Mit Tiefseebergbau das Klima retten?

Joris van Gennip/Laif
Tiefseebergbau kann Ökosysteme am Meeresgrund zerstören, fürchten Umweltschützer. Hier demonstriert „Ocean Rebellion“ in Rotterdam vor dem Schiff, mit dem der Tiefsee­bergbau erprobt werden soll.
Grüne Transformation
Erste Unternehmen starten Versuche, die für eine „grüne Transformation“ benötigten Mineralien vom Meeresboden zu holen. Kritiker warnen vor unabsehbaren ökologischen Schäden.

Für die Werkzeuge gegen den Klimawandel – Solaranlagen, Windkraftwerke, Elektromobilität – benötigen wir gewaltige Mengen an Mineralien: Kobalt, Mangan, Kupfer, Nickel und Seltene Erden. So braucht man beispielsweise für den Bau von Elektrofahrzeugen sechsmal mehr Mineralien als für Verbrenner. Solche enormen Mengen sind derzeit einfach nicht verfügbar – jedenfalls nicht an Land.

Dafür sind Teile des Ozeanbodens in etwa 4500 Meter Tiefe regelrecht übersät damit. Schwarze, kartoffelgroße Klumpen, polymetallische Knollen genannt, liegen in großer Menge im Schlamm der Tiefsee. Diese Knollen enthalten große Mengen an Kupfer, Mangan, Nickel und Kobalt, in geringerem Maße auch andere Mineralien. Sie zu fördern würde den Druck auf den Bergbau an Land mindern, dessen Erträge eher abnehmen, während seine Kosten für Umwelt und Gesellschaft steigen. Unter der Voraussetzung, dass sich der Bergbau am Tiefseeboden effizient und in großem Maßstab bewerkstelligen ließe, könnten die Kosten elektrischer Fahrzeuge gesenkt, ihre Verkaufszahlen erhöht und die Emissionen verringert werden.

„Wenn wir die Metalle, die für den Übergang zu den erneuerbaren Energien benötigt werden, nicht aus den Knollen gewinnen, dann fördern wir sie eben an Land. Das bedeutet allerdings, dass Bergbaubetriebe erweitert oder neue angelegt werden müssen. Und ein großer Teil des Nickels wird wahrscheinlich aus dem tropischen Regenwald kommen, dessen Biodiversität viel größer ist als die des Meeresbodens“, sagt Steven Katona, Meeresbiologe und Berater für Tiefseeabbau. Katona hat den Ocean Health Index mitentwickelt und berät die Metals Company, ein Start-up aus Vancouver, das als erstes Unternehmen kommerziell Mineralien vom Meeresboden fördern möchte.

Meeresschutzorganisationen fordern ein Moratorium für den Tiefseeabbau

Viele Umweltschützer überzeugen seine Argumente nicht. Die Deep Sea Conservation Coalition, die Tiefseeschutz-Koalition, der sich praktisch alle führenden Meeresschutzorganisationen angeschlossen haben, fordert ein zehnjähriges Moratorium für diese Art des Abbaus, um zunächst seine Auswirkungen zu studieren. Der Tiefseebergbau drohe „unwiederbringlich uralte Tiefseehabitate zu zerstören und beeinträchtigt Menschen, deren Lebensunterhalt vom Ozean abhängt (beispielsweise, weil sie vom Fischfang leben)“, warnt die Koalition in einem öffentlichen Appell. 

Professor Andrew K. Sweetman von einem schottischen Zentrum für Meeresforschung erklärt, wie ­Proben vom Meeresboden gewonnen werden. Er untersucht auf Einladung der Metals Company Auswirkungen des Bergbaus auf 
die Umwelt im Pazifik.

Der Umweltschutzverband WWF hat eine Initiative gestartet, die jeglichen Tiefseeabbau stoppen will. Schäden für die weltweite Fischerei würden die „wichtigste Proteinquelle von rund einer Milliarde Menschen und den Lebensunterhalt von 200 Millionen Menschen gefährden“, warnt er. „Wir sehen nichts, was dafür, aber vieles, was dagegen spricht“, meint Arlo Hemphill, der bei Greenpeace USA Kampagnen zur Rettung der Ozeane leitet. „Es gibt keinen Grund, in den Ozeanen der Welt eine neue zerstörerische Industrie zur Ausbeutung von Bodenschätzen aufzuziehen.“

Wie diese Debatte ausgeht, wird erhebliche Folgen haben – für die Ozeane und für das Klima des Planeten. An kaum einem anderen Problem lassen sich so gut die schwierigen Zielkonflikte aufzeigen, vor denen wir angesichts der Erwärmung stehen. Tiefseebergbau in großem Maßstab könnte sich als sehr zerstörerisch erweisen; auf ihn zu verzichten hingegen macht womöglich einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien illusorisch oder verstärkt die Umweltschäden an Land. Und nicht zuletzt geht es dabei um viele Milliarden Dollar. 

Autor

Christopher Pala

berichtet als Journalist aus der Pazifikregion und aus Zentralasien. Er lebt in Washington DC.
Die Internationale Energieagentur hat unter der Maßgabe der Ziele des Pariser Klimaabkommens prognostiziert, dass sich bis 2040 die Nachfrage nach Kupfer verdoppeln, die nach Mangan verachtfachen, die nach Nickel verdreifachen und die nach Kobalt vervierfachen könnte. Von den Anden bis zum Kongo wird das dazu führen, dass neue Minen eröffnet oder bestehende erweitert werden. Doch das wird den Bedarf nicht ansatzweise decken können. Schätzungen zufolge wird die Zahl der elektrischen Fahrzeuge Mitte des Jahrhunderts eine Milliarde erreichen. Laut einer Studie benötigt man 56 Kilogramm Nickel für die Batterie eines einzigen Tesla Model 3, dazu 7 Kilogramm Kobalt, 6,6 Kilogramm Mangan und 85 Kilogramm Kupfer. Multipliziert mit einer Milliarde bedeutet das, dass der Bedarf an diesen Metallen – von denen man die wichtigsten in den Knollen der Tiefsee findet – bei 155 Millionen Tonnen liegt.

Umweltschutzregeln für eine verantwortliche Förderung

Dies erhöht den Druck, so bald wie möglich mit dem Abbau von Bodenschätzen am Meeresboden zu beginnen – und zwar so, dass es nicht zu einer Katastrophe für die Umwelt führt. Die den Vereinten Nationen angeschlossene Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) mit Sitz in Kingston auf Jamaika bemüht sich schon seit acht Jahren um ein Regelwerk für die verantwortliche Förderung der polymetallischen Knollen aus dem Ozean. ISA-Generalsekretär Michael Lodge rechnet damit, dass es 2023 den 167 Mitgliedsstaaten zur Abstimmung vorgelegt werden kann. „Dies wäre das erste Mal, dass eine innovative Industrie noch vor dem Start in ihren Planungen Umweltschutzregeln beachten muss“, sagt Lodge. „Das bietet Umweltschutzorganisationen die einmalige Gelegenheit, sich einzubringen und dafür zu sorgen, dass die Regeln so stringent wie möglich gefasst werden.“

Das Bohrschiff „Hidden Gem“ der Metals Company soll als erstes Manganknollen vom Meeresboden gewinnen.

Eines der vielversprechendsten Gebiete für den Abbau der mineralreichen Knollen ist die westlich von Mexiko und südlich von Hawaii gelegene Clarion-Clipperton-Zone. Mit einer Fläche von 4,5 Millionen Quadratkilometern ist dieses Meeresgebiet größer als Indien. Bislang ist davon nur ein kleiner Teil für den Abbau reserviert. Die ersten Flächen, die in den kommenden beiden Jahrzehnten mit Genehmigung der ISA ausgebeutet werden sollen, gehören zu den pazifischen Nationen Nauru, Kiribati und Tonga. Sie umfassen insgesamt über 75.000 Quadratkilometer, was etwa der Größe Bayerns entspricht.

Das hört sich nach einem großen Areal für den industrielle Tiefseeabbau an – die meisten Minen an Land sind nicht größer als einige Dutzend Quadratkilometer. Die jetzt anvisierten 75.000 Quadratkilometer umfassen allerdings nur 0,02 Prozent der weltweiten Gesamtfläche des Meeresbodens. Und davon wiederum umfasst die erste Konzession, die der Metals Company in Partnerschaft mit Nauru erteilt wurde, mit etwa 4000 Quadratkilometern nur einen Bruchteil.

Der Test-Kollektor blieb auf dem Meeresboden stecken

Für den Abbau sind weder Grabungen noch Schleppbagger vorgesehen. Ein ferngesteuerter, automatischer Kollektor wird die Knollen ansaugen und sie über einen Schlauch zu einem Verarbeitungsschiff befördern, das 4500 Meter darüber schwimmt. Durch das Absaugen wird eine Sedimentwolke aufgewirbelt, die sich nach ersten Versuchen wieder auf den Meeresboden absenkt (wenn auch umstritten ist, wie lange das dauert). Der Effekt lässt sich mit der Staubfahne vergleichen, die ein Lastwagen auf einer Wüstenpiste aufwirbelt. Im vergangenen Jahr hat ein anderes Abbauunternehmen, Global Sea Mineral Resources, erfolgreich einen Test  durchgeführt – bis der Kollektor auf dem Meeresboden stecken blieb.

Auf dem Schiff werden die Knollen gereinigt. Anschließend werden sie auf einen Erztransporter umgeladen, der sie zur Verhüttung an Land bringt, wahrscheinlich in die USA. Das sedimenthaltige Wasser, das während der Reinigung anfällt, wird nicht einfach über Bord gepumpt, wo es die Meeresorganismen beeinträchtigen könnte, sondern durch einen zweiten Schlauch in eine mittlere Tiefe zurückgeleitet, die man derzeit auf 1200 Meter gesetzt hat.

Sedimentwolken als Gefahr für die mittlere Wasserzone

Geschätzte 95 Prozent der Sedimentwolke werden sich wieder auf den Meeresboden absenken. Doch auch die restlichen fünf Prozent betrachten manche Meeresbiologen und Fischereiwissenschaftler als Gefahr für die mittlere Wasserzone. Denn auch in dieser Tiefe gibt es ein reichhaltiges Meeresleben, selbst dort, wo für die Fischerei nichts zu holen ist. Insbesondere könnte der Thunfisch beeinträchtigt werden, der Jagd auf einige der Arten macht, die beim Auf- und Abtauchen diese Zone durchqueren.

Wenn Wasser von der Verarbeitung der Knollen zurückgeleitet werden muss, dann am besten so nahe wie möglich am Meeresboden“, meint Leslie Watling, Professor für Meeresbiologie an der Universität von Hawaii und Mitverfasser einer Studie über die Umweltfolgen des Tiefseeabbaus. Das würde mehr kosten, sagt er, aber „wer es schafft, die Knollen aus dieser Tiefe vom Meeresboden zu holen, wird doch auch in der Lage sein, das Sediment wieder dorthin zurückleiten“. 

Gerard Barron, der australische Geschäftsführer von Metals Company, erklärt sich damit im Prinzip einverstanden. „Wir erwarten von der Wissenschaft, dass sie uns sagt, in welcher mittleren Tiefe wir die Sedimentwolke freisetzen sollen“, sagt er. „Derzeit heißt es, das optimale Niveau liege zwischen 1000 und 1500 Metern. Sollten weitere Studien ergeben, dass das Wasser besser zum Meeresgrund geleitet wird, tun wir eben das.“ Laut von der Metals Company finanzierten Studien wird die Verhüttung der Knollen 80 Prozent weniger giftige Rückstände ergeben als der Abbau von Kobalt an Land, 60 Prozent weniger als der von Nickel und 50 Prozent weniger als der von Kupfer und Mangan.

Manche Wissenschaftler sehen die Risiken gelassener

Die Forderung nach einem Moratorium für den Abbau überzeugt nicht alle Wissenschaftler. Craig Smith, der sich an der Universität von Hawaii speziell mit der Ökologie des Meeresgrunds in der Tiefsee beschäftigt, hat sich ihr nicht angeschlossen: „Es wäre sinnvoller, ein Unternehmen unter strenger Beobachtung unabhängiger Wissenschaftler mit dem Abbau beginnen zu lassen.“ Neil Craik, Professor für Umweltrecht an der Universität von Waterloo in der Nähe von Toronto, sieht es ebenfalls gelassen. „Nach meiner Einschätzung droht uns hier kein Deepwater Horizon“, meint er in Anspielung auf die verheerende Ölpest im Golf von Mexiko, die 2010 die Bohrinsel dieses Namens ausgelöst hat. „Die unmittelbaren Risiken gleichen eher denen der Schifffahrt, sind also zu meistern.“

Noch gibt es Hindernisse. Die Einstiegskosten für Abbauunternehmen liegen bei mehreren Milliarden Dollar, und Widerstand von Umweltschützern könnte Geldgeber abschrecken. Schon haben Google, BMW, Volvo und Samsung erklärt, keine Metalle von Knollen verwenden zu wollen, ehe nicht mehr über die Auswirkungen des Abbaus auf den Meeresgrund bekannt ist. Die anhaltende Debatte über die potenziellen Vor- und Nachteile der Tiefseeschürfung könnte erhebliche Auswirkungen haben. 

Auf der einen Seite stehen jene, die sagen, dass die direkten CO2-Emissionen des Tiefseeabbaus vernachlässigbar seien – jedenfalls viel geringer als die des Abbaus an Land. Und neue Bergwerke an Land anzulegen, die auch nur annähernd in die Größenordnung dessen kommen, was nötig ist, wäre nicht einfach. „Überall auf der Welt gilt: Neue Bergwerke schön und gut, aber nicht bei uns“, sagt Saleem Ali, der an der University of Delaware das Programm für Mineralien, Werkstoffe und Gesellschaft leitet und dessen Forschungsarbeit von der Metals Company finanziert wird. „Es wird immer schwieriger, neue Bergwerkskonzessionen zu erhalten.“

Unerprobte Technologie mit unvorhersehbaren Folgen?

Andere Wissenschaftler warnen hingegen vor der weitgehend unerprobten Technologie und unvorhersehbaren Folgen. Laut Craig Smith von der Universität Hawaii beschränken sich die Tests derzeit auf einen kleinen Versuchs-Kollektor von einem Fünftel der Größe einer industriell nutzbaren Maschine. Er sammelt auf dem Boden des Ozeans Knollen und bringt sie an die Oberfläche, ohne durch einen Förderschlauch mit dem Verarbeitungsschiff verbunden zu sein. Seine Sorge ist, dass Abbauunternehmen die Unfallrisiken herunterspielen.

Als Vorsitzender der ISA ist Michael Lodge mit allen Argumenten der Debatte vertraut. Er sieht derzeit keine großen Probleme. Der Tiefseeabbau „wird langsam an Fahrt aufnehmen, und die Aufsichtsbehörden werden bei den Genehmigungen Vorsicht walten lassen“, sagt er. „Ich denke nicht, dass es in absehbarer Zeit mehr als eine kleine Zahl gleichzeitig operierender Förderunternehmen geben wird.“

Die Metals Company arbeitet unterdessen mit Volldampf weiter. Der Partner und Investor des Unternehmens, die Allseas Group, ein Schweizer Unternehmen, das auf Offshore-Anlagen spezialisiert ist, hat 2021 von der brasilianischen Petrobas für 15 Millionen US-Dollar ein 228 Meter langes Ölbohrschiff erworben und zum ersten Knollensammelschiff der Welt umgebaut. Es soll pro Jahr drei Millionen Tonnen Knollen vom Meeresboden holen können. 

Das Schiff wird ausschließlich von der Metals Company betrieben werden. „Wir erwarten, 2024 mit der Produktion zu beginnen“, sagt Geschäftsführer Gerhard Barron, „und damit werden wir wohl die ersten sein, mit einem Vorsprung von drei Jahren.“ Ob sich die Sache nun zum Guten oder zum Schlechten entwickelt, das Rennen ist eröffnet.

Dieser Text ist zuerst in der Zeitschrift "Foreign Policy" erschienen. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2022: Das Zeug für den grünen Aufbruch
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