Aserbaidschan verhindert Buchpräsentation

ARIS MESSINIS/AFP via Getty Images
Eine von aserbaidschanischen Truppen während des Krieges Ende 2020 zerstörte Kirche in der damals noch mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave Berg-Karabach.
Kirche und Ökumene
Anfang März sollte in Berlin ein Buch über die drohende Zerstörung armenischen Kulturguts in Berg-Karabach öffentlich vorgestellt werden. Nach erheblichem Druck unter anderem vom aserbaidschanischen Botschafter wurde die Veranstaltung nur online durchgeführt.

Druck und Drohungen sind Stefan Meister, dem Leiter des Osteuropa-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), nicht unbekannt. Seit Jahren beschäftigt sich der Politikwissenschaftler mit den Machtverhältnissen im Kaukasus und Osteuropa und hat sich dabei immer wieder bei den Autokraten in der Region unbeliebt gemacht. Wie Anfang März allerdings von aserbaidschanischer Seite eine Buchvorstellung zu bedrohtem armenischem Kulturgut im Haus der DGAP unter Beschuss genommen wurde, das hat auch für ihn eine neue Dimension. 

Meister bezeichnet es als eine „durch die aserbaidschanische Botschaft orchestrierte Kampagne“. In den Tagen vor der Präsentation des Buches mit dem Titel „Das kulturelle Erbe von Arzach: Armenische Geschichte und deren Spuren in Berg-Karabach“ habe der aserbaidschanische Botschafter Nasimi Aghayev mehrfach täglich bei Meisters Chef in der DGAP angerufen und eine Absage beziehungsweise Verschiebung gefordert. Das Buch sei unsachlich und einseitig pro-armenisch, weil es die Zerstörung aserbaidschanischen Kulturguts und die „ethnischen Säuberungen“ in den letzten 30 Jahren durch Armenien nicht thematisiere, kritisierte der Botschafter. Auch beim Auswärtigen Amt soll er gefordert haben, die Veranstaltung abzusagen. 

Die DGAP bekam außerdem massenweise Post von in Deutschland lebenden Aserbaidschanern und aserbaidschanischen Kulturvereinen aus Baku. Da deren Wortlaut den Einwänden des Botschafters derart ähnelte, geht Meister davon aus, dass die Briefflut von der Botschaft gesteuert wurde. Dann tauchten auf dem Nachrichtendienst X Hassposts und Drohungen gegen Meister und andere Mitarbeitende der DGAP auf, in denen den Autoren und Autorinnen des Buches Islamophobie vorgeworfen wurde. Und schließlich meldeten aserbaidschanische Kulturvereine eine Demonstration vor dem Gebäude der DGAP während der Veranstaltung an. 

Enttäuscht von Auswärtigem Amt und Polizei

Angesichts dieser Drohkulisse wurde die Veranstaltung ins Internet verlegt. Meister sagt, er sei enttäuscht darüber, dass die DGAP weder von der Berliner Polizei noch vom Auswärtigen Amt die nötige Rückendeckung bekommen habe, um die Veranstaltung wie geplant durchführen zu können. 

Harutyun Harutyunyan, einer der vier Herausgeber des Buches, der in Armenien lebt, kann indes nicht nachvollziehen, dass die DGAP angesichts des Drucks von aserbaidschanischer Seite „eingeknickt“ ist. „Meinen deutschen Kollegen war offenbar nicht klar, wie hart sie angegriffen werden können“, sagt er. Es gebe aber auch eine gute Seite. „Wir haben für unser Buch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Statt 70 waren am Ende mehr als 200 Leute zugeschaltet und haben mitbekommen, wie problematisch die Situation insgesamt ist“, sagt Harutyunyan, der an der Universität Yerevan unterrichtet. 

Er hat zusammen mit den anderen Herausgebern Andreas Müller (Uni Kiel), Martin Tamcke (Uni Göttingen) und Dagmar Heller (Konfessionskundliches Institut Bensheim) eine Stellungnahme veröffentlicht: „Wir sind zutiefst beunruhigt angesichts der Möglichkeit, in einem freiheitlich-demokratischen Land auf diese Weise an der Durchführung einer öffentlichen wissenschaftlichen Veranstaltung gehindert zu werden.“ Es sei „beleidigend und unsachlich“, dass ihnen Islamophobie vorgeworfen werde, nur weil sie sich für den Schutz armenischen Kulturguts einsetzten. „Wir sind ungehalten angesichts der mangelnden Bereitschaft öffentlicher Organe, eine im Blick auf die Sorge um Minderheiten und deren kulturelles Erbe wichtige Veranstaltung angemessen zu schützen.“ Sie erwarteten eine politische Stellungnahme aus der deutschen Außenpolitik. 

Vorwurf der Einseitigkeit zurückgewiesen

„Die Netzwerke, die Aserbaidschan in Deutschland aufgebaut hat, scheinen enorm zu sein“, sagt Andreas Müller. Er sei erstaunt, wie autokratische Staaten es schafften, den wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland zu beeinträchtigen. Den Vorwurf der Einseitigkeit lässt Müller nicht stehen. Sicherlich habe es auch Zerstörungen aserbaidschanischen Kulturguts und Vertreibungen von Aserbaidschanern durch Armenier in Berg-Karabach in den 1990er Jahren gegeben, die seien in der Buchpublikation aber nicht das Thema gewesen. Sie seien gleichwohl während der Veranstaltung in verschiedenen Beiträgen erwähnt worden. „Aktuell wird da aber nichts und niemand bedroht. Und es sind auch keine Bulldozer unterwegs, die Moscheen oder anderes aserbaidschanisches Kulturgut zerstören.“ 

Anders sehe es für die armenische Seite aus. Einige Fälle von Friedhofsschändungen und der Zerstörung oder Umwidmung von Kirchen in Berg-Karabach seien bereits dokumentiert. Müller sagt, seine Sorge wäre weniger groß, wenn nicht bereits in der zu Aserbaidschan gehörenden Exklave Nachitschevan zwischen 1997 und 2006 nahezu alles armenisches Kulturgut wie Kirchen, Klöster, Dorfstrukturen und Friedhöfe – teils mit UNESCO-Weltkulturerbe-Status – von Aserbaidschan systematisch zerstört worden wäre

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