Ausbaufähige Bruderschaft

US-Forscher bewerten Europas "Engagement für Entwicklung"
US-Forscher bewerten Europas "Engagement für Entwicklung"

Nun ist die Europäische Union also offizieller Träger des Friedensnobelpreises. Die Arbeit der Staatengemeinschaft „repräsentiert  ,Bruderschaft zwischen den Nationen‘“, so lobte das Nobelkomitee und wünschte, „den Blick auf das zu lenken“, was es als „wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie und Menschenrechte“. 

Nach dem Urteil mancher Hilfsorganisation zeige sich allerdings insbesondere am Beispiel von Europas Flüchtlingspolitik eher das Gegenteil: So fordert Pro Asyl die Einführung eines europäischen Asylrechts, „das die Achtung der Menschenrechte in den Vordergrund stellt“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die technologische „Hochrüstung der Grenzen Europas“, zum Beispiel durch die Grenzschutzagentur Frontex, führe „in vielen Fällen zu Menschenrechtsverletzungen“. Auch Medico International beklagte „die restriktive Flüchtlingspolitik der EU, die das Grundrecht auf Asyl untergräbt“, so Geschäftsführer Thomas Gebauer. Und die Wirtschaftspolitik der EU trage dazu bei, „dass in Ländern des Südens die Lebensgrundlagen von Menschen zerstört werden. Mit Deutschland in der Vorreiterrolle drängt die EU auf Freihandel und Direktinvestitionen, um weltweit profitabel Rohstoffe ausbeuten zu können“.

Wie stark fördert oder behindert Europas Politik die Entwicklung in armen Ländern?

Die Themen Handel und Investitionen spielen auch in der Beurteilung Europas eine Rolle, die jetzt das US-amerikanische Forschungsinstitut Center for Global Development (CGD) vorgenommen hat. Den Forschern geht es jedoch nicht um die Frage der Nobelpreiswürdigkeit. Sie untersuchen vielmehr das „Engagement für Entwicklung“ – und kommen im Falle Europas zu dem Ergebnis: „Europäer sind stolz auf ihre großzügigen und effektiven Hilfsprogramme. Aber sie sollten unsere Analyse als Mahnung verstehen, dass Europa nicht in Selbstzufriedenheit verharren sollte.“

Grundlage des Arbeitspapiers „Europe Beyond Aid“ ist der „Commitment to Development Index“ (CDI), den das Institut seit 2003 jährlich veröffentlicht. Dieser bewertet einige der reichsten Länder der Welt – in diesem Jahr insgesamt 27 Staaten – anhand der Frage, wie stark ihre Politik die wirtschaftliche und soziale Entwicklung armer Länder fördert oder behindert. Die Staaten werden in sieben Kategorien beurteilt: Höhe und Qualität der Entwicklungshilfe, Handel, Investitionen, Migration, Umwelt, Sicherheit und Technologie. Bisher wurden europäische Länder gesondert aufgeführt; im aktuellen CDI 2012 liegt zum Beispiel Deutschland insgesamt auf dem elften Platz und verbesserte sich damit um vier Positionen. Diesjähriger Spitzenreiter ist Dänemark gefolgt von Norwegen und Schweden. Der bestplatzierte außereuropäische Staat ist Kanada (Platz 10, 2011: 13.), die USA fallen von Platz 5 in 2011 auf Rang 19 – unter anderem wegen verheerender Umweltbilanzen und fragwürdiger Rüstungsexporte.

"Im Ganzen betrachtet, rangiert Europa nur leicht über dem globalen Durchschnitt"

Nun bewertet das CGD erstmals Europas „Engagement für Entwicklung“ auch insgesamt: Wie würden die europäischen Geberländer im CDI abschneiden, wenn man sie als ein Land betrachtete? Dabei spielt sowohl die Politik jedes einzelnen Landes eine Rolle als auch politische Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden (zum Beispiel im Bereich Handelspolitik). Die Forscher kommen zu dem Schluss: Zwar gebe es europäische Länder – insbesondere Skandinavien und die Niederlande  – mit einer entwicklungspolitisch sehr positiven Bilanz. Viele der großen Staaten Europas wie Italien oder Griechenland allerdings senkten den Gesamtdurchschnitt beträchtlich. „Im Ganzen betrachtet rangiert Europa nur leicht über dem globalen Durchschnitt: Besser als Japan, Südkorea und die USA, aber hinter Kanada und Neuseeland.“ Gute Noten gibt es für die Bereiche Entwicklungshilfe und Umwelt, in Kategorien wie Handel und Technologie liege Europa jedoch weit zurück. Vor allem unternehme Europa zu wenig, „um die strukturellen Ursachen von Armut zu bekämpfen“. Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete „Bruderschaft zwischen den Nationen“ scheint also auch global betrachtet noch ausbaufähig zu sein. (osk)

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