Rebellion mit Ruandas Hilfe

Sylvain Liechti/UN photo
Die Rebellen der M23 ziehen sich Anfang Dezember aus der Provinzhauptstadt Goma zurück, aus der sie die Armee des Kongo verjagt hatten.
Einmischung aus den Nachbarstaaten ist ein wichtiger Grund für den Kreislauf der Gewalt im Ostkongo: Die Miliz, die im Dezember die Stadt Goma im Ostkongo eingenommen hat, würde ohne Hilfe der ruandischen Regierung gar nicht existieren. Doch die Regierung des Kongo ist ebenfalls Teil des Problems.

Der Osten des Kongo wurde im vergangenen November erneut von Unruhen erschüttert: Die Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März) nahm Goma ein, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu. Gefechte zwischen ihr und der kongolesischen Armee trieben Zehntausende Menschen in die Flucht. Experten der Vereinten Nationen (UN) bezichtigten die Nachbarländer Ruanda und Uganda, an dem neuen Ausbruch der Gewalt beteiligt zu sein, und warfen ihnen vor, die M23-Rebellen zu unterstützen. Doch Ugandas Präsident Yoweri Museveni konterte: Die internationale Gemeinschaft mische sich viel zu oft in kongolesische Probleme und Konflikte ein, ohne deren wahre Ursprünge zu kennen, sagte er bei einem Gipfeltreffen der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft im vergangenen Dezember. 

Seine Worte haben einen sarkastischen Unterton. Doch tatsächlich wissen viele, die von außen eingreifen, nur wenig über die Ursachen der komplexen Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo und die Motive und Interessen der Beteiligten. Zu oft erblicken sie nur den Gipfel des metaphorischen – und im Ostkongo besonders großen – Eisbergs. Dies liegt unter anderem daran, dass die Vielzahl der bewaffneten Gruppen, die am Konflikt beteilig sind, kaum untersucht ist.

Gewaltsame Auseinandersetzungen haben das Leben in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu schon immer geprägt: Lokale Konflikte und Kriegszüge ruandischer Könige, Einfälle arabischer Sklavenhändler, die erzwungene Umsiedlung von 300.000 Hutus und Tutsis aus Ruanda in den Kivu während der belgischen Kolonialherrschaft, die Politik des „Teile und Herrsche“ unter der Diktatur Mobutus (1965-1997). Doch erst seit den 1990er Jahre ist der östliche Kongo der Schauplatz eines zuvor unbekannten Ausmaßes von Gewalt, das sich in unregelmäßigen, aber vernichtenden Zyklen bis heute fortsetzt. Sie sind in der Geschichte der Region der Großen Seen verwurzelt.

Autor

Michel Thill

ist am Rift Valley Institut (www.riftvalley.net) für das Great-­Lakes-Programm verantwortlich und sitzt in London.

Der Auslöser war der Bürgerkrieg in Ruanda und der Völkermord dort an Tutsis und gemäßigten Hutus 1994. Im Juli 1994 eroberten von Uganda aus ruandische Tutsi-Rebellen die Hauptstadt von Ruanda, Kigali, stürzten das extremistische Hutu-Regime und stoppten damit den Genozid. Mehr als eine Million Hutus flohen aus Furcht vor Vergeltung in den Kongo, darunter Zehntausende, die an dem Völkermord beteiligt gewesen waren. Sie reorganisierten sich in den Flüchtlingslagern und verübten neue mörderische Überfalle in dem nun von den Tutsi-Rebellen der RPF (Rwandan Patriotic Front) regierten Ruanda.

Zwei Jahre später entschloss sich Kigali, diesen Überfällen der später unter dem Namen FDLR (Forces démocratiques pour la libération du Rwanda) bekannten Miliz ein Ende zu setzen. Mit Hilfe der Miliz AFDL (Alliance des forces démocratiques pour la libération du Congo/Zaïre) und mehrerer Nachbarländer stürmten ruandische Truppen die Flüchtlingslager – und begingen Gräueltaten, die im Ostkongo bis heute in Erinnerung sind. Der so genannte Erste Kongokrieg führte die AFDL nach Kinshasa, wo Laurent Kabila, der Vater des heutigen Präsidenten Joseph, im Mai 1997 Mobutu stürzte.

Nach gut einem Jahr entzweiten sich Laurent Kabila und seine früheren Verbündeten in Ruanda, und im August 1998 begann der Zweite Kongokrieg. Eine neue von Kigali gesteuerte Miliz, die RCD (Rassemblement congolais pour la démocratie), besetzte mit Hilfe von Truppen aus Ruanda und Uganda ein Drittel des Kongo. Der 1999 in Lusaka begonnene Friedensprozess mündete 2002 in einen Friedensvertrag, der unter anderem demokratische Wahlen nach drei Jahren vorsah. Doch dieser Vertrag änderte wenig an der Gewalt im Ostkongo. Zahlreiche bewaffnete Gruppen lebten dort fort, nur wenige hatten aber über ihre jeweilige ländliche Machtbasis hinaus politischen oder militärischen Einfluss.

Milizen im Ostkongo

FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas): Die ruandische Rebellengruppe im Ostkongo entstand Ende der 1990er Jahre aus Hutu-Milizen, die nach dem Sturz des Völkermord-Regimes in Ruanda in ...

Die RCD hingegen wandelte sich zu einer politischen Partei; doch ihr war klar, dass sie im Ostkongo verhasst war und ihre Vorherrschaft mit den Wahlen zu Ende wäre. In der Tat gewann Joseph Kabila die Präsidentschaftswahlen 2006 mit Hilfe der Stimmen aus dem Ostkongo. Ruandas Regierung bildete deshalb mit Hilfe des RCD-Offiziers Laurent Nkunda – und besonders unterstützt von der Tutsi-Elite im Kivu – eine neue Bewegung, den CNDP (Congrès national pour la défense du peuple), um seine Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen im Ostkongo zu wahren. Über die folgenden Jahre hielt der CNDP große Teile Nord-Kivus unter Kontrolle. Schließlich geriet die ruandische Regierung wegen ihrer Unterstützung des CNDP unter internationalen Druck und schloss Anfang 2009 einen Handel mit Kinshasa: Ruanda nahm Nkunda fest, und ruandische und kongolesische Truppen begannen eine gemeinsame Offensive gegen die Hutu-Miliz FDLR (siehe „welt-sichten“ 11/2009).

Ein weiteres Abkommen vom 23. März 2009 hielt fest, dass der CNDP in die kongolesische Armee integriert werden sollte, dessen Offiziere aber im Gegenzug hohe Posten in den Kivu-Provinzen zugesprochen bekamen. So entstanden parallele Befehlsstrukturen in der Armee, die dem CNDP Einfluss über beide Provinzen sicherten. Ab September 2010 versuchte Joseph Kabila, diese Strukturen abzubauen. Als der Druck auf den früheren CNDP wuchs, meuterten einige Offiziere zunächst erfolglos im Januar und März 2012. Doch auf den Ruf Kigalis kämpften sich einige Hundert zur ruandischen Grenze nach Runyoni vor, wo Kigali sie auffing und verstärkte – die M23 war geboren.

Für den Fortbestand starker gewaltbereiter Gruppen im Ostkongo spielten stets die Interessen Ruandas eine zentrale Rolle. Doch die M23 ist die erste Bewegung, die ohne ruandische Unterstützung gar nicht existieren würde. In ihr kreuzen sich persönliche Motive von früheren CNDP-Offizieren mit denen der ruandischen Regierung. Einige der M23-Anführer wollen vermeiden, wegen Menschenrechtsverletzungen verhaftet zu werden. Gleichzeitig möchten sie ihre Posten in der kongolesischen Armee und die damit verbundenen Rohstoffgeschäfte nicht aufgeben.

Ruandas Interessen in den Kivus sind teilweise wirtschaftlicher Natur. Doch Kigali betrachtet die Provinzen wegen der nach wie vor aktiven, wenn auch stark geschwächten FDLR auch als Sicherheitsrisiko und leitet daraus ein Recht auf Intervention ab. Das hat dazu beigetragen, dass die in den Kivus lebenden Banyaruanda – das sind Hunderttausende über die vergangenen 200 Jahre aus Ruanda emigrierte Hutus und Tutsis – oft als Kigalis Zöglinge angesehen und von der lokalen Bevölkerung gehasst werden. Diese Kinyaruanda-sprachige Minderheit bildete die Machtbasis der Vorläufermilizen des M23. Für die M23 selbst ist das allerdings nicht mehr der Fall: Ihre Verwurzelung in dieser Gemeinschaft ist stark geschrumpft und somit auch ihre Legitimationsbasis.

Zusätzlich sind die M23-Rebellen untereinander zerstritten. Je ein Hauptflügel wird vom militärischen Anführer Sultani Makenga und vom ins Abseits gedrängten Bosco Ntaganda angeführt. Daneben bestehen weitere Fraktionen, zum Beispiel um den ehemaligen CNDP-Vertreter in Kinshasa und politischen Führer Jean-Marie Runiga.  Die Fraktionen werden von Ruanda zusammengehalten, ohne jedoch mit Kigali auf einer Linie zu sein; auch in diesem Verhältnis bestehen starke Spannungen. So wurde Makenga in der Vergangenheit wegen Missachtung des Gehorsams mehrere Male von Ruanda verhaftet. Und er hat Kigali nicht verziehen, dass es seinen Mentor Nkunda festgenommen hat. Alle Beteiligten wollen ihre Interessen in den Kivus mit Waffengewalt sichern. So ist die M23 entstanden und lebt fort.

Das alles heißt aber nicht, dass die wiederkehrenden Krisen im Ostkongo hauptsächlich aus Faktoren außerhalb des Landes entspringen. Zu ihnen trägt auch der Unwille der kongolesischen Regierung bei, starke staatliche Institutionen aufzubauen. Es geht um Fragen von Nationalität, Land und Sicherheit, die historisch eng miteinander verbunden sind. Die Banyaruanda kämpfen um ihre Anerkennung als kongolesische Bürger, die ihnen Rechtssicherheit und Rechte wie politische Repräsentation und Landbesitz gibt. Sie beklagen zu Recht, dass der kongolesische Staat es nicht schafft, den Osten des Landes zu befrieden, und ihnen deshalb keine Sicherheit garantieren kann.

Seit den Wahlen im Juli 2006 hat Joseph Kabila wenig getan, um die staatlichen Institutionen zu stärken. Besonders der Sicherheitssektor muss dringend reformiert werden. Die Einnahme Gomas durch die M23-Rebellen hat die Schwäche der kongolesischen Armee deutlich gezeigt. Das Justizsystem ist nicht ausreichend unabhängig und transparent, um Vertrauen in der Bevölkerung zu genießen – ganz abgesehen von dem der zahlreichen bewaffneten Gruppen. Weiter wünschen sich viele Provinzen größere politische und finanzielle Autonomie, allen voran das an Bodenschätzen reiche Katanga. Eine Landreform ist ebenso notwendig, wenn auch noch schwieriger durchsetzbar.

Solche Prozesse können nur von der Regierung in Kinshasa angestoßen werden. Doch nach den scharf wegen Unregelmäßigkeiten kritisierten Präsidentschaftswahlen im November 2011 ist Kabilas innenpolitische Position geschwächt. Die gegenwärtigen Verhandlungen mit der M23 in Kampala untergraben seine Autorität weiter. Gespräche mit Rebellen sind für die Mehrheit der kongolesischen Bevölkerung kaum vertretbar. Die fortdauernde Gewalt im Ostkongo resultiert aus einer engen Verknüpfung von lokalen, nationalen sowie darüber hinausgehenden regionalen Faktoren. Das gestaltet  jeden Versuch schwierig, mit der M23 und den Ursachen des Konfliktes umzugehen. Kinshasa und Kigali müssten beide den politischen Willen zu einem nachhaltigen Ausweg an den Tag legen. Doch bei den Gesprächen in Kampala tun sich Kinshasa und die M23 schwer.

Trotz der berechtigten Kritik an MONUSCO, der UN-Mission im Kongo, bieten die Gespräche den Vereinten Nationen die Chance, das zu tun, was sie am besten können: Zwischen den Parteien zu vermitteln. Ein erster entscheidender Schritt wäre die Ernennung eines Sonderbeauftragten mit einem Mandat von UN und Afrikanischer Union (AU), der von Kinshasa, Kigali und Kampala akzeptiert wird. Politisch und finanziell von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, könnte er ausreichend Gewicht haben, die Hauptparteien dazu zu bewegen, die Verhandlungen zwischen Kinshasa und der M23 in Kampala um zwei weitere Prozesse für eine nachhaltige Lösung zu ergänzen: Um direkte Gespräche zwischen Kinshasa und Kigali sowie um einen landesweiten politischen Dialog im Kongo selbst.

Die Lösung der Krise um die M23 hat Vorrang. Eine Reintegration der meisten Rebellen in die Armee ist dafür keine ideale, aber wohl die einzige Möglichkeit. Die Anführer der Truppe sollten allerdings verurteilt werden. Ein Tribunal unter dem Vorstand der Internationalen Konferenz der Region der Großen Seen (CIRGL) – ihr gehören die Demokratische Republik Kongo, alle ihre Nachbarstaaten sowie Kenia an – und mit internationalen Beobachtern könnte transparente Gerichtsverfahren ermöglichen. Das Tribunal könnte sich auch mit den Befunden des von der CIRGL im Sommer 2012 in die Wege geleiteten „Joint Verification Mechanism“ befassen, der die Unterstützung für die M23 entlang der Grenzen des Kongo, Ruandas und Burundis untersucht.

Zwei elementare Probleme stellen sich jedoch. Die M23-Rebellen fordern wesentlich mehr als nur gute Posten in der Armee des Kongo. Und Kabila hat weder die militärischen Möglichkeiten, sie gegen ihren Willen in die Armee einzugliedern oder festzunehmen, noch kann er sie im Feld bezwingen. Hier muss Ruanda einspringen. Doch offene und ehrliche Verhandlungen zwischen Ruanda und Kongo sind nur möglich, wenn Kigali aufhört, jegliche Schuld an der Krise von sich zu weisen, und Kinshasa bereit ist, über mehr zu verhandeln als nur über die von der M23 geforderte Revision des Friedensvertrags vom 23. März 2009.

Die Auflösung des CNDP hat gezeigt, dass die ruandische Regierung eine produktive Rolle spielen kann, wenn es ihr Vorteile bringt. Internationalen Druck spürt sie bereits. Kinshasa könnte drei weitere Karten spielen. Wenn  es die Rückführung der in Ruanda lebenden kongolesischen Flüchtlinge ernsthaft wieder aufnimmt, könnte das die lokale und regionale Versöhnung beschleunigen. Zu einem ähnlichen Zweck sollte ein UN-Sonderbeauftragter Kinshasa vorschlagen, eine gemeinsame Kommission für die regionale wirtschaftliche Integration zwischen den Kivus und Ruanda aufzubauen. Eine gemeinsame Offensive gegen Ruandas Erzfeind, die FDLR, sowie gegen die M23 wäre ein weiterer Anreiz. Die von der SADC ins Leben gerufene 4000 Mann starke neutrale Interventionsmission soll genau das tun. Eine UN-Truppe mit robusterem Mandat sollte sie dabei tatkräftig unterstützen.

Einen weiteren Prozess, den ein UN-Sonderbeauftragter fördern sollte, hat Kabila während seiner Neujahrsrede bereits angekündigt: einen nationalen Dialog zur Wiedervereinigung der kongolesischen Gesellschaft. Dieser könnte die Zivilgesellschaft, die Regierung sowie bewaffnete Gruppen an den Tisch bringen. Die zahlreichen Mai-Mai-Milizen sollten dabei nicht vernachlässigt werden; ihre Teilnahme ist elementar für einen dauerhaften Frieden im Osten. Ein solcher Dialog könnte Kigali weitere Gewissheit geben, dass Kinshasa die Sicherheitsprobleme in den Kivu-Provinzen ernst nimmt. Auch Reformen des Sicherheitssektors und der Landverteilung, die Stärkung staatlicher Institutionen und Schritte zur Dezentralisierung gehören auf die Tagesordnung eines solchen Dialogs.

Mit all diesen Anstrengungen könnte man die drei Hauptstränge der Konflikte in den Kivu-Provinzen – lokale, nationale und regionale – angehen. Doch es bleibt die Frage, ob das ausreicht, zumindest einigen bewaffneten Gruppen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Zusatzinformationen

Dieser Beitrag gibt Michel Thills persönliche Ansicht wieder. 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2013: Ägypten: Aufruhr und Aufbruch
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