Die Organisationen Public Eye und Trial International sind es gewohnt, sich mit mächtigen Gegnern anzulegen. Zum Beispiel, als sie 2020 gemeinsam einen Bericht veröffentlichten, in dem sie der Kolmar Group AG mit Sitz in Zug vorwarfen, illegal gehandelten Treibstoff aus dem Bürgerkriegsland Libyen erworben zu haben.
Die Firma, die mit Rohstoffen handelt, reagierte auf die Veröffentlichung, indem sie die Verfasser verklagte – und dies gleich zweimal: In einem Strafverfahren in Bern warf sie ihnen „üble Nachrede oder gar Verleumdung“ vor. Zusätzlich strengte sie in Zug ein zivilrechtliches Verfahren an und forderte 1,8 Millionen US-Dollar Schadenersatz. Die erste Klage hat das Regionalgericht Bern-Mittelland im Februar 2024 abgewiesen. Die Autoren seien ihren journalistischen Pflichten vollumfänglich nachgekommen, hieß es zur Begründung. Das Verfahren in Zug läuft noch.
Bei den Klagen der Kolmar Group AG handelt es sich um sogenannte SLAPP: Strategic Lawsuits Against Public Participation, also Klagen, die eine öffentliche Beteiligung unterbinden sollen. Solche Einschüchterungsversuche nehmen in der Schweiz, in Europa und weltweit zu: Firmen und vermögende Privatpersonen, denen fragwürdige Geschäftspraktiken, Menschenrechtsverletzungen oder die Missachtung von Umweltstandards vorgeworfen wird, ziehen jene vor Gericht, die das enthüllen und darüber berichten.
Laut einer Umfrage des Hilfswerks HEKS aus dem Jahr 2022 waren sechs von elf befragten NGOs bereits ein- oder mehrmals verklagt worden. Von den insgesamt zwölf dokumentierten Klagen in dem Bericht stammt eine aus dem Jahr 2016, die übrigen elf wurden seit 2018 erhoben – eine deutliche Zunahme. Dass Firmen häufiger juristisch gegen Kritiker vorgehen, bestätigt ein Bericht von CASE, einem Zusammenschluss von über hundert NGOs in Europa, der SLAPP-Klagen in Europa dokumentiert: Zwischen 2010 und 2015 erfasste sie insgesamt 69 Klagen, hingegen waren es allein im Jahr 2023 bereits 166.
"Juristische Mittel, um NGOs einzuschüchtern"
„Unternehmen greifen zunehmend auf juristische Mittel zurück, um NGOs einzuschüchtern“, sagt Johannes Wendland vom HEKS. Zwar beschränke sich der HEKS-Bericht auf NGOs, doch das Problem sei umfassender, betont Wendland. Betroffen seien auch Medienhäuser, einzelne Journalisten und Wissenschaftlerinnen. „Diese Klagen sind eine Gefahr für uns alle. Wenn NGOs oder Journalisten ihre Watchdog-Funktion nicht mehr wahrnehmen können, bedroht das den öffentlichen Diskurs.“
Am Beispiel der Kolmar-Klage wird die Strategie der SLAPP deutlich: Das Ziel ist nicht, vor Gericht Recht zu bekommen. Denn die Vorwürfe, so zeigt die Gerichtsentscheidung aus Bern, sind offensichtlich juristisch nicht haltbar. Auch die Schadenersatzforderung von 1,8 Millionen Dollar sei ein „völliger Fantasiebetrag“, sagt Oliver Classen, Sprecher von Public Eye.
Schweizer Allianz gegen SLAPP gegründet
Stattdessen sollen bei den betroffenen NGOs Ressourcen gebunden und dadurch ihre Arbeit eingeschränkt werden. Gleichzeitig geht es vor allem darum, NGOs einzuschüchtern: Sie sollen sich beim nächsten kritischen Bericht genau überlegen, ob sie ihn überhaupt veröffentlichen. „Das finanzielle Ungleichgewicht ist ein Charakteristikum solcher Klagen“, sagt Wendland vom HEKS. Auf der einen Seite stünden milliardenschwere Konzerne mit den nötigen Mitteln für lange und teure Gerichtsprozesse, auf der anderen Seite häufig kleine NGOs mit kleinem Budget, für die solche Prozesse schnell existenzbedrohend werden könnten.
Um auf das Problem aufmerksam zu machen, haben mehrere NGOs und Medienvertreter in der Schweiz, darunter auch Public Eye und das HEKS, die Schweizer Allianz gegen SLAPP gegründet. Einerseits will die Allianz die Öffentlichkeit informieren, dass SLAPP haltlose Klagen mit dem Ziel der Einschüchterung sind. Andererseits lobbyiert sie dafür, den gesetzlichen Rahmen anzupassen. In der Schweiz gibt es bisher kein Gesetz, dass solche Klagen verbietet – anders als in der EU, wo die Kommission im April 2022 eine Richtlinie zum Schutz vor missbräuchlichen Klagen vorgeschlagen hatte, die inzwischen vom Europäischen Rat und vom EU-Parlament angenommen wurde.
„Es braucht juristische Anpassungen, damit sich solche Klagen nicht mehr lohnen“, sagt Wendland. Zudem müsse die Öffentlichkeit deutlich machen, dass sie solche Klagen nicht toleriert. Dies sei gerade für die Schweiz wichtig, die als Drehscheibe etwa für den globalen Rohstoffhandel dient und in der zahlreiche Großkonzerne zu Hause sind.
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