Wie man seine Feinde fördert

Vor fünf Jahren war die Welt in Mali noch in Ordnung; ausländische Soldaten hatten in dem Land nichts verloren. Oder? Ganz falsch: Im Juli 2008 erklärte Robert G. Berschinski in „welt-sichten“, welches Unheil die USA mit ihrem Kampf gegen vermeintliche und echte Terroristen schon damals in dem Sahelstaat anrichteten. Berschinski wusste als ehemaliger Aufklärungsoffizier der US-Luftwaffe, wovon er schrieb. Redakteur Tillmann Elliesen empfiehlt: Ein spannender Insiderbericht, der vieles verständlich macht, was heute in Mali passiert.

Seit dem 11. September 2001 konzentriert das USVerteidigungsministerium seine Anstrengungen in Afrika auf Ziele im Rahmen des globalen Antiterrorkriegs. Operationen in Nord- und Ostafrika werden zwar als Beitrag zu Entwicklung und zur langfristigen Aufstandsbekämpfung deklariert und sollen die „Herzen und Köpfe“ der Menschen gewinnen. Tatsächlich aber handelt es sich in der Regel um offensive Militäreinsätze zur Erreichung kurzfristiger Ziele.

Obwohl diese Einsätze – etwa gegen algerische Aufständische in Nordafrika oder gegen islamistische Gruppen in Somalia – durchaus erfolgreich waren, haben sie weder den US-amerikanischen Sicherheitsinteressen genützt noch die betroffenen Regionen stabilisiert. Denn die Terrorismusbekämpfung in Afrika beruht auf falschen Annahmen, darunter einer Politik der „Aggregation“: Regional begrenzte und ganz unterschiedlich begründete Aufstände werden künstlich zu einem bedrohlichen Ganzen zusammengefügt. Das Ergebnis ist eine Serie schwerer Militärschläge gegen Terrorverdächtige, die insgesamt nur bescheidene Erfolge gebracht haben. Das hat die Unterstützung der Afrikaner für viele sinnvolle und gut gemeinte US-Projekte unterminiert und vor allem solche Kräfte gestärkt, die der erklärten Politik der USA feindlich gegenüberstehen.

Autor

Robert G. Berschinski

hat als Offizier für Aufklärung bei der US-Luftwaffe gedient und an der Universität Yale „Internationale Beziehungen“ studiert.
Die Antiterrorpolitik der USA in Nord- und Westafrika ist dafür ein gutes Beispiel. Die Sahelregion geriet erstmals im Februar 2003 ins Rampenlicht der Politik nach dem 11. September. Unter der Führung von Ammari Saifi – seit seiner Zeit als Fallschirmjäger der algerischen Armee besser als „El Para“ bekannt – kidnappte eine Fraktion der algerischen Rebellengruppe GSPC (Salafistische Gruppe für das Gebet und den Kampf) in der Sahara 31 europäische Touristen. El Para floh nach Mali, um den Algeriern zu entkommen. Dort ließ er Berichten zufolge seine Gefangenen gegen ein Lösegeld der deutschen Regierung in Höhe von fünf Millionen Euro frei.

Anfang 2004 spürten ihn algerische Truppen im Norden Malis auf. Die von den USA unterstützten Sicherheitskräfte verfolgten ihn bis nach Niger und schließlich bis in den Tschad. El Para entkam, aber die Mehrzahl seiner Anhänger wurden im März 2004 von tschadischen und nigrischen Truppen, die von US-Spezialkräften unterstützt wurden, getötet. Schließlich nahmen ihn tschadischen Rebellen gefangen und lieferten ihn nach Algerien aus.

Vor der Geiselnahme hatte die GSPC sich als eine lokale islamistische Gruppierung verstanden und auf den Sturz der algerischen Regierung hingearbeitet. Auch außenstehende Beobachter nahmen sie so wahr. Nach der Geiselnahme aber sahen US-Vertreter in ihr zunehmend eine Bedrohung für die Region und den ganzen Kontinent. El Paras nomadisches Verhalten und sein Angriff auf westliche Touristen bestätigten aus der neuen Perspektive nach dem 11. September die Grundannahme der US-Politik: Eine transnationale Terrorgruppe nutzte den herrschaftsfreien Raum der Sahelregion dazu, westliche Interessen anzugreifen und dem Zugriff des Staates zu entfliehen. Der Angriff wurde als Durchbruch der GSPC zu einem globalen Akteur und entsprechend als Weckruf an die US-Streitkräfte gesehen: Ein weiteres Afghanistan müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Doch die Reaktion der US-Regierung auf die „El Para“-Geiselnahme und den Terrorismus in Nordafrika war ein strategischer Fehler. Mangelndes Verständnis der vielschichtigen Beziehung zwischen Nordafrikas muslimischer Bevölkerung und dem transnationalen Terrorismus hat zu einer übermäßig vereinfachten Einschätzung der Bedrohung geführt. Unkenntnis der Situation vor Ort und der ethnischen Spannungen haben eine Politik befördert, die wichtige Staaten destabilisiert hat. Vor allem aber hat das fehlende Verständnis der Rolle der GSPC direkt in die Hände von Al-Qaida gespielt, weil ein lokaler Aufstand zu einem Teil des globalen Dschihad aufgebauscht wurde.

Kein guter Nährboden für Dschihad-Kämpfer

Es gibt zwar ethnische Konflikte und einen fundamentalistischen Islam in der west- und nordafrikanischen Region. Studien zeigen aber, dass das keineswegs einer Einladung für Dschihad-Kämpfer gleichkommt. Sie machen vielmehr deutlich, dass die Grundthese vom „herrschaftsfreien Raum“, nach der Dschihad-Gruppen sich in einer sympathisierenden Bevölkerung verstecken können, auf Westafrika nicht zutrifft.

Regierungen spielen in der Sahelregion tatsächlich im Alltag kaum eine Rolle. Das heißt aber nicht, dass der Staat keinerlei Kontrolle ausübt. Die Regierungen in den Hauptstädten und die Bürger auf dem Land sind über Systeme indirekter Herrschaft miteinander verbunden, in die Stammesführer eingebunden sind, um Frieden und Sicherheit zu wahren. Diese Politik mildert traditionelle ethnische Spannungen zwischen den Hauptstädten im Süden und den Bürgern im Norden. Sowohl in Niger als auch in Mali gab es beispielsweise große Tuareg-Revolten, und in beiden Staaten gibt es bis heute erhebliche Spannungen.

Das unüberlegte Eingreifen des US-Militärs gefährdet dieses prekäre Gleichgewicht zwischen Zentralregierung und Hinterland. Ein Beispiel: Nach dem letzten Aufstand der Tuareg 1995 in Mali gab die Regierung in der Hauptstadt Bamako vielen Tuareg Jobs in der Zollabteilung. Dadurch konnten örtliche Führer von den Zöllen auf legalen und illegalen Handel profitieren. Das besänftigte die Tuareg und stabilisierte so den Frieden in Mali. Doch der Antiterrorkampf der USA gegen die GSPC in der Region gefährdet diese Abmachung, weil er die Handelsrouten unterbricht. Ohne alternative Einnahmequellen aber ist sowohl die Wirtschaft in der Region als auch die politische Stabilität in Gefahr. Der US-amerikanische Ansatz, im Rahmen des Antiterroreinsatzes „Operation Enduring Freedom – Trans-Sahara“ (OEF-TS) Militärkräfte aus der Sahelregion zu schulen, wird immer wieder als Beitrag zur Suche nach „afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme“ genannt.

Doch so lange der globale Krieg gegen den Terrorismus die Grundlage für den Aufbau afrikanischer Fähigkeiten darstellt, werden die USA bestimmen, was „afrikanische Probleme“ sind. Die Einwohner Malis werten die Destabilisierung der prekären Situation im Norden des Landes als die größte Bedrohung ihrer Demokratie. Marodierende algerische Terroristen oder radikale Islamisten hingegen erregen kaum ernste Sorge. Die Leute registrieren, dass der Druck der USA, Terroristen zu jagen, die Lage der Tuareg verschlechtert.

Laut dem Jahresbericht des US-Außenministeriums über Formen des globalen Terrorismus von 2002 errichteten die algerischen Salafisten der GSPC damals bevorzugt falsche Straßensperren, um Militär- und Polizeikonvois sowie Regierungspersonal anzugreifen. Ihre Verbindungen zum globalen Dschihad bestanden laut dem Bericht in „Kontakten zu anderen nordafrikanischen Extremisten, die mit Al-Qaida sympathisieren“. Die Gruppe bemühte sich, weiterzukämpfen, obwohl ihr die algerischen Sicherheitskräfte erhebliche Rückschläge zufügten und sie von internen Machtkämpfen geschwächt war.

Heute ist die GSPC offiziell mit Al-Qaida verbündet und hat ihren Namen in „Al-Qaida des islamischen Maghreb“ geändert. Leitende US-Regierungsbeamte werten die Bedrohung, die aus dieser Fusion erwächst, als „bedeutend und sehr gefährlich“. Es gibt keine einfache Erklärung für diese Ausdehnung der GSPC. Die oberste Leitung des globalen Dschihad hat eine wichtige Rolle gespielt. Trotz anfänglicher Widerstände der GSPC gegen ein Bündnis mit Al-Qaida haben Osama bin Laden und sein Stellvertreter Ayman al-Zawahiri die algerischen Aufständischen erfolgreich in den weltweiten Konflikt zwischen dem Islam und den „Kreuzzüglern“ integriert. Allerdings hat dazu nicht nur Al-Qaida beigetragen. Auch die US-Regierung und verschiedene europäische Sicherheitsdienste haben eine bedeutende Rolle bei dieser Transformation gespielt. Die GSPC ist 1999 aus der damals weitgehend diskreditierten Bewaffneten Islamischen Gruppe (GIA) hervorgegangen. Sie versprach, den Dschihad gegen den algerischen Staat fortzusetzen, aber ohne die fürchterlichen Angriffe der GIA auf die Zivilbevölkerung.

Von Anfang an bestimmten interne Machtkämpfe das Verhältnis der GSPC zu Al-Qaida. Der erste Oberkommandant der Gruppe, Hassan Hattab, wollte sich von bin Ladens globalem Kampf distanzieren und die Energie der GSPC voll auf Algerien konzentrieren. Im Sommer 2003, zur Zeit der spektakulären Geiselnahme von El Para, drängten aber Hardliner Hattab beiseite und installierten an seiner Stelle einen brutalen ehemaligen GIA-Führer namens Nabil Sahrawi. Dieser brachte die GSPC sofort auf die Linie des globalen Dschihad.

Geiselnahme diente der Geldbeschaffung

Die Kehrtwende der GSPC in Richtung pan-islamistische Rhetorik hat nicht aus einer Position der Stärke heraus stattgefunden, sondern war eher ein Zeichen von Schwäche. Sahrawis Aufstieg fand vor dem Hintergrund vernichtender Razzien der algerischen Sicherheitskräfte und schrumpfender Finanzen statt. Die GSPC verlor Sympathisanten unter der algerischen Bevölkerung und zerfiel in nördliche und südliche Gruppen, die sich deutlich voneinander abgrenzten. Sahrawi und sein Chefkommandant wurden bald darauf von algerischen Sicherheitskräften aufgespürt und getötet. Vor diesem Hintergrund begann El Para seine unglückselige Geiselnahme.

Obwohl die GSPC auf die Sprache von Al-Qaida eingeschwenkt war, machte El Para mit seinem Verhalten schon bald klar, dass seine Geiselnahme wenig mit den üblichen Al-Qaida-Aktionen gemein hatte. El Para interessierte sich ausschließlich für die Euros, die seine europäischen Gefangenen wert waren. Zwar wollte auch El Para die Sache des Dschihad in Algerien vorantreiben – angeblich hat er später mit dem Lösegeld Waffen gekauft. Aber in erster Linie diente seine Kidnapping-Aktion der Geldbeschaffung. Sie war kein pan-islamistischer Kriegsschrei.

Viele US-Analytiker haben den Angriff freilich ganz anders interpretiert. Für den Westen verkörperte El Para die wachsende regionale Stärke der GSPC. Die ständige Betonung der Expansion der GSPC hat ihre Rolle in Afrika nicht geschmälert, sondern den Weg für Osama bin Laden geebnet. Viele westliche Beobachter haben die internen Spannungen und die Ungereimtheiten in der Rhetorik und in den Handlungen der GSPC ignoriert, statt die aufmerksame afrikanische Öffentlichkeit darauf hinzuweisen. Der von bin Laden bevorzugte Name für die GSPC – Al- Qaida des islamischen Maghreb – ist nun die allgemein akzeptierte Bezeichnung für eine Gruppe, die noch vor kurzem kaum Verbindungen zu Al-Qaida hatte. Die GSPC ist eine ernstzunehmende, aber nichtsdestotrotz relativ isolierte Kraft im nordafrikanischen Sicherheitsgefüge. Die Politik der USA hingegen trägt dazu bei, dass die Gruppe an Stellenwert gewinnt.

Übersetzung: Barbara Erbe

Zusatzinformationen

Der Beitrag beruht auf Berschinskis Monographie „Africom’s Dilemma“, die das U.S. Army War College veröffentlicht hat.

erschienen in Ausgabe 7 / 2008: Schlachtfeld Afrika
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