Ein Fall von Staatsversagen

Im Ostkongo hat die Rebellenbewegung M23 Goma eingenommen, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu. Die Soldaten der nationalen Armee sind vor früheren Kameraden davongelaufen: Die M23 geht auf eine Rebellentruppe zurück, die 2009 in die Armee integriert wurde und meuterte, als sie dieses Jahr in andere Landesteile verlegt und ihr Kommandant an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden sollten. Die Kämpfe haben Hunderttausende zur Flucht gezwungen und die Ratlosigkeit der internationalen Kongo-Politik offenbart.

Selten beurteilen zwei Kenner einen Vorgang so gegensätzlich wie nun die Offensive der M23. Der Afrika-Korrespondent der FAZ, Thomas Scheen, hält die Gruppe für eine Marionette Ruandas, das sich den Osten des Kongo einverleiben wolle. Für Dominic Johnson, den Ko-Leiter des Auslandsressorts der taz, handelt es sich hingegen um eine Rebellion gegen die Regierung und Armee des Kongo, die jede Unterstützung im Osten des Landes verloren hätten. Für beides gibt es Belege.

Ruanda spielt zweifellos eine maßgebliche Rolle im Ostkongo. Der Bericht, den eine vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Expertengruppe im November vorgelegt hat, dokumentiert, dass die M23 von Ruanda ausgerüstet, mit Truppen unterstützt und vom ruandischen Verteidigungsminister gelenkt wird. Uganda hilft der M23 weniger systematisch.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Beide Länder mischen seit langem im Ostkongo mit, weil bewaffnete Oppositionsgruppen dort ein Rückzugsgebiet finden und weil der Rohstoffschmuggel aus dem Kongo so profitabel ist. Die M23 ist für beide ein Hebel der Einflussnahme. Dass Ruanda die Gruppe ganz unter Kontrolle hat, ist aber zweifelhaft: Das jüngste Ultimatum der Staaten der Region an die M23, sich aus Goma zurückzuziehen, wird von Uganda und Ruanda mitgetragen.

Belegt ist auch, dass die M23 schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verübt hat. Doch viele andere Milizen im Ostkongo und die nationale Armee sind nicht besser. Das Kernproblem ist hausgemacht und heißt Staatsversagen. Soldaten, die nicht bezahlt werden, plündern ungestraft und tun wenig für den Schutz der Bevölkerung. So haben Milizen freie Hand. Einige drangsalieren die Bevölkerung, andere schützen angesichts der Anarchie die eigene ethnische Gruppe.

Nun ist eine realistische politische Strategie gefragt

Auch die UN-Truppe Monusco hat beim Schutz der Bevölkerung versagt. Ihr Auftrag ist freilich widersprüchlich: Sie soll die Ostkongolesen vor Übergriffen schützen – auch vor denen der Armee – und zugleich eben dieser Armee helfen, das Gebiet unter Kontrolle zu bringen. Denn laut dem Ansatz der Staatengemeinschaft soll die Regierung in Kinshasa den Staatsaufbau im Ostkongo zuwege bringen. Das ist eine Illusion – sichtbar daran, wie die Armee vor der kleinen M23 davongelaufen ist.

Nun ist endlich eine realistische politische Strategie für den Umgang mit dem geschundenen Gebiet gefragt. Zu ihr müsste mindestens dreierlei gehören: erstens die Nachbarstaaten von Einmischung abzuhalten; zweitens lokale Friedensprozesse zwischen Gruppen und Institutionen im Ostkongo sowie der Regierung zu fördern. Auch die Tutsi, die seit der Kolonialzeit zugewandert sind und die Basis der M23 bilden, müssen einbezogen werden. Um beides abzusichern, kann eine Friedenstruppe sinnvoll sein. Drittens aber muss die Regierung stärker rechenschaftspflichtig gemacht und zu Reformen gedrängt werden. Sonst wird auch ein Rückzug der M23 nur die nächste Krise einleiten. 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2012: Leben mit dem Klimawandel
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