Geister, Magie und Sozialismus

Alex Banzis erst 2016 ins Deutsche übersetzte Erzählung widmet sich lebensnah und kurzweilig der Bedeutung von Aberglauben und Okkultismus im frühen Tansania.

„Das Buch zielte darauf ab, die Menschen vor dem Aberglauben zu warnen“, erklärt Autor Alex Banzi zur deutschen Erstausgabe. Als es 1972 im gerade unabhängig gewordenen Tansania erschien, war das eine wichtige Aufgabe. Und auch heute ist der Aberglaube noch längst nicht überwunden: In den vergangenen Jahren sorgte die Ermordung von Albinos in Ostafrika für Schlagzeilen. Substanzen aus deren Haut oder Körperteilen sollen besondere Kräfte verleihen. Zauberer verwenden sie daher bei ihren Ritualen. In diese Welt der Heiler und Magier entführt uns das Taschenbuch.

Die tansanische Regierung experimentierte zur Entstehungszeit der Originalausgabe mit einem afrikanischen Sozialismus. Die traditionelle Solidarität innerhalb der ländlichen Großfamilie sollte auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt und so eine moderne sozialistische Ordnung geschaffen werden. Bei Ena, einer Frau vom Dorf und Protagonistin des Buches, klingt das so: „Wir Frauen kennen das, was andere Sozialismus nennen, seit Langem. In der Zeit der Not helfen mir andere Frauen.“ Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn die Frauen bekämpfen einander auch und schrecken dabei vor Schadenszauber nicht zurück.

Als Enas sechsjährige Tochter stirbt, ist dabei möglicherweise Hexerei im Spiel – ausgeübt ausgerechnet von ihrer besten Freundin, Mama Dera. Ob das wirklich stimmt, lässt der Autor offen. Aber auf jeden Fall hat Ena Mama Dera um eine „Medizin“ ersucht, mittels derer sie ihren Mann an sich binden will. Mama Dera – ironischerweise in ein Kangatuch mit der Aufschrift „Der Aberglaube ist der Feind des Fortschritts“ gewandet – gibt sich zunächst widerstrebend, händigt ihr aber schließlich ein Pulver aus.

Die Liebesmagie wirkt jedoch ganz anders als gedacht: Enas Mann, der Lehrer Zenga, beschließt, sich eine Zweitfrau zu nehmen, da seine Ehe bis auf die eine Tochter kinderlos geblieben ist. Als sich Zenga zu Studienzwecken in Europa aufhält, erkrankt die Tochter auch noch tödlich an einem Fieber. Aus Kummer und Angst verstrickt sich Ena immer tiefer in die Magie.

Magische Praktiken wie Orakelbefragungen oder Ahnenopfer wirken fatal. So versucht Ena auf Geheiß eines Heilers schließlich, eine Wurzel aus einer Höhle zu beschaffen, die auf dem Feld der Familie ihres Mannes gelegen ist. Dabei kommt es zu einem sexuellen Übergriff durch ihren Schwiegervater, der sie zutiefst verstört. Deswegen trägt die Erzählung im in der Landessprache Swahili verfassten Original auch den Titel Titi la Mkwe – „Die Brust der Schwiegertochter“. 

Alex Banzi zeichnet Zenga als modernen Mann, der am Aufbau des Sozialismus mitarbeitet. In seiner Psyche und seinem Handeln verbindet sich aufgeklärte Rationalität mit einem patriarchalischen, traditionellen Rollenverständnis. Auch Enas Gefühlswelt stellt Banzi einfühlsam dar – lange bevor in die Entwicklungszusammenarbeit der Begriff „Gender“ Einzug gehalten hat. Es ist also ein Gewinn, dass seine Erzählung nach so langer Zeit zu uns gelangt ist, übersetzt und veröffentlicht von der Afrikanistin Uta Reuster-Jahn.

Die Dialoge sind lebensnah, das Lesevergnügen kommt nicht zu kurz. In einer phantastischen Szene greifen die Geister Verstorbener in Enas Geschick ein. Und ihr Mann, der Aberglauben ablehnt, wendet sich schließlich selbst hilfesuchend an einen Heiler. Dass Alex Banzi die schädlichen Folgen des Okkultismus drastisch zeigt, den Glauben an Geister und Magie aber dennoch nicht völlig abtut, gerade das macht seine Erzählung interessant.

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