Die Rebellion der Städte

Zum Thema
Asylpolitik
Während Regierungen in Europa und den USA fast nur noch über Grenzsicherung und Abschiebung reden, suchen Kommunen nach eigenen Ideen für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen und Migranten.

Es ist ein unwürdiges Schauspiel: Schiffbrüchige Migranten werden aus Seenot gerettet, aber dann weigern sich europäische Staaten, sie aufzunehmen. Doch es gibt neue Verbündete: Die italienischen Städte Palermo, Neapel und Bari haben sich angeboten, aber auch Barcelona, Bonn, Düsseldorf und Kiel wollen Flüchtlinge aufnehmen. Dabei wissen die Kommunalvertreter genau, dass sie nach Rechtslage gar nicht befugt sind, hier eigenmächtig zu handeln. Juristisch ist das nur Staaten erlaubt. Doch angesichts zunehmend rechtspopulistischer Tendenzen in Europa wollen die Städte signalisieren: Wir wollen mehr tun, weil uns ein humaner Umgang mit Geflüchteten wichtig ist.

Das klingt zunächst nach einer rein symbolischen Geste. Doch Städte werden aktiv. Seit der großen Migrationswelle 2015 schließen sie sich verstärkt in Netzwerken zusammen, stellen Projekte und Programme für Neuankömmlinge auf die Beine und geben Impulse für die Einwanderungsgesellschaft. Die polnische Hauptstadt Warschau bekennt sich anders als die Regierung des Landes offen zur Vielfalt. Sie bietet Flüchtlingen praktische Hilfe, die über staatliche Angebote hinausgeht. So stellt Warschau Wohnungen zur Verfügung und hilft bei der Wohnungssuche. In Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Organisationen wurde ein multikulturelles Zentrum für den Austausch untereinander aufgebaut. Die Stadt finanziert ihr Programm mit Fördermitteln der Europäischen Union.

Die staatlichen Behörden seien nicht sonderlich kooperativ, sagte Magdalena Wojno von der Stadtverwaltung Warschau bei einer Tagung über Städte und Flucht an der Universität Erlangen. „Wir erhalten noch nicht einmal Zahlen von der Regierung, wie viele Flüchtlinge in der Stadt angekommen sind. Das macht es für uns sehr schwer zu planen.“

US-Städte rufen zum Widerstand auf

US-amerikanische Städte wollen die restriktive Asylpolitik der Trump-Regierung nicht mittragen. Rund 200 Gemeinden und Kommunen haben sich im Städtenetzwerk „Sanctuary Cities“ (Zufluchtstädte) zusammengeschlossen, darunter wichtige Metropolen wie New York, Washington und Los Angeles. Sie weigern sich, illegale Migranten festzunehmen und in ihre Heimatländer abzuschieben, wie von der Regierung gefordert. Trotz Drohungen Trumps, ihnen die Bundesmittel zu streichen, sind die Mitglieder des Netzwerks ihrer Haltung bisher treu geblieben.

„Wir haben es hier mit neuen politischen Akteuren und Netzwerken zu tun“, sagt die Politikwissenschaftlerin Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie untersucht im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes die Rolle von Städten in der Flüchtlingspolitik. Angesichts wachsender Unzufriedenheit über die Versäumnisse der nationalen Politik sind Einfluss und Selbstbewusstsein von Städten deutlich gewachsen.

In Deutschland rufen Städte zwar nicht offen zum Widerstand gegen den Staat auf wie in den USA. Aber auch hierzulande verfolgen sie einen eigenen Kurs in Sachen Integration. Erlangen ist Mitglied des internationalen Netzwerks Intercultural Cities, einer Initiative des Europarats. Es unterstützt Städte darin, Vielfalt zu gestalten und zu nutzen, so dass sie der Weiterentwicklung der Stadtgesellschaft dient. Das Netzwerk hilft dabei, Strategien gegen Diskriminierung in Institutionen und Behörden zu entwickeln. Besonders hilfreich findet Elisabeth Preuß, zweite Bürgermeisterin von Erlangen, das Projekt „StoryCities“, bei dem Menschen ihre persönlichen Fluchtgeschichten erzählen können. Das helfe zu verdeutlichen, dass „Flüchtlinge keine Nummern sind, sondern Menschen“, so Preuß. Die Stadt wird zu einem Ort, die einen Raum für den Austausch von Alltagserfahrungen bietet.       

Der öffentliche Diskurs ist entscheidend

Aber nicht immer passt das Muster „konservativer Staat“ versus „progressive Kommune“. Nicht alle Kommunen sind offen für Flüchtlinge. Warum das so ist, hat die holländische Sozialwissenschaftlerin Barbara Oomen von der Universität Utrecht untersucht. Neben Faktoren wie Wirtschaftskraft, Situation auf dem Arbeitsmarkt, Stärke der Zivilgesellschaft und Engagement einzelner hält sie den gesellschaftlichen Diskurs für entscheidend. Für manche Städte gehört Offenheit aus historischen Gründen zum Selbstbild. Aus der belgischen Stadt Mechelen etwa wurden während des Zweiten Weltkriegs Juden aus dem ganzen Land zusammengeführt und anschließend deportiert. Heute ist die offene Aufnahme auch für die konservative Stadtregierung selbstverständlich.

Der öffentliche Diskurs hat sich in Europa durch den Aufstieg der Rechtspopulisten gefährlich verengt. Es geht immer mehr um Abschottung, die menschlichen Schicksale verblassen dagegen leicht, genauso wie die Fragen und Ängste der Bürger. Städte können einen Raum schaffen, in dem sowohl Ängste als auch persönliche Geschichten Platz haben. Diese Chance sollten sie  nutzen.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
danke für diese Informationen. Ich halte sie für ergänzungsbedürftig. Der Vorschlag von Frau Prof. Schwan, die EU solle Mittel bereitstellen für Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen wollen (vor allem für Infrastruktur, sowohl für Flüchtlinge wie für die einheimische Bevölkerung), sollte dargestellt werden. Er würde genau die von Ihnen benannten Städte in Europa in ihrem Engagement unterstützen. Das ist auch die Absicht dieses "innovativen" Konzepts. Der Vorschlag soll von Macron aufgenommen worden und vom Europäischen Parlament gebilligt worden sein.
Sicher kennen Sie diesen Vorschlag, und es wird Gründe geben, ihn in diesem hochinteressanten Beitrag nicht zu erwähnen. Ich kann sie aber leider nicht erkennen und schreibe Ihnen deshalb. Über eine Antwort würde ich mich freuen und danke Ihnen im Voraus für Ihre Bemühung.
Mit freundlichen Grüßen
Cay Gabbe

Lieber Herr Gabbe, in meinem Beitrag ging es um ein paar Stimmen von Städtevertretern und Wissenschaftlern zur neuen Rolle von Städten, die ich auf einer Tagung an der Universität Erlangen getroffen habe. Der Vorschlag von Frau Schwan ist zwar interessant, wurde aber an jenem Tag nicht besprochen. Daher ist er auch nicht im Artikel erwähnt. Es gäbe auch noch mehr Beispiele von aktiven und engagierten Städten zu nennen, die sich deutlich von der restriktiven Politik ihrer Nationalstaaten abgrenzen, zum Beispiel in den Niederlanden. DasThema hat noch mehr Facetten. Mit besten Grüßen, Claudia Mende

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Um wie viele Hilfsbedürftige geht es? Ein paar wenige als Symbolpolitik? Geschenkt. Doch in den Städten gibt es oft nicht genügend Wohnungen und wenn es sie gäbe, würde die große Schar der zusätzlichen Interessenten den Zubau überkompensieren oder das Leben in seiner solchen Stadt wäre sehr schlecht. Deshalb ist die Frage Lampedusa oder Libyen nur eine graduell andere als die Frage München oder Bäumenheim oder die Frage Frankfurt/Main oder Hünfeld.

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