Vor einem Vierteljahrhundert hat der damalige Papst Johannes Paul II. aus Anlass des Heiligen Jahres 2000 zum Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt aufgerufen und damit die Katholische Kirche zum Hauptmotor einer weltweiten Erlassjahr-Kampagne gemacht. 21 Millionen Menschen unterschrieben damals die Petition für einen Schuldenerlass für am meisten verschuldete Länder. Unter einem von der Weltbank und dem Internationalem Währungsfonds organisierten Entschuldungsprogramm wurden schließlich 35 Ländern große Teile ihrer Staatsschulden erlassen.
Dieses Jahr steht im katholischen Kalender wieder ein Heiliges Jahr, das als eine besondere Zeit der Vergebung und der Versöhnung gilt. Und erneut will der Vatikan die Aufmerksamkeit auf die erdrückende Schuldenlast vieler Entwicklungsländer lenken. Anfang des Jahres hat noch der im April verstorbene Papst Franziskus zusammen mit der Columbia University eine internationale Expertenkommission einberufen, um zu erarbeiten, wie das globale Finanzsystem reformiert werden muss, damit Entwicklungsländer nicht wegen zu großer Schuldenlast Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Klimaschutz vernachlässigen müssen.
Keine Begünstigung der Gläubiger auf Kosten der Schuldnerländer
Seit Sommer liegt der sogenannte Jubiläumsbericht vor. 30 internationale Fachleute aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und verschiedenen Religionsgemeinschaften haben ihn unter dem Vorsitz des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz und des ehemaligen argentinischen Wirtschaftsministers Martín Guzmán erstellt. Unter dem Titel „Ein Plan zur Bewältigung der Schulden- und Entwicklungskrisen und zur Schaffung der finanziellen Grundlagen für eine nachhaltige, menschenzentrierte globale Wirtschaft“ fordern sie eine grundlegende Überarbeitung der globalen Finanzarchitektur, weil diese die Gläubiger strukturell auf Kosten der Schuldnerländer begünstige.
Staatsschulden sollten danach nicht in einem System verankert sein, in dem Gläubiger ihre Einlagen vollständig zurückgezahlt bekommen, während im Schuldnerland Kinder hungern. Dies sei ein Tribut, der von den Armen gefordert werde, während die Mächtigen geschützt würden, hieß es bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichts in Rom Ende Juni. Eine Koalition von willigen Regierungen und multilateralen Organisationen müsse das ändern, um die Schulden- und Entwicklungskrise in den Griff zu bekommen. Sonst werde die Chancenungleichheit weiter wachsen und die Weltwirtschaft mittelfristig destabilisieren.
Mehr Schulden bei privaten Gläubigern
Die Situation heute ist laut dem Bericht komplexer als in den frühen 2000er Jahren. Damals seien Entwicklungsländer vor allem bei Regierungen im Norden und bei öffentlichen Einrichtungen wie der Weltbank verschuldet gewesen. Heute hätten sie auch hohe Schulden bei privaten Gläubigern wie Geschäftsbanken und Fonds. Die Expertenkommission plädiert deshalb dafür, dass multilaterale Gremien wie der Weltwährungsfonds und die Weltbank keine Rettungsaktionen mehr aufsetzen, die private Gläubiger vor Verlusten schützen, sondern stärker auf nachhaltige Sanierungsprogramme hinarbeiten. Die Weltgemeinschaft solle neben weiteren Entschuldungsprogrammen auch Strukturen und Regeln schaffen, die bewirken, dass Gläubiger und Schuldner sich frühzeitig gemeinsam auf nachhaltige Umschuldungen einigen. Häufig kämen diese bisher zu spät.
Der Bericht kommt zu einer Zeit, in der die weltweite Schuldenkrise größer ist denn je. Viele Entwicklungsländer haben während der Covid-Krise neue Schulden aufnehmen müssen und wurden kurz darauf mit stark steigenden Zinssätzen konfrontiert, mit denen die Zentralbanken in den USA und Europa die Inflation in den Griff kriegen wollten. Jetzt sind außerdem die internationalen Entwicklungsgelder stark rückläufig. „Viele Entwicklungsländer sehen sich mit einem enormen Investitionsbedarf, begrenzten Finanzierungsmöglichkeiten und einer erhöhten Anfälligkeit für externe Schocks konfrontiert“, heißt es in dem Bericht. Die Kolonialzeit habe außerdem Wirtschaftsstrukturen hinterlassen, die auf den Export von Rohstoffen ausgerichtet waren und die Abhängigkeit von importierten Konsumgütern förderten.
Afrika am schlimmsten betroffen
In Afrika sei die Schuldenkrise am schlimmsten, heißt es in dem Bericht. Der Kontinent sei die einzige Region, in der die Staatsverschuldung seit 2013 schneller wachse als das Bruttoinlandsprodukt. 57 Prozent der Bevölkerung des Kontinents, das sind mehr als 750 Millionen Menschen, lebten in Ländern, die mehr für den Schuldendienst ausgäben als für Bildung oder Gesundheit.
Das derzeitige globale Finanzsystem funktioniere weder für die Menschen noch für den Planeten, sagt Alfonso Apicella von der katholischen Hilfsorganisation Caritas International. Es liege nun an den Entscheidungsträgern und verantwortungsbewussten Bürgern, „öffentlichen Druck aufzubauen, um Änderungen an einem Schuldensystem vorzunehmen, das die Zukunft von Milliarden in mehr als 50 Ländern lähmt“. Mit der von Caritas International initiierten Kampagne „Turn Debt into Hope/Schulden in Hoffnung verwandeln“ soll nun nach dem Vorbild der Erlassjahr-Kampagne 2000 Druck auf politische Entscheidungsträger und private Gläubiger gemacht werden. Die Kampagne schließt sich in ihren Forderungen dem Jubiläumsbericht an. Mehr als hundert Organisationen weltweit haben sich bereits angeschlossen, darunter Act Alliance, der Weltbund Reformierter Kirchen, der Lutherische Weltbund und der Ökumenische Rat der Kirchen.
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