Zwischen Thriller und Sinnsuche

Drogenkartelle, Paramilitärs und Gewalterfahrungen ziehen sich seit einiger Zeit als Themen durch mexikanische Romane. So auch bei Juan Villoro. Der Autor widmet sich den Widersprüchen in Staat, Politik und Gesellschaft und stellt dabei das Verrückte in den Mittelpunkt.

Villoros Geschichte handelt von zwei Männern mittleren Alters, die sich viele Jahre nach einer gemeinsamen Karriere als Rockmusiker an einem ebenso exotischen wie absurden Ort wiederbegegnen. Dort werden sie aus reinem Zufall in eine Serie von Gewaltverbrechen hineingezogen. Der eine ist Tony Góngora, Mexikaner, Ex-Bassist, Ex-Junkie und quasi Ex-Waisenkind, das in der Familie des anderen aufgewachsen ist. Der andere ist Mario Müller, Ex-Sänger und jetzt Geschäftsführer eines Touristenhotels auf der Halbinsel Yucatán, das auf eine spezielle Dienstleistung setzt: Extremerfahrungen.

Die Hotelgäste sollen in der eigentlich geschützten Umgebung das Gruseln lernen, indem man sie in vermeintlich gefährliche Situationen versetzt, die außerhalb des Hotels fast zum Alltag gehören. Mal werden die Gäste mit Giftspinnen konfrontiert, mal simuliert das Hotelpersonal eine Spontanentführung, komplett mit vermummten Tätern, die ihre Gewehre auf die Touristen richten. Das Ziel dieser Gefahr-Show, die als Vision der Tourismusindustrie daherkommt: „die Illusion, wie durch ein Wunder zu überleben, und das Bedürfnis, dies stürmisch zu feiern.“

Tony und Mario sind gewissermaßen selbst Überlebende. Ihre Schicksalsschläge erlebten sie in ihrer Jugend und bei den Drogenexzessen im Laufe ihrer Musikkarriere. Auch der ominöse Geldgeber des Hotelprojekts, ein Gringo namens Petersen, hat den Schrecken kennengelernt: Er konnte seinen Sohn nicht aus einer Lebensgefahr retten, der Sohn starb. Wer solche Gefahren und Niederlagen durchlebt hat, weiß es zu schätzen, wieder aufzustehen und weiterzuleben. Dass diese drei Männer auf ein derart irres Hotelkonzeptkommen, erscheint so betrachtet denkbar und schlüssig.

Doch dann bricht die Realität in die künstliche Welt ein: In kurzer Folge werden zwei Angestellte ermordet. Einer wird von einer Harpune durchbohrt, der andere kommt bei einem Tauchgang ums Leben. Nun ist nichts mehr gestellt. Fieberhaft suchen die Männer nach einem Motiv für die Morde. Waren vielleicht Umweltaktivisten am Werk, die die Zerstörung der Meeresfauna in der Nähe des Mammuthotels anprangern? Betrachtet hier möglicherweise jemand den Massentourismus als moderne Form der kolonialistischen Ausbeutung? Oder sind die beiden Ermordeten zwischen die Fronten des allgegenwärtigen Drogenkrieges geraten, der in den Tourismuszentren zwar weniger sichtbar, jedoch keineswegs abwesend ist? All dies erzählt die Figur Tony, der aufgrund seines früheren Drogenkonsums ein äußerst unzuverlässiger Ich-Erzähler ist. In seinen Worten verschwimmen Realität und Fiktion, Erinnerung und Gegenwart, der mexikanische Alltag und die Wünsche der Besucher.

Juan Villoro präsentiert eine Story mit leicht überdrehten Figuren, die extreme Erfahrungen in einer Umgebung zu bewältigen haben, die außerhalb unserer Vorstellung liegt. Alles erscheint ein bisschen „too much“ und ist doch glaubwürdig. Wahrscheinlich weil der Autor mit der seltsamen Story, die zwischen Thriller und Sinnsuche pendelt, auf seine Heimat verweist. Hier in Mexiko ist es zum Überleben entscheidend, dass man weiß, dass hinter der Gefahr meistens nicht die Ekstase wartet, sondern häufiger der bare Schrecken.

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