Viel Geld für wenig Leistung

Während des Kalten Krieges haben sich in Europa und den USA Lobby-Netzwerke aus Militärs, Rüstungsfirmen und Bürokraten gebildet, die bis heute Entscheidungen über Rüstungskäufe und -exporte beeinflussen. Die Öffentlichkeit und die Parlamente werden weitgehend im Dunkeln gelassen – das begünstigt die Korruption. Doch Rüstung treibt längst nicht mehr die technische Entwicklung voran; im Gegenteil, die Militärtechnik ist auf zivile Innovationen angewiesen.
Die Strategien des Staates, seine Sicherheitsorgane, vor allem seine Streitkräfte, mit Waffen und sonstigem Gerät auszustatten, sind von fortwährendem Wandel gekennzeichnet. Während des Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert errichteten Herrscher in Europa Manufakturen, um ihre Heere einheitlich mit verlässlicher Ausrüstung zu versorgen; durch die handwerkliche Produktion war das nicht gewährleistet. Die Manufakturen wurden mit der Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts von Unternehmen abgelöst, die ihre waffentechnischen Innovationen weltweit Streitkräften andienten. Im langen Vorlauf zum Ersten Weltkrieg war die Waffenentwicklung ein Wettbewerb unter profithungrigen Unternehmern, die konservative Militärs von den Leistungen ihrer Produkte zu überzeugen suchten. Rüstungsexporte und die Vergabe von Lizenzfertigung wurden kaum staatlich kontrolliert. So gehörte zum Beispiel das in Großbritannien entwickelte Maxim-Maschinengewehr Anfang des 20. Jahrhunderts zur Ausrüstung fast aller Armeen.

Autor

Peter Lock

ist Sozialwissenschaftler in Hamburg.

Nach dem Ersten Weltkrieg bemühte man sich, im Völkerbund Rüstungskontrollregime zu vereinbaren – bekanntlich ohne Erfolg. Selbst während der beiden Weltkriege wurde die Rüstungsproduktion über Anreize zur Profitmaximierung gesteuert: Preise sowie Zugang zu Rohstoffen und Arbeitskräften. In der UdSSR war die materielle Besserstellung des Rüstungssektors die entsprechende planwirtschaftliche Stellschraube. In den USA war die Wirtschaft allerdings bei Eintritt in den Zweiten Weltkrieg nicht auf den enormen Bedarf an Rüstungsgütern vorbereitet. Der Staat musste Rüstungsfabriken errichten sowie Rüstungsforschung in großem Maßstab organisieren, vor allem für das Ziel, die Kernspaltung militärisch nutzbar zu machen. Privates Risikokapital hätte weder die militärische noch die zivile Nutzung der Atomkraft jemals ohne hohe staatliche Vorleistungen und Subventionen sowie staatliche Haftungsgarantien schultern können.

Nach 1945 war es im kapitalistischen Westen rasch Konsens, dass es Aufgabe des Staates bleiben müsse, die rüstungstechnischen Innovationen zu garantieren, die man im Ost-West-Konflikt für überlebensnotwendig hielt. Gleichzeitig wurde die Weitergabe von Rüstungsgütern zu einer politisch-strategischen Waffe beider der Machtblöcke; damit wurde sie endgültig politischer Kontrolle unterworfen. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich die Rüstungsindustrie zu einem Bereich, in dem normale Marktmechanismen nur stark eingeschränkt galten. Für die politisch-ökonomische Dynamik, die sich daraus ergab, bürgerte sich der Begriff „militärisch-industrieller Komplex“ ein. Er ist analytisch wenig ergiebig und wurde später auch zur Kennzeichnung der in der Planwirtschaft absolut privilegierten sowjetischen Rüstungsindustrien verwendet.

Rüstungspolitik wurde zu Industriepolitik stilisiert

So unterschiedlich die Ausgangslage zu Beginn des Kalten Krieges in den USA, der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik auch war: Überall wurden zwei angebliche Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu wirkungsmächtigen ideologischen Leitsätzen. Erstens wurden militärisch-industrielle Kompetenz und Kapazitäten als Voraussetzung für nationale Souveränität verstanden. Zweitens leitete man vor allem aus der Entwicklung der ersten Atomwaffen und den daran geknüpften Erwartungen an die Kernenergie ab, dass Rüstungsforschung wegen des Nebennutzens an Hochtechnologie (spin-off) zur Steigerung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit beziehungsweise zum Sieg des Sozialismus beitrüge. Rüstungspolitik wurde so zu Industriepolitik stilisiert.

Das nukleare Patt zwischen den USA und der Sowjetunion machte einen konventionellen Krieg zwischen beiden Blöcken in der Praxis unmöglich. Deshalb musste man angestrengt Bedrohungsanalysen produzieren, um konventionelle Aufrüstung und nukleare „Nachrüstungen“ zu rechtfertigen. Die militärischen Fähigkeiten der jeweils anderen Seite wurden übertrieben; das sicherte der Rüstungsindustrie einträgliche, wenig kontrollierte Forschungsmittel sowie Aufträge für Waffensysteme, deren tatsächlicher Gebrauchswert nie getestet werden musste. Die ausländische Konkurrenz war jeweils ausgeschlossen. Immer aufwändigere Waffensysteme wurden ausschließlich im Zusammenspiel von Industrie, Beschaffungsbürokratie und Teilstreitkräften konzipiert. Fehlentwicklungen wurden kaum korrigiert, denn die Beteiligten deckten sich gegenseitig und blieben durch die militärische Geheimhaltung weitgehend vor der Öffentlichkeit und den Parlamenten geschützt. Bereits Anfang der 1980er Jahre hat die britische Friedensforscherin Mary Kaldor die so entstandenen Waffensysteme als barocke Technologien bezeichnet, um auf das miserable Kosten-Leistungsverhältnis der militärischen Ausrüstung der NATO-Staaten aufmerksam zu machen.

Wenn man die heutige Lage der Rüstungsindustrien beurteilen will, muss man sich zunächst von überhöhten Wahrnehmungen des Rüstungssektors aus der Zeit des Kalten Krieges frei machen. Rüstungsindustrien sind heute weder für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft von Bedeutung noch lässt sich belegen, dass Rüstungsausgaben Staaten ernsthaft daran gehindert haben, ihre anderen Aufgaben zu erfüllen. Selbst die gestiegenen Militärausgaben in den USA ändern an dem strukturellen Trend nichts, dass die wirtschaftliche Bedeutung von Rüstungsaufwendungen seit langem abnimmt. Auch die Erwartung, dass nach dem Ende des Kalten Krieges Mittel für das Militär umgewidmet würden – die so genannte Friedensdividende –, war unbegründet. Denn selbst wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre, eine Friedensdividende auszuschütten: Die Umstellung von Rüstungsbetrieben auf zivile Produkte (Konversion) hätte erhebliche Investitionen erfordert, die gegenüber anderen industriepolitischen Maßnahmen unwirtschaftlich gewesen wären.

Die militärischen Eliten und die Rüstungsindustrie stellen sich selbst weiter als unverzichtbaren Motor technologischer Innovation dar und leiten daraus ihren Anspruch ab, staatlich alimentiert und weitgehend vom Wettbewerb freigestellt zu werden. Tatsächlich hat sich jedoch die Richtung der Innovationsflüsse längst umgekehrt: Ohne zivile Hochtechnologie, etwa kommerzielle Elektronik-Komponenten, die der Weltmarkt in atemberaubendem Tempo hervorbringt, ist modernes militärisches Gerät nicht mehr denkbar. Solche zivilen Innovationen hatten bereits das Wettrüsten zugunsten der USA entschieden: Der Sowjetunion fehlte es an einer leistungsfähigen, von Wettbewerb bestimmten zivilen Industrie und sie hatte keinen Zugang zur westlichen Informationstechnologie. Die gab amerikanischen Waffensystemen den entscheidenden Vorsprung.

US-Abgeordnete statten Firmen mit zusätzlichen Aufträgen aus

Solange aber die Rüstungsindustrie als Ausdruck nationaler Souveränität begriffen wird, bleibt der Wettbewerb stark eingeschränkt. Nationale Streitkräfte geben für Waffensysteme technische Anforderungen vor, die sich an hypothetischen Einsatzszenarien orientieren. Nach zehn oder oft auch mehr Jahren nehmen dieselben Stellen die Waffensysteme ab. Notwendige Nachbesserungen werden dann als Kampfwertsteigerungen etikettiert. Den beteiligten Interessengruppen gelingt es stets, Änderungen des militärischen Beschaffungswesens, die eigentlich geboten wären, zu hintertreiben, zumindest aber erheblich zu verzögern.

Für Kontinuität sorgen in der Rüstungswirtschaft politische Netzwerke, in denen sich industrielle und militärische Interessen verbinden. Das zeigt sich etwa daran, dass Waffensysteme wie der Eurofighter, die für hypothetische Szenarien der Ost-West-Konfrontation ausgelegt waren, aufgrund grob fahrlässiger Kaufverträge und des Beharrungsvermögens von Teilstreitkräften zwanzig Jahre später immer noch in Dienst genommen werden. In den USA verabschiedet der Kongress regelmäßig ein Militärbudget, das noch über dem vom Pentagon eingereichten Haushaltsentwurf liegt, weil Abgeordnete Firmen in ihrem Wahlkreis mit zusätzlichen Aufträgen ausstatten wollen. Diese Parlamentarier bemühen sich auch um die Akquise von Exportaufträgen und deren Finanzierung. Ähnlich protegieren politische Netzwerke in Europa die nationalen Rüstungsindustrien. So hatte es in der Bundesrepublik über Jahrzehnte Tradition, dass der Vorsitz im Verteidigungsausschuss ein Erbhof des Münchner Wahlkreises war, in dem wichtige Rüstungsfirmen ihren Sitz haben.

Wirklich profitabel ist die Rüstungsproduktion für den Export, weil die Entwicklung der Waffen und die Lernkosten der Herstellung schon im Rahmen nationaler Beschaffung bezahlt sind. Im Kalten Krieg wurden Rüstungsexportgeschäfte als Instrumente der Systemauseinandersetzung dargestellt und dafür regelmäßig staatliche Zahlungsausfallbürgschaften gewährt. Dieses Muster charakterisiert bis heute die staatliche Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten. Häufig spielt es keine Rolle, ob die Streitkräfte des Empfängerlandes überhaupt fähig sind, die Waffensysteme einzusetzen. Denn es geht den Käufern vorrangig darum, für den Auftrag Bestechungsgelder einzustreichen. Dazu eignen sich Rüstungsgeschäfte wegen ihrer notorischen Intransparenz besonders gut. So hat der britisch-amerikanische Rüstungskonzern BAE Systems bislang in den USA und Großbritannien 450 Millionen US-Dollar Strafe für nachgewiesene, allerdings im einzelnen nicht publik gemachte Korruptionszahlungen bei Exportgeschäften gezahlt. Dabei hat der damalige britische Premierminister Tony Blair 2006 das Verfahren wegen des wahrscheinlich größten Bestechungsfalles – den Vertrag über Rüstungslieferungen für 43 Milliarden Pfund an Saudi Arabien – mit der Begründung niedergeschlagen, es gefährde die nationale Sicherheit.

Der Wandel in der Rüstungswirtschaft wird erstens bestimmt von technologischer Innovation in zivilen Industrien und von der Globalisierung der industriellen Fertigung, zweitens von veränderten Aufgaben der Streitkräfte. Den technischen Fortschritt und die Dynamik der Globalisierung konnten die erwähnten politischen Netzwerke für ihren Bereich zwar verlangsamen. Aber ganz aufhalten ließ sich die Entwicklung nicht. Zum Beispiel gelang es General Atomics, einem jungen amerikanischen Unternehmen, mit der Drohne Predator in den oligopolistisch kontrollierten Markt für Luftrüstung einzudringen.

Der Einfluss der Rüstungslobby nimmt nur langsam ab

Insgesamt nimmt die Fertigungstiefe, also die eigene Wertschöpfung, bei Rüstungsherstellern ab. Immer häufiger erwerben die Streitkräfte leistungsfähiges Gerät auf dem internationalen Markt. Wiederholte Vorstöße von Politikern im amerikanischen Kongress, nur noch Rüstungskäufe aus nationaler Fertigung zu erlauben, sind unter anderem am Widerstand der amerikanischen Rüstungsindustrie selbst und an weitsichtigen Militärs gescheitert: Sie haben darauf verwiesen, dass darunter das hohe technologische Niveau der amerikanischen Rüstungsfertigung leiden würde. Denn militärische Hochtechnologie beruht auf kommerziellen, in globaler Arbeitsteilung gefertigten Komponenten, die in den USA nicht oder nur mit jahrelanger Verzögerung und zu immensen Kosten produziert werden könnten. Bereits zum Ende des Kalten Krieges hatte eine Studie der Havard-Universität festgestellt, dass die amerikanische Rüstungsproduktion auf Technologieimporte unter anderem aus Japan angewiesen war und die USA auch auf diesem sensiblen Gebiet längst nicht mehr autark waren.

Den zweiten Faktor des Wandels, den Rollenwandel militärischer Aufgaben, kann man tendenziell als „Verpolizeilichung“ beschreiben. An die Stelle offener Feldschlachten sind Kampfhandlungen in Städten getreten, wie zum Beispiel im Gazastreifen, in Beirut, Falludschah (Irak) oder auch Ciudad Juárez (Mexiko). In solchen Szenarien führt der Einsatz kinetischer Kampfmittel (Zerstörung durch Explosion) nur beschränkt zum Ziel. Vielmehr bestimmen Aufklärung und Kommunikationstechnik den militärischen Bedarf. Hier nähern sich die Anforderungen an militärisches und ziviles Gerät einander an. Technologien, die zivil wie militärisch eingesetzt werden können (dual use), haben daher einen stetig wachsenden Anteil an militärischen Beschaffungen.

Diese Entwicklungstrends erzwingen in Europa angesichts stagnierender oder schrumpfender Beschaffungsetats seit Jahren eine Konsolidierung der Rüstungsindustrie. Mit Rüstungsexporten und dem Festhalten an nationaler Beschaffung versucht die rüstungsindustrielle Lobby gegenzusteuern. Zusätzlich greift man in Großbritannien, aber auch bereits in Frankreich, in großem Maßstab auf Finanzierungsmodelle ähnlich dem Leasing zurück: Privates Kapital schießt den Kaufpreis von Rüstungsprojekten vor und der Staat zahlt ihn zuzüglich nicht unerheblicher Zinsen über viele Haushaltsjahre ab. Eine weitere Maßnahme zur Förderung der nationalen Rüstungsindustrie war, die Wartungskapazitäten der Streitkräfte für Waffensysteme an die Industrie auszulagern. All dies erklärt, dass die gebotene Konsolidierung der Rüstungsindustrie im europäischen Binnenmarkt nur schleppend vorankommt.

Der Einfluss der Rüstungslobby nimmt nur langsam ab. Dies und das korporative Beharrungsvermögen der Streitkräfte bedingen, dass das Kosten-Leistungsverhältnis militärischer Beschaffungen nach wie vor miserabel ist. Viele Beschaffungsvorhaben sind noch immer nicht auf die heutigen Aufgaben von Streitkräften ausgerichtet und der Wettbewerb ist noch stark eingeschränkt. Dass zivile Technologien und Verfahren leistungsfähiger sind, wird noch immer nicht hinreichend berücksichtigt.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2011: Rüstung: Begehrtes Mordgerät
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