, Klimaschutzexperte beim WWF Schweiz, ist einer der drei zivilgesellschaftlichen Vertreter in der Schweizer Delegation. Er vertritt die Umwelt­allianz, ein loses Bündnis von vier großen Umweltorganisationen. Die Gletscher-Initiative könne genutzt werden, um die Schweizer Klimapolitik voranzubringen, meint er. Sie würde aber nicht alles regeln.

Ein Beispiel sei der Handel mit Emissionsrechten zwischen den Ländern, ein Themenschwerpunkt der COP26, der für die Schweiz besonders wichtig ist: Sie will mit bilateralen Klimaabkommen Emissionsreduktionen im Ausland in der Schweiz anrechnen und hat bereits mit Ghana, Peru und Senegal entsprechende Verträge geschlossen. Es sei zwar begrüßenswert, dass die Schweiz sich in Glasgow für klare Regeln einsetzen wolle, sagt Hofstetter – etwa dafür, dass die CO2-Reduktionen in nur einem der beiden Vertragsländer angerechnet werden dürfen, nicht in beiden, wie es einzelne Länder fordern. In den drei bisher abgeschlossenen Verträgen ist das bereits – zum Nutzen der Schweiz – geregelt. Es sei aber falsch, wenn die Reduktionen im Ausland ausschließlich den Schweizer Klimazielen angerechnet würden und nicht zu einem bestimmten Anteil den Zielen der Vertragspartner, sagt er. Zudem dürfe die Unterstützung von Klimaschutz im Ausland nicht auf Kosten von raschen Emissionsreduktionen in der Schweiz erfolgen.

Geld für Klimaschutz geht auf Kosten der Armutsbekämpfung

In Glasgow wird auch ein neues Ziel für die Klimafinanzierung verhandelt. Das 2009 vereinbarte Ziel, dass die reichen Länder jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz in Entwicklungsländern bereitstellen, ist letztes Jahr ausgelaufen. In der Schweiz wird darüber debattiert, woher das Geld für ein Nachfolgeabkommen kommen soll. Die Regierung habe im Parlament kein zusätzliches Budget für den Klimaschutz beantragt und wolle deshalb möglichst wenig für Klimaschutz im Ausland einsetzen, weil das Geld aus dem Entwicklungshilfebudget kommt und somit auf Kosten der Armutsbekämpfung ginge, so Hofstetter. Mit dem CO2-Gesetz wäre eine Erhöhung des Anteils der Schweiz auf eine Milliarde Franken pro Jahr möglich gewesen. „Da es abgelehnt wurde, sind wir zurück auf Feld eins.“

Um die Länder des globalen Südens wirksam bei der Bekämpfung des Klimawandels zu unterstützen, müsste die Schweizer Klimapolitik auch den Finanzplatz ins Visier nehmen, sagt Stefan Salzmann, verantwortlich für Energie und Klimagerechtigkeit beim Hilfswerk Fastenopfer, das die Gletscher-Initiative unterstützt. Gelder, die über den Schweizer Finanzplatz etwa in fossile Energien angelegt sind, würden mehr als das Zwanzigfache der inländischen Emissionen verursachen. Das beweise, dass die Schweiz „zwar ein kleines Land ist, aber große Wirkung erzielen könnte“, sagt Salzmann.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2021: Pfingstler auf dem Vormarsch
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