„Einen Regimewechsel von außen lehne ich ab“

Ein beschädigtes Hochhaus im Hintergrund, weinende Frauen und Feuerwehrleute im Vordergrund.
picture alliance / Anadolu | Fatemeh Bahrami
Ein Blick auf ein beschädigtes Gebäude in der iranischen Hauptstadt Teheran nach einem israelischen Angriff am 13. Juni 2025. Feuerwehrleute sind im Einsatz, die Menschen trauern und sind wütend. Die Iranerinnen und Iraner fühlen sich von der Weltöffentlichkeit im Stich gelassen.
Iran
Die iranische Künstlerin und Aktivistin Parastou Forouhar lebt seit 1991 in Deutschland; ihre Eltern, Oppositionelle, waren vom Geheimdienst ermordet worden. Im Interview verurteilt sie sowohl das iranische Regime als auch die Bombenangriffe auf das Land und warnt vor Versuchen, das Regime von außen zu stürzen.

Parastou Forouhar ist bildende Künstlerin. Sie ist 1962 in Teheran geboren, aus der Islamischen Republik Iran mit ihren zwei kleinen Söhnen geflohen und lebt seit 1991 in Deutschland. Forouhar steht weiter in engem Kontakt zu Landsleuten.

Frau Forouhar, wie geht es Ihnen als Exil-Iranerin kurz nach den jüngsten Bombenangriffen auf das Land? 
Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden, die Emotionen in den Griff zu bekommen. In der vergangenen Nacht habe ich kein Auge zugetan, denn in dem Gebiet, das zuvor bombardiert worden war, liegt mein Elternhaus. Es hat lange gedauert, bis endlich der Kontakt zu den Nachbarn zustande kam und ich erfahren habe, dass es noch steht.

Wie geht es Ihren Angehörigen und Bekannten im Iran?
Viele sind traumatisiert. Sie sind in tiefer Trauer versunken, aber auch wütend und zornig. Diese Wut richtet sich gegen beide Seiten: Gegen die israelischen Bomben, aber auch gegen die eigene Regierung, gegen die sie seit Jahren ankämpfen. Viele Funktionäre sind wohl in Bunker geflüchtet, wohingegen es für die Zivilgesellschaft nirgendwo Schutz gibt. Trotz der kriegstreiberischen Rhetorik hat das Regime keinerlei Schutzräume für die Bevölkerung geschaffen. Die Menschen fühlen sich als Geiseln des Regimes. 

Was bedeutet diese jüngste Eskalation für die iranische Zivilgesellschaft? 
Ich beobachte eine extrem solidarische Haltung untereinander. Dieses starke Gefühl der Zugehörigkeit hat aber rein gar nichts mit der Führung der Islamischen Republik zu tun. Die Angriffe von außen führen nicht dazu, dass die Iraner sich nun hinter ihrer Regierung versammeln – im Gegenteil. Eine gewisse Genugtuung oder Freude über den Tod von Funktionären, die zahlreiche Menschen auf dem Gewissen haben, ist durchaus auch zu hören. Aber niemand befürwortet die Angriffe.

Die Schwächung des Regimes stellt also keine Chance für die iranische Zivilgesellschaft dar, sich dieser Führung zu entledigen?
Keineswegs. Mörderische Angriffe von außen sind keine Chance, sondern eine Gefahr. Die Zivilgesellschaft ist geschwächt durch die jahrelange, gewalttätige Unterdrückung. Woher sollen die Menschen die Kraft nehmen, sich gegen das Regime aufzustellen, wenn sie im Bombenhagel sitzen und Angst haben um das Leben ihrer Liebsten? Hinzu kommt, dass das iranische Regime umso härter gegen Oppositionelle im Inneren vorgeht, je größer die Bedrohung von außen ist. Derzeit werden noch mehr Menschen verhaftet und bestraft als ohnehin schon. Während der Angriffe wurden mehrere Menschen als angebliche Spione Israels hingerichtet.           

Was würde den nach Freiheit und Demokratie strebenden Iranerinnen und Iranern jetzt helfen?
Die Weltöffentlichkeit muss weiterhin in den Iran schauen und sich für die Schicksale der Protestierenden, der Inhaftierten und Unterdrückten interessieren – nicht nur in Krisenmomenten. Unmittelbar vor den Angriffen gab es einen riesigen, von Gewerkschaften organisierten Streik der LKW-Fahrer, der Teile des Systems lahmgelegt hat. Aber das war den hiesigen Medien nicht mal eine Meldung wert. Dabei gibt es viele Streiks, Petitionen, Wortmeldungen gegen die iranische Führung. Der Druck von außen auf den Iran muss aufrechterhalten werden, auch wenn das Regime gegen die eigene Bevölkerung vorgeht.

Manche in Israel und den USA hoffen, dass die Bomben einen Regimewechsel fördern. Gibt es Akteure in der Opposition, die einen Großteil der Iraner hinter sich vereinen und neue politische Strukturen aufbauen könnten?
Das Narrativ vom Regimewechsel lehne ich ab. Ich bin für eine grundlegende Veränderung des politischen Systems – aber die muss von der iranischen Zivilgesellschaft herbeigeführt werden und nicht mit Bomben. Ein Regimewechsel, der durch Kräfte von außen vorangetrieben wird, lässt ein Machtvakuum entstehen. Und was dann? Am Beispiel Libyen oder Irak sehen wir, wozu das führt. Meine Hoffnung auf einen besseren, freien Iran setze ich in die Zivilgesellschaft, die so mutig ist.   

Aber ist die im Iran noch stark genug? Um die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ist es still geworden in den vergangenen Monaten.
Die Bewegung ist da, sie lebt! Wir müssen nur hinschauen und berichten. Das meine ich, wenn ich sage: Blickt in den Iran – auch jenseits des aktuellen Krieges. „Frau, Leben, Freiheit“ war und ist eine große und starke Bewegung. Die iranische Zivilgesellschaft hat das Potenzial, selbst für ihre Rechte einzustehen, trotz der fortwährenden Unterdrückung und des mörderischen Apparats der Islamischen Republik. Ich wünsche mir mehr Solidarität mit der Bewegung in den demokratischen Ländern, genauso wie andauernden politischen Druck. Auch wenn die Bewegung nicht mehr so schöne Bilder liefern kann, weil viele Aktivistinnen im Gefängnis sitzen. Ich war im November im Iran und erstaunt, dass sich mittlerweile etwa dreißig Prozent aller Frauen ohne Schleier auf die Straße trauen. Jede Frau, die mit offenen Haaren herumläuft, ist eine Parole gegen das Regime. Dass es so viele sind und das auch akzeptiert wird, zeigt eine grundlegende kulturelle Veränderung.   

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Haben die jüngsten Angriffe Auswirkungen auf die iranischen Frauen?
Frauen sind, wie in jedem Krieg, die größten Opfer. Aber nicht nur sie: All die Tagelöhner und andere Menschen aus verarmten Gesellschaftsschichten, die nicht die Möglichkeit haben zu fliehen, sind die großen Leidtragenden des Krieges. Die Armut im Iran ist in den vergangenen Jahren durch die Korruption und Misswirtschaft des Regimes stark angestiegen.

Wie erleben Sie die Debatte über den Iran hierzulande?
Dieser furchtbare Satz von Friedrich Merz, die Israelis erledigten im Iran „für uns“ die „Drecksarbeit“, hat mich zutiefst schockiert und verletzt. Diese Aussage hat die Debatten bestimmt und ich frage mich, für wen der Bundeskanzler da spricht. Ich finde es mehr als befremdlich, dass er ein ganzes Land degradiert und die kriegstreiberische Politik und Aggression Israels rechtfertigt. Ich bin froh um jede Stimme, die das kritisiert. Wird der Aggressor nicht klar benannt, wird das Völkerrecht mit Füßen getreten. Und ich dachte, das Leben in Deutschland basiert auf Demokratie und Menschenwürde! Deutschland ist seit einem Vierteljahrhundert ein Zuhause für mich, aber plötzlich gerät meine Welt ins Wanken.   

Sie stehen im Austausch mit Oppositionellen im Iran. Welche Schilderung der letzten Woche hat Sie besonders bewegt?
Die Solidarität der Menschen untereinander berührt mich sehr. In den sozialen Medien vernetzen sie sich. Mithilfe von Telegram suchen Studenten in Teheran beispielsweise nach Möglichkeiten, den Bomben zu entfliehen und zu ihren Familien zu gelangen. Ärzte bieten ihre Unterstützung an; normale Bürger fragen, ob sie für ältere Menschen etwas einkaufen sollen, und auf Instagram verkündet ein junger Mann, dass er sich um die Katzen in einem bombardierten Stadtviertel kümmert. Die Menschen versuchen, sich gegenseitig Halt zu geben. Aber in den sozialen Medien lese und höre ich auch immer wieder einen Satz: „Wir sind alleine. Wir haben nur uns selbst.“ Es ist beschämend, dass die Iraner denken, sie seien von der Welt alleine gelassen.

Das Gespräch führte Elisa Rheinheimer am 24. Juni 2025.

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