Breitseite gegen die Entwicklungszusammenarbeit

picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Tanja Gönner, BDI-Hauptgeschäftsführerin, bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz des Industrieverbands im Januar in Berlin. Bis vor zwei Jahren war Gönner Chefin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), heute kritisiert sie als Industrievertreterin die dominierende Stellung der staatlichen GIZ in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Berlin
Der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft fordert von der Entwicklungspolitik mehr Unterstützung für deutsche Unternehmen. Das zuständige Ministerium spricht von Vollkasko-Mentalität.

Eine nüchterne Bilanz müsse feststellen, dass die Entwicklungspolitik die UN-Nachhaltigkeitsziele weitgehend verfehle, konstatiert der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) in einem Grundsatzpapier von Mitte Februar. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in ihrer jetzigen Form befördere in vielen Ländern keine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Daher brauche es eine Zeitenwende. Die Lösung seien private Investitionen, doch müsse die Bundesregierung „mehr konkrete Finanzierungsangebote und Risikoabsicherung“ für im globalen Süden tätige deutsche Unternehmen bereitstellen.

Gegenüber China und Industrieländern wie Japan, Südkorea und den USA sieht der BDI die deutsche Wirtschaft im Nachteil, weil diese Staaten „smarte Kombinationen von Entwicklungsfinanzierung und Außenwirtschaftsförderung“ nutzten. Staatliche Entwicklungsfinanzierung (ODA) sollte weniger an chinesische Staatsunternehmen gehen, heißt es in dem Papier, ohne dass der BDI hier Details nennt. Stattdessen müssten die Chancen deutscher und europäischer Bieter in internationalen Vergabeverfahren verbessert werden – auch, indem bei Ausschreibungen die Qualität der geforderten Leistungen höher gewichtet werde. Mit Blick auf Afrika heißt es, Schwerpunkt deutscher Entwicklungszusammenarbeit müsse die Schaffung von Arbeitsplätzen sein, vor allem durch Investitionsförderung, Industrialisierung und Infrastrukturbau. 

Acht Jahre nach dem letzten entwicklungspolitischen Grundsatzpapier trägt die neue BDI-Haltung offenkundig den Stempel der neuen BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner, die von 2012 bis 2022 Vorstandssprecherin der staatlichen Entwicklungsagentur GIZ war, bevor sie zu der Wirtschaftslobby wechselte. Pikanterweise lautet einer der prominenten Vorschläge nun, in der Entwicklungszusammenarbeit müsse es mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie geben: Statt wie bisher vor allem staatliche Organisationen zu beauftragen, würde „Konkurrenzdruck durch mehr Ausschreibungen und Wettbewerb bei Beauftragungen die Kosteneffizienz und Innovationskraft in der Entwicklungspolitik steigern“. 

Das Ministerium kontert mit Beispielen

In Kreisen der Entwicklungspolitik wurde das BDI-Papier teils verwundert, teils verärgert aufgenommen, weil es ohne Not interessengeleitete Forderungen der Wirtschaft in eine Breitseite gegen die gesamte Entwicklungszusammenarbeit verpacke. Öffentlich weist Staatssekretär Jochen Flasbarth vom zuständigen Ministerium (BMZ) die Vorwürfe in einem Artikel zurück. Der BDI behaupte einen Konflikt zwischen wirtschaftlichen und deutschen Interessen einerseits und entwicklungspolitischem Vorgehen andererseits, „den es gar nicht gibt“. 

Das Ministerium und der Verband seien sich doch einig, dass Entwicklungspolitik erstens immer auch deutschen Interessen diene, zweitens stets geostrategische Erwägungen in Abstimmung mit den Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerien einbeziehe und drittens jeden Euro effizient einsetzen müsse, weil der Haushalt immer knapper werde. Niemand sollte das besser wissen, so Flasbarth, als die derzeitige BDI-Spitze – ein offensichtlicher Seitenhieb auf die ehemalige GIZ-Chefin Gönner. 

Weitere Kritikpunkte des BDI weist das BMZ als überholt zurück und kontert mit Beispielen, wie es mittelständische Unternehmen in Partnerländern unterstützt. Hingegen stimmt es dem BDI-Anliegen zu, Garantien zur Absicherung von Investitionen in Partnerländern als Mittel der Entwicklungspolitik zu stärken – allerdings nur, um „überragende Risiken“ abzudecken, die betriebswirtschaftlich nicht vernünftig zu tragen seien. Flasbarth: „Es weht auch ein Hauch von Vollkasko-Mentalität durch die BDI-Position.“ Ein Irrweg seien etwa vom BDI vorgeschlagene protektionistische Schutzmaßnahmen gegen chinesische Wettbewerber bei Aufträgen der finanziellen Zusammenarbeit. 

Venro: Der BDI surft auf der populistischen Welle

Derweil ärgert man sich beim entwicklungspolitischen Dachverband Venro sowohl über die blockierende Haltung des BDI beim inzwischen vertagten EU-Lieferkettengesetz als auch über Opportunismus beim Wirtschaftsverband. Es sei wohlfeil, vor dem Hintergrund knapper Kassen seitenlang mehr Effizienz zu fordern, ohne selbst Einsparpotenzial aufzuzeigen, sagt Venro-Chef Michael Herbst. Auch die Positionen zu China vermittelten den Eindruck, der Verband springe auf eine populistische Welle auf. 

Zur BDI-Forderung nach stärkerer Risikoabsicherung sagt Herbst, die deutsche Wirtschaft engagiere sich durchaus im globalen Süden – auch mit außenwirtschafts- und entwicklungspolitischer Flankierung –, wenn sie ein funktionierendes Geschäftsmodell sehe. „Aber wenn Risiken in einem der am wenigsten entwickelten Länder als zu hoch bewertet werden, dann kann auch eine deutsche Regierung das nicht absichern – und schon gar nicht langfristig.“ 

Aus Sicht von Herbst fällt der BDI mit seiner Ausgangsthese, Entwicklungszusammenarbeit trage nicht zu Entwicklung bei, in einen überholten Ansatz der 1960er Jahre zurück, nach dem wirtschaftliche Zusammenarbeit und gesamtwirtschaftliches Wachstum automatisch Armut beseitigten. Heute wisse man, dass bei einem derart engen Fokus existenzielle Armut zunehme und die Vermögensungleichheit steige, weil das Geld in den Händen weniger konzentriert bleibe. Es sei erstaunlich, dass Gönner die gesellschaftliche Entwicklung als Aufgabe der Entwicklungspolitik völlig unterschlage und die Frage ignoriere, wie benachteiligte Gruppen erreicht oder die Daseinsvorsorge etwa in Gesundheit, Bildung und Verkehr verbessert werden könnten.

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