Nicht immer eine Frage des Glaubens

Anik and Bappee
Hanium Maria Chowdhury, Chefin der Modemarke Tahoor Life Style aus Bangladesh, vertreibt ihre "Modest Fashion" weltweit.
Modest Fashion
„Modest Fashion“, also „anständige“ oder auch „zurückhaltende“ Mode, entwickelt sich aus einer religiösen Marktnische zum milliardenschweren Industriezweig. Das zeigt das Wachstum der Branche in Bangladesch. 

Modisch und doch konservativ – an Frauen, die derart auftreten möchten, richtet sich die sogenannte „Modest Fashion“. Die Bezeichnung „modest“ lässt sich je nach Geschmack mit zurückhaltend, anständig oder auch züchtig übersetzen. „Modest Fashion“ wendet sich demnach an Frauen, die im Einklang mit ihren religiösen Traditionen leben möchten – und zwar nicht nur dadurch, dass sie Hidschab oder Kopftuch tragen. Viele möchten auch ihre Körperformen nicht übermäßig betonen und bevorzugen deshalb lockere, fließende Kleidung, gerne in Kombination mit Capes, Schals und luftigen Jacketts in mehreren Schichten. Weltweit und vor allem in Bangladesch greifen große Modemarken wie Zara und H&M diese Tendenz zur Bescheidenheit auf und bedienen damit eine lange unbeachtet gebliebene Marktnische. 

So neu das Schlagwort „Modest Fashion“ scheinen mag, die Idee dahinter ist es nicht. Modest Fashion stimmt besonders gut mit den Erfordernissen der islamischen Bedeckungsvorschriften überein, denen zufolge Männer wie Frauen keine Kleidung tragen sollen, die ihre Körperformen offenbaren, durchscheinend sind oder auf sonstige Weise das andere Geschlecht reizen könnten; außerdem dürfen sie keine Symbole ihres Glaubens zeigen. Das Ausmaß der Bedeckung ist dabei für Männer und Frauen unterschiedlich: Männer sollen sich vom Nabel bis unterhalb des Knies bedeckt halten, Frauen müssen alles unter Kleidung verbergen außer Händen, Füßen und Gesicht – einige entscheiden sich dafür, auch letzteres zu bedecken.

Frauen sollen sich bedeckt halten und nicht ihre Körperformen zur Schau stellen, sagt der Koran. Die Kleider der Modemarke Tahoor Life Style aus Bangladesch erfüllen diesen Zweck.

Viele praktizierende Musliminnen, die sich für Modest Fashion entscheiden, bringen dies auch durch das Tragen des Hidschabs zum Ausdruck, eines Kopftuchs, das üblicherweise auch Hals, Schultern und die Brust bedeckt. „Ganz unabhängig von der Religion finde ich, dass wir als Menschen mehr als nur unser Körper sind“, sagt Sania Aiman aus Bangladesch, die derzeit ihren Master in Medien und Entwicklung an der SOAS University of London macht. Gerade angesichts der heute allgegenwärtigen Sexualisierung des weiblichen Körpers in den Medien biete Modest Fashion eine interessante Möglichkeit, sich dem zu entziehen. „Wie sich eine Person kleidet, ist ein Aspekt der Selbstverwirklichung.“ 

Zurückhaltend, stets mit Kopfbedeckung – und nachhaltig

Für sie selbst spiele der Islam in allen Entscheidungen eine wichtige Rolle, sagt Aiman. Daraus ergebe sich, wie sie sich kleide: zurückhaltend und stets mit Kopfbedeckung. So habe sie ihren persönlichen Stil entwickelt: „Für welche Kleidung ich mich immer entscheide, sie entspricht dem islamischen Regelwerk, soweit es mir möglich ist. Das ist außerdem bequeme und lange haltbare Kleidung, denn ich finde, man sollte seine Entscheidungen auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit treffen“, sagt Aiman. Auf keinen Fall möchte sie dabei ihre Rolle in der Öffentlichkeit schmälern oder formlos im Hintergrund verschwinden. „Ich mag helle Farben und interessante Kombinationen, Schnitte und Stile.“

Modest Fashion findet in jüngster Zeit in Südasien und in der übrigen Welt unter anderem deshalb stärkere Verbreitung, weil sich mehr muslimische Frauen in allgemeine Modetrends einfügen, aber zugleich die islamischen Regeln beachten wollen. Südasiatische Kleidung wie der Sari oder der Salwar Kamiz (Tunika und Hose, oft mit einem Schal als Kopfbedeckung kombiniert) stellen keine global verbreitete Form der zurückhaltenden Kleidung dar, insbesondere nicht für muslimische Frauen im Westen. Zudem sind traditionelle oder kulturell geprägte Kleidungsstücke nicht immer die praktischste Wahl, die gängige Mode dagegen lässt sich wiederum nicht so gut an das Erfordernis der Bescheidenheit anpassen. Hier bietet Modest Fashion eine Lösung durch eine locker fließende Garderobe, die modisch und doch elegant, vor allem aber weltweit akzeptabel ist.

Autorin

Raffat Binte Rashid

ist Redakteurin bei „The Daily Star“, der größten englischsprachigen Tageszeitung in Bangladesch, und Chefredakteurin einer Wochenbeilage der Zeitung.
Bis in die 1990er Jahre zogen sich Frauen in Bangladesch nur den Palluv, das lose Ende des Sari, über den Kopf, und in manchen Familien trugen Frauen auch eine Burka; der Hidschab war ungebräuchlich. „Erst Arbeiter aus Bangladesch, die in der Golfregion und in Malaysia lebten und dort Frauen mit Abaya und Hidschab sahen, brachten diese Kleidungsstücke mit nach Hause. Auf diese Weise verbreitete sich der Hidschab auf dem Land und in den Städten in der Mittelschicht von Bangladesch“, sagt Shahana Huda, die sich bei der nichtstaatlichen Organisation Manusher Jonno Foundation für Menschenrechte und gute Regierungsführung einsetzt. Eine Abaya ist ein langärmeliges, meist schwarzes und bodenlanges Gewand, das über der normalen Kleidung getragen wird und locker und fließend fällt, so dass es die Körperformen verbirgt. 

Ausgehen mit Make-Up und Hidschab

„Danach übernahmen einige Frauen den Hidschab, um die religiösen Gebote der Parda, der Verhüllung der Frau, zu erfüllen. Auch sonst passten sie sich in Lebensführung und Anschauungen diesem Konzept an“, sagt Shahana Huda. Wirklich populär geworden sei der Hidschab in Bangladesch aber erst in den Jahren nach 2000, als Frauen aus allen Schichten und beeinflusst von Modetrends unter anderem in der Türkei, in Malaysia, Ägypten und Indonesien begannen, ihren Kopf unter dem Slogan „Der Hidschab ist meine Wahl“ zu bedecken. „Die meisten der Frauen und Mädchen, die ihr Haupt bedecken, verzichten nicht darauf, zu singen, zu tanzen, auszugehen und Make-Up aufzulegen. Es besteht ein großer Unterschied zwischen diesen Hidschab-Trägerinnen und solchen, die ihn aus religiösen Gründen der Verhüllung tragen“, sagt Huda.

Der Hidschab (oben) war bis in die 1990er Jahre in Bangladesch ungebräuchlich.

Eine immer wieder aufkommende Frage ist, ob sich eine Verpflichtung zum Tragen des Hidschab oder zurückhaltender Kleidung direkt aus dem Koran oder dem kaum weniger bedeutsamen Hadith ergibt, der Sammlung der Traditionen und Aussprüche des Propheten Mohammed, die eine wichtige Grundlage der religiösen und moralischen Vorschriften darstellen. Zwar gibt es einen gewissen Interpretationsspielraum, wie viel Bedeckung der Islam tatsächlich vorschreibt, doch unbestreitbar ist, dass die Vorschrift direkt aus dem Koran stammt. An verschiedenen Stellen ist dort davon die Rede, dass sich Frauen weitgehend bedeckt halten sollen, am deutlichsten in Sure 24, Verse 30 und 31. Dort steht, dass gläubige Männer und Frauen ihre Blicke gesenkt halten und Frauen sich so bedecken sollen, dass von ihrer Schönheit nicht mehr zu sehen ist, als sich auf natürliche Weise zeigt, und sie durch ihr Verhalten keinen Reiz auf das andere Geschlecht ausüben sollen. Bescheidenheit bezieht sich im Islam also nicht nur auf die Kleidung, sie verlangt auch ein zurückhaltendes Auftreten.

Viele Leute in Bangladesch denken inzwischen, der Hidschab gehöre fest zum Islam und dass Mädchen, die ihn nicht tragen, nicht akzeptabel gekleidet sind und Gefahr laufen, sexuell belästigt zu werden“, erklärt Shahana Huda. Oder dass der Hidschab Mädchen vor solcher Belästigung schütze. Das entspreche aber absolut nicht der Realität. Auch Mädchen, die den Hidschab tragen, würden oft sexuell belästigt. „Ich erwähne dies, weil es häufig als Hauptgrund dafür angeführt wird, warum der Hidschab so populär wurde“, sagt Huda.

Modest Fashion schützt nicht vor Gewalt

Ein weiteres Problem sei, wie Gelehrte Koran und Hadith interpretieren. Jeder tue dies auf seine eigene Weise. Einige wollten mit kontroversen Thesen Aufmerksamkeit erlangen, andere sich als Experten oder Gelehrte in Sachen Religion darstellen. „Ich denke, ausschlaggebend sollten die Kultur sowie allgemeine Gebräuche und Sitten sein, nicht die einseitige Interpretation von irgendjemand“, sagt Huda. „Allah hat den Koran offenbart und Er hat gesagt, dass Er ihn schützen wird.“ Daher sei jeder einzelne Vers des Koran von gleichem Gewicht, worum es auch immer gehe. „An den Hadith glaube ich dagegen nicht so uneingeschränkt, er ist schließlich von Menschen geschrieben worden und hat auch Änderungen erfahren.“ Mädchen seien immer gewissen Gefahren ausgesetzt, das habe nichts mit Mode zu tun. „Leider kann es immer passieren, dass jemand mit unguten Absichten auf einen aufmerksam wird“, meint Huda. Sich an die Modest Fashion zu halten oder zurückhaltende Kleidung zu tragen, könne Frauen nicht vor Gewalt schützen. Manche Männer belästigten Frauen auch dann, wenn sie zur Gänze bedeckt seien. „Einer Frau sollte es freistehen, einen Hidschab oder zurückhaltende Kleidung zu tragen, sie sollte nicht dazu gezwungen werden“, betont Huda.

Die Nachfrage nach Modest Fashion wächst rund um den Globus, weil auch der Islam wächst. Viele Muslime besinnen sich auf ihre Religion, andere entscheiden sich unabhängig davon einfach für größere Zurückhaltung. Tahoor Life Style, eine bekannte Modemarke in Bangladesch, ist seit zehn Jahren im Geschäft, seit 2016 wird die Produktlinie weltweit vermarktet. Das Unternehmen wächst von Jahr zu Jahr und ist stets auf der Suche nach neuen Franchisepartnern. Es konzentriert sich vor allem auf die sich wandelnden Bedürfnisse von Frauen nach Modest Fashion. Hanium Maria Chowdhury, CEO und Gründerin des Unternehmens, ist der Meinung, dass schon in den Schriften des Judentums, des Christentums und später auch des Islam die Idee der Bescheidenheit stets eine große Rolle gespielt hat. 

Die Schönheit der eigenen Person in bescheidener Kleidung

Der Islam habe sie zu einem wichtigen Bestandteil der Religionsausübung gemacht, und so wird mit der wachsenden Zahl der Musliminnen heute auch die Idee der Modest Fashion populärer. „Die jungen Frauen lernen mehr und mehr über die Heiligen Schriften und entdecken die Schönheit ihrer eigenen Person in bescheidener Kleidung“, sagt Maria. „Während ein großer Teil der Gemeinde sie aus religiösen Gründen wählt, überzeugt andere ihre Anmut, Hochwertigkeit und ihre einzige Funktion, nämlich schlicht und geschmackvoll aufzutreten.“ 

Gewinnt Modest Fashion eher als Folge von Gruppenzwang oder als Vorbeugung gegen Belästigung und Gewalt oder durch ernsthafte religiöse Überzeugungen an Popularität? Maria ist überzeugt, dass all das und noch mehr eine Rolle spielt. Jede Frau habe ganz eigene Motive, zurückhaltende Kleidung zu wählen. „Wir bekommen zahlreiche Anfragen, ob wir nicht auch Männerkleidung herstellen und eine Garderobe für Teenager entwerfen wollen“, erzählt Maria. Oft werde auch der Wunsch nach einem Niqab, Handschuhen oder Socken geäußert. Ihr Unternehmen habe zudem eine große Zahl nichtmuslimischer Kundinnen, daneben muslimische Kundinnen, die sich nicht unbedingt an die islamischen Bedeckungsvorschriften halten, aber Sinn für zurückhaltende Kleidung haben. 

Auch wenn zurückhaltende Kleidung immer noch vorwiegend mit Religion assoziiert wird: Tatsächlich ist das Tragen von Modest Fashion oft eher eine Frage der Einstellung als eine des Glaubens.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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