Knauserige EU-Klimadiplomatie

Brüssel
Die EU-Staaten haben Leitlinien für die europäische Klima­diplomatie formuliert. Eine wichtige Rolle spielt das Geld.

Der Rat der EU-Mitgliedstaaten hat Ende Februar und damit gut drei Monate nach der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow Schlussfolgerungen zur EU-Klimadiplomatie angenommen. Die 31 Abschnitte beziehen sich unter anderem auf die Reduktionsziele für Treibhausgase, die internationale Finanzierung zur Minderung des Klimawandels und zur Anpassung an die Folgen, auf Instrumente wie das CO2-Grenzausgleichssystem (siehe Kasten) sowie mit dem Klimawandel verknüpfte Themen wie die biologische Vielfalt. Die Leitlinien richten sich sowohl an die EU als auch die übrige Welt. 

Für Jan Kowalzig von Oxfam bieten sie Anlass zur Kritik. Die Aussagen zur Reduktion der CO2-Emissionen seien eine „große Enttäuschung“. Die EU erinnert in diesem Punkt zwar an die Aufforderung von Glasgow, neue, verschärfte Ziele (Nationally Determined Contributions, NDCs) für das Jahr 2030 aufzustellen. Aber sie wende die Aufforderung nicht auf sich selbst an, so Kowalzig. Es sei nicht erkennbar, dass Brüssel bis zur nächsten Weltklimakonferenz Ende des Jahres ein neues Ziel vorlegen will.

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Tatsächlich hatte die EU ihr neues Klimaziel für 2030, eine Reduktion um 55 Prozent gegenüber 1990, erst im Juni 2021 relativ kurz vor der Konferenz beschlossen. Kowalzig findet das keine Entschuldigung, nicht noch einmal nachzuschärfen: „Es reicht nicht.“ Anderer Meinung ist die Europaabgeordnete Hildegard Bentele (CDU). Sie hält die Schlussfolgerungen hier wegen der kurz zuvor erfolgten Erhöhung des EU-Ziels für in Ordnung. 

Enttäuscht ist Kowalzig auch von Bestimmungen zur Klimafinanzierung, die vor allem Entwicklungsländern zugutekommen sollen. Zum einen geht es um die 100 Milliarden US-Dollar, die die Industrieländer ab 2020 zur Verfügung stellen sollten. Die Minister vermerken in den Schlussfolgerungen mit Bedauern, dass die Summe nicht zusammengekommen ist, und formulieren als Ziel, dass dies spätestens ab 2023 geschieht. Kowalzig hätte gewünscht, dass zusätzlich ein Durchschnittswert von 100 Milliarden Dollar pro Jahr für 2020 bis 2025 angestrebt wird. In den Jahren 2023 bis 2025 müssten die reichen Länder dann mehr zahlen, um die Fehlbeträge der Jahre 2020, 2021 und 2022 auszugleichen.

Verlust von Heimat, Tradition und Kultur

Kowalzig kritisiert außerdem, dass die EU die Finanzierung von Verlusten und Schäden durch die Klimakrise laut Schlussfolgerungen nur „diskutieren“ will. Dabei hätten die Entwicklungsländer in Glasgow auf einen neuen Fonds oder Mechanismus gedrungen. Es geht Kowalzig zufolge etwa um Schäden, die entstehen, wenn Inseln als Folge des steigenden Meeresspiegels verschwinden. Das sei nicht nur ein finanzieller Verlust, sondern beispielsweise auch einer von Heimat, Tradition und Kultur. Lobend vermerkt Kowalzig dagegen, dass die EU sich das „Ziel“ setze, die kollektive Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel zu verdoppeln und hier auch „führen“ wolle. Das gehe über die Glasgower Formulierungen hinaus.

Der Europaparlamentarierin Bentele fehlen in den Schlussfolgerungen vor allem genaue Angaben, wer was tun soll. Zudem sei unklar, wer in der EU die leitende Figur sei; sie wünscht sich ein Pendant zum US-Klimabeauftragten John Kerry. Der im Text genannte EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sei nicht zuletzt mit der Sicherheitspolitik ausgelastet, und der für Klimafragen zuständige EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans habe mit der Klima- und Energiepolitik innerhalb Europas genug zu tun. Davon abgesehen müsste die EU für ihre Klimadiplomatie internationale Partner benennen, meint Bentele und erwähnt China. Insgesamt handele es sich bei den Leitlinien um eine Zustandsbeschreibung, keine Strategie, so die Europaabgeordnete.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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