Die EU will etwas gegen Zwangsarbeit tun

picture alliance / Pacific Press/ Dadang Trimulyanto
Beim Fischfang in Südostasien herrschen auf Trawlern oft zwangsarbeitähnliche Zustände. Die EU-Kommission möchte mit einer Verordnung Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt worden sind, künftig in der EU verbieten.
Vorstoß der EU-Kommission
Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, sollen in der Europäischen Union verboten werden. Fachleute begrüßen den Vorstoß der EU-Kommission, sehen aber auch Schwächen. Den Betroffenen hilft das Verbot möglicherweise nur wenig.

Einweghandschuhe aus Malaysia, Christbaumschmuck aus der Provinz Xinjiang in China, Shrimps und Fisch aus Thailand, aber auch so manches Gemüse aus dem Süden Italiens oder aus Spanien: All das kann man in Europa kaufen, und häufig sind diese Waren in Zwangsarbeit hergestellt. Dagegen will die EU-Kommission nun mit einer Verordnung vorgehen, die sie im September vorgestellt hat. Zollbehörden der EU-Mitglieder sollen Produkte einziehen und vom Markt nehmen, wenn erwiesen ist, dass sie ganz oder teilweise in Zwangsarbeit hergestellt wurden.

Die Kommission orientiert sich dabei an der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Zwangsarbeit ist demnach jede Arbeit oder Dienstleistung, die eine Person unter Androhung von Strafe oder Nachteilen erbringt und für die sie sich nicht freiwillig entschieden hat. Unter „Strafe“ beziehungsweise „Nachteilen“ versteht die ILO außer der Androhung von Gewalt auch unfaire Schuldknechtschaft oder Erpressung etwa von Migranten, denen Ausweispapiere vorenthalten werden. Laut ILO sind derzeit rund 27 Millionen Menschen weltweit von Zwangsarbeit betroffen, gut vier Fünftel davon in der Privatwirtschaft, der Rest in staatlichen Unternehmen. Nach dem Vorschlag der Kommission sollen die zuständigen Behörden Untersuchungen einleiten, wenn der Verdacht besteht, dass ein Produkt in Zwangsarbeit hergestellt wurde. Erhärtet sich der Verdacht, wird die Untersuchung ausgeweitet, wenn möglich mit Inspektionen an den Produktionsstätten.

Die Unternehmen, die das Produkt auf den EU-Markt bringen, müssen Informationen über die Produktionsbedingungen bereitstellen. Gilt der Verdacht auf Zwangsarbeit als erwiesen, nehmen die Zollbehörden das Produkt vom Markt, bis die Unternehmen bewiesen haben, dass in ihrer Lieferkette keine Zwangsarbeit mehr vorkommt.

Fachleute und Europaparlamentarier haben den Entwurf der Kommission als überfällig und insgesamt in die richtige Richtung weisend begrüßt. Gelobt wird unter anderem, dass das Verbot sämtliche Produkte umfasst, egal ob sie von großen Konzernen oder mittelständischen Unternehmen auf den Markt gebracht werden. Gut sei außerdem, dass die ermittelnden Behörden auf eine große Zahl von Informationsquellen zurückgreifen sollen, darunter auch Menschenrechtsorganisationen. Der Vorschlag der Kommission sieht die Einrichtung einer Datenbank zu Risikobranchen sowie eines EU-Netzwerks gegen in Zwangsarbeit hergestellte Produkte vor. Darin sollen Vertreter der Behörden der EUMitglieder sowie der Kommission zusammenarbeiten und sich mit Fachleuten austauschen.

Es gibt aber auch Kritik. So moniert Anna Cavazzini, für Handelspolitik zuständige Europaabgeordnete der Grünen, dass Produkte erst bei erwiesener Zwangsarbeit vom Markt genommen werden sollen und nicht bereits im Verdachtsfall. Das hatte das Europäische Parlament in einer Resolution im Juni gefordert. Die Abgeordneten hatten zudem dafür plädiert, Importe „aus einer bestimmten Region, in denen staatlich verordnete Zwangsarbeit verbreitet ist“, zu verbieten, bis dort tätige Unternehmen nachgewiesen haben, dass ihre Lieferkette sauber ist. Nach diesem Modell haben die USA ein Importverbot für Produkte aus der chinesischen Provinz Xinjiang verhängt, wo Zehntausende Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Uiguren in staatlichen Fabriken ausgebeutet werden sollen. Von einem solchen pauschalen Importverbot hält der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europaparlaments, Bernd Lange (SPD), nichts: „Das geht mir zu sehr in Richtung politische Waffe“, sagte er in einem Interview.

Unternehmen brauchen bloß ihre Zulieferer zu wechseln

Auch Bettina Braun vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin begrüßt den Vorschlag der Kommission insgesamt. Die Expertin aus der DIMRAbteilung Menschenrechtspolitik International sieht aber auch Schwächen. Ein Versäumnis sei, dass Hilfe für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in dem Entwurf so gut wie keine Rolle spielt. Für die Kommission ist das Problem gelöst, sobald ein Unternehmen nachweisen kann, dass seine Produkte ohne Zwangsarbeit hergestellt werden. Es brauche also bloß seine Zulieferer zu wechseln, während in den Betrieben, mit denen es vorher kooperiert habe, alles beim Alten bleibe.

In dieser Hinsicht sieht Braun auch einen Widerspruch zum geplanten Lieferkettengesetz der EU: Dieses Gesetz ziele darauf, dass Unternehmen sich bemühen, Missstände bei ihren Zulieferern zu beheben, also die Lage tatsächlich zu verbessern. Der Entwurf für das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten dürfte eher zum sogenannten „cut and run“ führen, sagt Braun: Werden einem Unternehmen Missstände nachgewiesen, beendet es die Zusammenarbeit mit Zulieferern und sucht sich neue. Besser wäre es, sagt Braun, Unternehmen eine gewisse Frist einzuräumen, in der sie etwas gegen Zwangsarbeit in ihren Lieferketten tun können. Und noch wichtiger wäre, dass Behörden ihre Entscheidungen wieder zurücknehmen, wenn ein Unternehmen die Missstände behoben hat. Das wären Anreize, aktiv gegen das Problem vorzugehen. Der Entwurf der Kommission muss noch vom Europäischen Parlament und vom Rat der Mitgliedsstaaten gebilligt werden und soll in zwei Jahren in Kraft treten

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erschienen in Ausgabe 11 / 2022: Leben in Krisenzeiten
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