Wo Krieg herrscht, wird auf Menschenrechte keine Rücksicht genommen. Das gilt auch für die Religionsfreiheit. So wurden im Krieg Russlands gegen die Ukraine nach einem Monitoring des ukrainischen Arbeitskreises für das akademische Studium der Religionen bis Ende 2024 mehr als 600 religiöse Gebäude zerstört. Wie viele davon gezielt beschossen wurden, um Menschen zu zermürben, lässt sich nicht eindeutig klären. In den von Russland besetzten Gebieten jedenfalls bekommen Menschen, die nicht der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) angehören, das Misstrauen der neuen Machthaber deutlich zu spüren. Evangelikale Gemeinschaften und Freikirchen sowie muslimische Gemeinden wurden aufgelöst, die Zeugen Jehovas ganz verboten. Auch die katholische Kirche in Luhansk wurde vorübergehend geschlossen.
Russland untermauert seine territorialen Ansprüche mit religiösen Argumenten und weiß dabei das Moskauer Patriarchat fest an seiner Seite. Nach der Erzählung von einer gemeinsamen, unauflösbaren russischen Identität kann ein guter orthodoxer Christ in einem Gebiet, das Russland als das eigene beansprucht, nur Mitglied in der ROK sein. Das sind in der Ukraine aber nur noch wenige. 2019 hat sich die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) von der ROK gegen deren Willen abgespalten. Es war gewissermaßen die kirchenpolitische Antwort der Ukraine auf die Frage nach mehr Unabhängigkeit von Russland.
„Russland nutzt die orthodoxe Religion als strategisches Mittel der hybriden Kriegsführung“, sagt Regina Elsner, Professorin an der katholisch-theologischen Fakultät in Münster und Expertin für Religionsfreiheit in Russland und der Ukraine. „Russland und die Russisch-Orthodoxe Kirche vereinnahmen die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine als zivilisatorisches Eigentum.“ Über viele Jahre hätten sie unter den Gläubigen ein Bewusstsein geprägt, dass die ukrainische Orthodoxie nur in Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Moskau eine wahre Kirche sei. „Die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine ist für Moskau eine Kampfansage gewesen“, sagt Elsner.
Ukrainische Regierung streitet mit der Ukrainisch Orthodoxen Kirchen
Doch im Kampf um das eigene Land und seine Sicherheit spielt auch die Ukraine mittlerweile die religionspolitische Karte. Im Sommer vergangenen Jahres ist ein Gesetz in Kraft getreten, das es ermöglicht, Religionsgemeinschaften zu verbieten, die administrative, personelle oder finanzielle Kontakte zu Russland haben. Der Vatikan und auch der Weltkirchenrat kritisierten das damals scharf.
Das Gesetz richtet sich vor allem gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die sich nach der Abspaltung der OKU 2019 offiziell noch zum Moskauer Patriarchat bekannte, aber kurz nach Kriegsbeginn die Unterstützung des Moskauer Patriarchen Kyrill für Putins Angriffskrieg scharf verurteilte und sich im Mai 2022 offiziell von der ROK lossagte. Die ukrainische Regierung nimmt der UOK diese Distanzierung nicht ab und wirft ihr immer wieder vor, sie pflege weiter Beziehungen zu Moskau. So wurde ihr im März 2023 die Nutzung des Höhlenklosters in Kiew untersagt, das seit Jahrhunderten ein wichtiges Zentrum der Orthodoxie ist. In seinem ausgedehnten Komplex von Kirchen und Konventsgebäuden hatten bis dahin sowohl die Leitung der UOK als auch ihre Theologische Akademie ihren Sitz. Der ukrainische Staat hat der UOK auch für andere historische Gotteshäuser, die in seinem Besitz sind, die Nutzungsrechte entzogen.
"Russland nutzt Religion als Waffe"
Besonders fragwürdig ist allerdings, dass dem Metropoliten der UOK, Onufriy, Anfang Juli die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Die ukrainischen Behörden begründen das damit, der gebürtige Ukrainer sei seit 2002 heimlich auch russischer Staatsbürger gewesen. Onufriy bestreitet das vehement. Bereits im Frühjahr 2023, als ähnliche Gerüchte gegen ihn aufgekommen waren, hatte er öffentlich erklärt, dass er wenige Jahre während seines Studiums in Moskau gelebt und dort zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1990 eine permanente Aufenthaltsgenehmigung gehabt habe. Diese sei dann automatisch in die russische Staatsbürgerschaft übergegangen, die er aber nie genutzt habe. Er habe immer die ukrainische Nationalität als seine Staatsbürgerschaft angegeben.
„Dem Metropoliten die Staatsbürgerschaft zu entziehen, ohne eine Sicherheitsgefährdung durch ihn nachzuweisen, ist höchst fragwürdig“, sagt Elsner. Allerdings müsse auch gesehen werden, dass die Ukraine ihre Sicherheit in jedem gesellschaftlichen Bereich schützen müsse. „Da Russland gezielt Religion als Waffe in diesem Krieg nutzt, kann Religion aus sicherheitspolitischen Erwägungen nicht herausgehalten werden.“ Auch wenn die Maßnahmen der ukrainischen Regierung durchaus die Religionsfreiheit der betroffenen Gläubigen bedrohten.

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