„Wer überhaupt noch irgendetwas sagt, will anonym bleiben“

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Journalistische Arbeit
Zwei Soldaten durchsuchen zwei vermeintliche Bandenmitglieder.
APHOTOGRAFIA/Getty Images
Offiziell verfolgt die Bukele-Regierung die Bandenkriminalität im Land unerbittlich - hier eine Militärrazzia in San Salvador. Wer berichtet, dass es hinter den Kulissen anders aussieht, begibt sich in Lebensgefahr.
El Salvador
Unter Präsident Nayib Bukele werden in El Salvador unabhängige Journalisten und Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen systematisch verfolgt. Viele von ihnen haben aus Furcht um Leib und Leben das Land verlassen – im Juli auch „welt-sichten“-Korrespondentin Cecibel Romero.

Was hat Sie dazu bewegt, ins Exil zu gehen?
Es gab nicht den einen Vorfall, die eine Drohung. Meine Flucht ist Folge einer Entwicklung, die über Jahre eskaliert ist. Vor der Wahl von Nayib Bukele zum Präsidenten 2019 war die Presse in El Salvador frei. 2020 begann er dann damit, alle zu attackieren – zunächst „nur“ verbal –, die sich regierungskritisch äußerten. Es gab Kampagnen und Shitstorms gegen unabhängige Journalisten und auch gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Man warf ihnen vor, sie arbeiteten für die Opposition, fürs Ausland oder für internationale Organisationen. Gleichzeitig schränkte man unseren Zugang zu Informationen ein: Minister gaben keine Interviews mehr und beantworteten auch keine Fragen von Journalisten, Dokumente und Quellen waren nicht mehr zugänglich, Informationen für Recherchen waren kaum noch zu bekommen. 

Cecibel Romero berichtete als freie Journalistin seit 1995 aus ihrem Heimatland El Salvador für lateinamerikanische und deutsche Medien. Seit Juli 2025 lebt sie in Guatemala.
 

Gilt das für alle Journalisten oder nur für vermeintliche Gegner?
Es gilt für alle, die sich ein unabhängiges Bild verschaffen möchten, und dabei geht es längst nicht nur um Tagespolitik. Vor 2019 beispielsweise habe ich zusammen mit einem salvadorianischen Fotografen eine Reportage über eine psychiatrische Einrichtung gemacht. So etwas wäre heute nicht mehr möglich, kein Bediensteter würde uns einlassen oder mit uns sprechen. Wer sich gegenüber Journalisten äußert, muss mit seiner sofortigen Entlassung rechnen, das ist das Übliche. Auch ausländische Journalisten, die in der Regel besser behandelt werden, bekommen schon lange keine Antworten mehr auf Interviewanfragen – alle haben Angst vor Sanktionen. Juristisch dagegen vorzugehen ist zwecklos, denn Bukele hat inzwischen sowohl das Oberste Gericht als auch die Generalstaatsanwaltschaft komplett mit seinen Leuten besetzt. Wer überhaupt noch irgendetwas sagt, will anonym bleiben. 

Seit wann fühlten Sie sich persönlich bedroht?
Im Internet angegriffen und beschimpft zu werden, war die erste Stufe, und ich muss sagen, wir hatten uns schon mehr oder weniger daran gewöhnt. Dann kam heraus, dass die Bukele-Regierung Journalisten und Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen mit Hilfe der Pegasus-Spyware ausspionierte – auch auf meinem Handy fand sich diese Software. Letztes Jahr begann die Regierung schließlich damit, juristische Vorwürfe gegen Einzelne zu konstruieren und sie anzuklagen. Die Menschenrechtsanwältin und Korruptionsbekämpferin Ruth López, die ich gut kenne, wurde im Mai verhaftet, man holte sie nachts im Schlafanzug aus ihrer Wohnung – und warf ihr dann „unrechtmäßige Bereicherung“ vor. Drei Tage vorher waren drei Umweltschützer festgenommen worden, die man der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bezichtigte. Das funktioniert alles, weil in El Salvador seit über drei Jahren der Ausnahmezustand herrscht. Der Rechtsstaat ist außer Kraft gesetzt. Allein im Mai und im Juni 2025 haben knapp 50 Journalisten El Salvador verlassen.

Gibt es für derartige Razzien einen konkreten Anlass?
Am 1. Mai hat die Internetzeitung „El Faro“ eine große Recherchegeschichte inklusive Audios veröffentlicht, die Bukeles Ansehen sehr geschadet hat. Es ging um seine geheimen Absprachen mit kriminellen Banden, die ihm schon seit Längerem vorgeworfen werden. Zum ersten Mal erzählten zwei Anführer vor der Kamera, dass sie Bukele schon seit vielen Jahren unterstützen, und wie er mit Hilfe von Todesdrohungen der Banden Wählerstimmen gewann. Als Gegenleistung erhielten die Bandenchefs damals Geld vom Wahlkampfteam Bukeles. Als die Geschichte online ging, haben die letzten Redaktionsmitglieder von „El Faro“ El Salvador verlassen. 

Wie hat die Regierung reagiert?
Am 20. Mai hat das Parlament das Gesetz über „ausländische Agenten“ verabschiedet. Journalisten, die Honorare aus dem Ausland beziehen – also auch Korrespondentinnen wie ich – müssen sich jetzt ebenso wie NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, registrieren, detailliert über ihre Einnahmen berichten und eine Steuer von 30 Prozent auf Spenden, Sacheinfuhren oder materielle Güter aus dem Ausland bezahlen. Ich selbst habe mich nicht registriert. Gleichzeitig nahm die Repression zu. So wurde Anfang Juni der Jurist und Fernsehkommentator Enrique Anaya, der unter anderem die Festnahme von Ruth López kritisiert hatte, im Haus seiner Tochter unter dem Vorwurf der Geldwäsche festgenommen und in Handschellen abgeführt. 

Ist er noch in Haft?
Sein Fall und auch alle anderen derartigen Fälle werden als „geheim“ geführt, man erfährt einfach nichts mehr darüber. Mein Partner, der lange Zeit Chefredakteur von „El Faro“ war und noch immer Teilhaber ist, wohnt am Ende einer unbelebten Sackgasse in San Salvador. Als dort mit einem Mal überall Polizisten auftauchten, hat er schnell seine Sachen gepackt und ist geflohen. Ich selbst kam ein paar Tage später nach. Ich war 2020 die erste, die einen Korruptionsskandal der Regierung Bukele veröffentlichte und danach noch weitere ähnliche Geschichten. Es war klar, dass auch ich gefährdet war. Es waren nicht nur wir – in diesen Tagen gab es eine Massenflucht aus El Salvador ins Nachbarland Guatemala. 

Das heißt, in Guatemala leben nun viele Journalisten und Aktivisten aus El Salvador?
Ja, es gibt hier eine beträchtliche Exil-Community, darunter auch viele Anwälte. Einige sind aber auch nach Mexiko, Costa Rica oder Spanien geflohen. 

Auch in Guatemala müssen unabhängige Journalisten mit Einschüchterungsversuchen und Anschlägen auf ihr Leben rechnen, oder? 
Das stimmt, wir müssen mit allem rechnen – auch damit, dass sich die Regierungen untereinander über ihre Gegner austauschen. Aber vorerst bin ich froh, aus dem direkten Schussfeld zu sein. 

Das Interview führte Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2025: Gelebte Vielfalt
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