„Privatkapital wird nicht genügend genutzt“

Entwicklungsfinanzierung
Deutschland könnte viel mehr in Entwicklungszusammenarbeit investieren, würde es mehr Privatkapital mobilisieren. Die Bundesregierung hat die Instrumente dafür, nutzt sie aber nicht genügend, meint der Ökonom und Entwicklungsfachmann Roger Peltzer.

Roger Peltzer ist Diplomvolkswirt und berät Unternehmen und nichtstaatliche Organisationen, die in Afrika tätig sind. Er war vor seiner Pensionierung Abteilungsleiter bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft DEG, die Investitionen in und die Privatwirtschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern fördert.

Herr Peltzer, die Bundesregierung hat den Haushalt des Entwicklungsministeriums (BMZ) für dieses Jahr deutlich reduziert; auch andere Geber sparen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Kann Privatkapital die Lücke schließen?
Ja, zumindest teilweise. In Deutschland vergibt die KfW Entwicklungsbank schon seit Jahrzehnten sogenannte Entwicklungskredite[ET(1]  etwa für erneuerbare Energien in Partnerländern. Dafür nimmt sie Mittel auf den Kapitalmärkten auf, mischt sie mit Haushaltsmitteln und vergibt sie als Entwicklungskredite. Die Vergabe dieser Kredite unterliegt den gleichen ökologischen und sozialen Anforderungen wie der klassische aus Haushaltsmitteln finanzierte Kredit. Diese Kredite kann die Bundesregierung als öffentliche Entwicklungshilfe, also ODA, verbuchen, da sie zinsgünstiger sind als Kredite von Geschäftsbanken. Auf diese Weise kann die KfW die ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel verdoppeln, so dass sie am Ende insgesamt rund zehn Milliarden Euro an Entwicklungskrediten vergeben kann. Das ist schon ein substanzieller Hebel, den man noch deutlich stärker nutzen könnte.

Woher kommt das Privatkapital?
Zum Beispiel von institutionellen Anlegern wie Versicherungen aus aller Welt, die KfW-Anleihen kaufen.

Wie ließe sich in den Partnerländern mehr einheimisches Privatkapital für entwicklungspolitisch sinnvolle Investitionen mobilisieren?
Geschäftsbanken und Pensionsfonds in Afrika verfügen über viele Milliarden Euro an Liquidität, die sie nicht in die Entwicklung ihrer Länder, sondern etwa in Bundesanleihen investieren. Wenn solche Pensionsfonds in Kenia oder Nigeria nur fünf Prozent ihrer Einlagen in lokale Start-ups investieren dürften, wäre die große Start-up-Szene in beiden Ländern komplett unabhängig von der Entwicklungsfinanzierung von außen. Deshalb müssten die dortigen Zentralbanken und Pensionsfonds entsprechend beraten werden. In den OECD-Ländern ist es ja durchaus gängige Praxis, dass Pensionsfonds einen Teil ihrer Einlagen in Risikokapital anlegen. Afrikanischen Banken wiederum kann geholfen werden, ihre reichlich vorhandene Liquidität in längerfristige Investitionen zu lenken, indem die KfW oder die DEG, die den Privatsektor in Partnerländern fördert, Teilgarantien gewähren: Die afrikanische Bank vergibt einen Investitionskredit an ein Unternehmen oder eine parastaatliche Institution und die KfW oder die DEG garantieren ihn zu 40 oder 50 Prozent. Auf diese Weise kann man erhebliche Summen privates Kapital aus Entwicklungsländern selbst mobilisieren. 

Nutzt die Bundesregierung das Potenzial von DEG und KfW Entwicklungsbank ausreichend, um Privatkapital zu mobilisieren? Auf welche Hindernisse stößt das?
Die DEG und die KfW Entwicklungsbank unterliegen strengen Risikovorgaben und der deutschen und europäischen Bankenaufsicht. Hinzu kommt, dass der Bund den Gewährleistungsrahmen für die KfW-Entwicklungskredite sehr restriktiv handhabt, obwohl es in der Vergangenheit so gut wie nie Ausfälle gegeben hat. Die Folge: Es wird deutlich weniger finanziert als möglich wäre und es werden Risiken aus der Bilanz in den Bundeshaushalt verschoben. Finanzierungen aus dem Bundeshaushalt sind weniger streng reguliert und lassen sich deshalb flexibler und unbürokratischer einsetzen. Ein Beispiel ist das DEG-Programm ImpactConnect, früher Africa Connect, das ziemlich erfolgreich Investitionen deutscher und europäischer mittelständischer Unternehmen in Afrika und anderen Kontinenten fördert. Früher hat die DEG solche Vorhaben selbst finanziert, jetzt nutzt sie dafür aus den genannten Gründen Mittel aus dem BMZ-Haushalt, die anderswo sinnvoller verwendet werden könnten. Insgesamt ergibt sich die absurde Situation, dass staatliche Institutionen wie die DEG und die KfW bestimmte Finanzierungen für zu riskant halten, derselbe Staat diese Risiken bei der Verwendung von Haushaltsmitteln aber nicht mehr sieht. 

Ist die strenge Regulierung nicht begründet wegen des Verlustrisikos?
Nein, sie ist kontraproduktiv. Die Ausfallquote bei Global Connect ist so gering, dass die DEG das ohne Probleme verkraften könnte. Das Problem liegt im System: Die KfW Entwicklungsbank und die DEG sind gegründet worden, damit sie Risiken übernehmen, die normale Geschäftsbanken nicht tragen können. Das ist ihr Daseinszweck, insbesondere der DEG. Sie werden aber genauso streng reguliert wie Geschäftsbanken. Das führt dazu, dass sie vielfach nicht mehr Risiken übernehmen als diese. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Die DEG arbeitet mit gut geführten Unternehmen in Afrika, die ein deutlich geringeres Ausfallrisiko haben als die afrikanischen Staaten. Trotzdem muss sie bei der Risikobewertung die Ratings der Staaten zugrunde legen. Dasselbe gilt für die Kredite der KfW Entwicklungsbank. Das müsste man mal grundsätzlich überdenken und ändern. Das kann das BMZ aber nicht alleine machen. Dazu bräuchte es eine Diskussion zwischen dem Finanzminister, dem Wirtschaftsminister und der Entwicklungsministerin.

Und warum packt die Politik das nicht an?
Privates Geld hat hierzulande immer noch den Ruf, gar keine richtige Entwicklungshilfe zu sein. Entsprechend wird das Potenzial nicht richtig wahrgenommen. Das gilt für den zuständigen Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und erst recht für den Haushaltsausschuss, in dem Entwicklungszusammenarbeit ohnehin kein wichtiges Thema ist. Es wird grundsätzlich verstanden, dass Privatinvestitionen in Entwicklungsländern wichtig sind, aber die Werkzeuge, sie zu fördern, werden nicht genügend genutzt.

Für welche Vorhaben lässt sich Privatkapital mobilisieren? Wohl kaum für Anliegen wie Gesundheit und Bildung auf dem Land oder für Menschenrechtsarbeit, oder?
Nein, im engeren Sinne nicht. Wobei man auch hier genau hinschauen muss. Die Versorgung mit Basisgesundheit auf dem Dorf kriegen Sie mit privatem Kapital nicht hin. Aber wenn Sie in Dakar im Senegal mit Privatkapital ein modernes Krankenhaus bauen, dann fahren die Leute, für die das attraktiv ist, nicht mehr zur Behandlung nach Paris. Das spart eine Menge Geld, ist also volkswirtschaftlich sinnvoll. Und wenn es gut läuft, dann bietet ein solches Krankenhaus zusätzlich Plätze für ärmere Patienten, die sich eine Behandlung dort ansonsten nicht leisten könnten. Ähnliches gilt für manche privat finanzierten Hochschulen. Das kann entwicklungspolitisch sinnvoll sein. 

Der Entwicklungsausschuss der OECD hat unlängst die Möglichkeiten verbessert, dass Geber sich die Mobilisierung von Privatkapital als öffentliche Entwicklungshilfe anrechnen können. Fachleute aus der Zivilgesellschaft kritisieren, das könnte ODA künftig verstärkt in solche Vorhaben lenken, die für private Investoren interessant sind, während Bereiche, die auf öffentliche Mittel angewiesen sind, zu kurz kommen. Wie sehen Sie das?
Das Problem ist schon die ODA-Quote an sich. Die ist für die Politik der überragende Maßstab. Deshalb besteht ja an der Mobilisierung von lokalen Ressourcen etwa über Garantien der KfW oder der DEG kein großes Interesse, weil dieses mobilisierte Kapital nicht auf die ODA-Quote angerechnet würde. Auf der anderen Seite besteht tatsächlich das Risiko, dass der Druck auf Regierungen schwächer wird, erforderliche Haushaltsmittel bereitzustellen, wenn sich die ODA-Quote auch mit der Mobilisierung von Privatkapital erreichen lässt. Insofern ist an der Kritik an der ODA-Reform etwas dran.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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