"Bolsonaro wäre gerne ein brasilianischer Putin"

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Brasilien hat keine eindeutige Position zum Ukraine-Krieg. Klar sei nur, dass Bolsonaro sich nicht gegen Putin stellen wolle, sagt der brasilianische Politologe und Ökonom André de Mello e Souza und erklärt im Interview, welche Rolle das Thema im brasilianischen Wahlkampf spielen könnte.

André de Mello e Souza ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler am Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung IPEA in Rio de Janeiro.
Was ist die offizielle Position Brasiliens zum Ukraine-Krieg?
Darauf gibt es keine klare Antwort; die Position ist ziemlich dubios. Brasilien hat im UN-Sicherheitsrat und in der Generalversammlung für die Resolutionen gestimmt, die den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilen – als einziges Mitglied der BRICS-Staatengruppe, zu der noch Russland, Indien, China und Südafrika gehören. Aber als die Organisation Amerikanischer Staaten OAS den Angriff verurteilt hat, hat Brasilien dagegen gestimmt und das damit begründet, die OAS sei nicht das richtige Forum, um die Angelegenheit zu diskutieren. Präsident Bolsonaro hat ausdrücklich erklärt, Brasilien sei neutral, während der Vizepräsident Russland ziemlich heftig verurteilt hat.

Das heißt, es gibt keine Position?
Ja. Der Präsident hat die höchste Autorität für die Außenpolitik. Aber wenn das Außenministerium, das für das Stimmverhalten etwa in den UN zuständig ist, da nicht mitzieht, stellt sich tatsächlich die Frage: Was ist denn nun die Position der Regierung? Klar ist nur, dass Bolsonaro offenbar nicht bereit ist, sich gegen Wladimir Putin zu stellen. Kurz vor dem Angriff auf die Ukraine hat er Moskau besucht und sich solidarisch mit Russland erklärt.

Wie reagiert die brasilianische Politik auf diese unklare Haltung?
Viele kritisieren das. Die Opposition hat gesagt, die Haltung der Regierung widerspreche der außenpolitischen Tradition Brasiliens, das stets auf diplomatische Lösungen und auf Frieden gesetzt habe. Das sollte auch angesichts der eindeutig grundlosen Aggression Russlands gelten. Solche Kritik gab es auch innerhalb der Regierung. Bolsonaro hat das mit pragmatischen Argumenten gekontert, etwa dem, dass Brasilien für seine Landwirtschaft dringend weiter Dünger aus Russland brauche. Die Lebensmittelpreise seien jetzt schon deutlich gestiegen und das könnte sich weiter verschlimmern. Die Opposition stellt Bolsonaros Haltung hingegen als Schwäche dar: Seht her, er ist eine Marionette Putins.

Hat Bolsonaro Sympathien für Putins Führungsstil?
Ja. Brasilien ist ohne Zweifel deutlich demokratischer als Russland, aber viele Beobachter denken, dass Bolsonaro gerne ein brasilianischer Putin wäre. Er würde gern wie Putin regieren, kann es aber nicht, weil die Voraussetzungen in Brasilien ganz anders sind.

Hat die Opposition eine klare Haltung zum Krieg, vor allem Lulas Arbeiterpartei?
Auch hier sehe ich keine klare Position, es gibt unterschiedliche Statements von Vertretern der Partei. Lulas Problem ist, dass sich Teile seiner Partei auf Putins Seite geschlagen haben. Das sind die Kräfte in der radikalen brasilianischen Linken, die antiamerikanisch eingestellt sind und die Nato als Werkzeug des westlichen Imperialismus sehen. Deshalb tut sich Lula schwer damit, die schwammige Haltung der brasilianischen Regierung zu kritisieren. Er selbst hat sowohl Russlands Angriff verurteilt als auch die Politik Europas und der USA, die Nato nach Osten zu erweitern. Lula hat außerdem kundgetan, seiner Ansicht könnte der Krieg längst vorbei sein, würden sich alle Beteiligten mit ausreichend Bier an einen Tisch setzen.

Haben die USA Druck auf Brasilien ausgeübt, den Krieg zu verurteilen?
Auf jeden Fall. Als Brasilien für die UN-Resolutionen gegen Russland gestimmt hat, haben die USA die Regierung dazu beglückwünscht. Das verdeutlicht, dass da wohl Druck im Spiel war. Bolsonaros Regierung stand der US-Regierung unter Donald Trump deutlich näher als der amtierenden. Aber Brasilien kann sich auch zu den von Präsident Joe Biden geführten USA keine schlechten Beziehungen leisten.

Versucht Bolsonaro einen Mittelweg zwischen USA und Russland zu finden?
Ja, er versucht, zu beiden Seiten gute Beziehungen aufrecht zu erhalten. Das ist es, was er unter Neutralität versteht.

Wie wird der Krieg in der Öffentlichkeit diskutiert?
Er erfährt ziemlich viel Aufmerksamkeit, etwa in den Medien, und die meisten Stellungnahmen sowie die öffentliche Meinung insgesamt sind kritisch gegenüber Russland. Das Interesse hat natürlich auch mit den wirtschaftlichen Folgen des Krieges für Brasilien zu tun. Die Preise für Benzin und Lebensmittel sind bereits gestiegen.

Brasilien exportiert doch Öl und müsste vom Preisanstieg profitieren, oder?
Ja, allerdings muss Brasilien Treibstoff importieren, weil es das Öl selbst nicht verarbeitet. Der staatliche Ölkonzern Petrobras und damit auch die Regierung verzeichnen tatsächlich höhere Einnahmen, ebenso die Agrarindustrie. Brasilien exportiert ja vor allem Rohstoffe, und wenn die Preise dafür steigen, profitiert die Industrie davon. Nicht so die Verbraucher allerdings – und im Oktober finden Präsidentschaftswahlen statt.

Könnten der Krieg und seine Folgen im Wahlkampf eine Rolle spielen?
Ja, das ist möglich. Bolsonaro versucht verzweifelt, die Benzinpreise unter Kontrolle zu halten. Die Regierung hat unter anderem die Steuern auf Benzin reduziert. Bolsonaro hat außerdem den Präsidenten von Petrobras entlassen und durch einen neuen ersetzt, weil der alte sich geweigert hatte, den Preis für brasilianisches Öl künstlich tief zu halten. Das zeigt, dass das ein brisantes Thema ist – vor allem angesichts der Tatsache, dass Lastwagen- und Taxifahrer eine wichtige Wählergruppe für Bolsonaro sind.

Könnte die Regierung ihre neutrale Position zum Krieg ändern, wenn er länger dauert und die Auswirkungen sich verschärfen?
Das ist nicht auszuschließen. Bolsonaros Politik ist oft erratisch und schwer vorherzusagen. Wenn die Kosten zu hoch werden, dann könnte auch er irgendwann den Krieg verurteilen. Für den Ausgang des Krieges wäre das natürlich völlig irrelevant. Es wäre lediglich ein Signal an die Wähler. Bolsonaro macht jetzt schon den Krieg für hausgemachte Probleme wie die steigende Inflation und Lieferengpässe verantwortlich.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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