Eine Kulturgeschichte des Terrorismus

Warum machen sich Menschen zu Herren über Leben und Tod? Der in Irak geborene, in Deutschland lebende Autor sucht in der Weltliteratur Antworten auf diese Frage.

In seinem literarischen Sachbuch blickt Najem Wali darauf, wie Sartre, Dostojewski, Hemingway oder Büchner Mörder und Terroristen gezeichnet haben. Dabei stößt er – wie bei einem Essay nicht anders zu erwarten – auf mehr Fragen als Antworten. Warum sind seinerzeit marokkanische Söldner in den spanischen Bürgerkrieg gezogen, und warum ziehen derzeit in Europa aufgewachsene Jugendliche nach Syrien? Mit den jeweils anderen Ländern verbindet sie doch eigentlich nichts.

Wali vergleicht die Motive junger Deutscher, die beim Islamischen Staat anheuern, mit den Beweggründen anderer deutscher junger Männer, die zur französischen Fremdenlegion gehen. Den Vergleich mag man abwegig finden, aber die Frage ist legitim: Warum schließt sich ein Einzelner einem solchen Verband an, wohl wissend, dass er dabei eines Tages töten wird?

Ideologie oder Religion als Motiv scheiden für Wali als Erklärung aus. Gemordet werde mit und ohne Gott. Vielmehr hätten all diese Mörder eines gemeinsam: Sie wollten tödliche Angst verbreiten und das soziale Fundament des Vertrauens zerstören. „Ist es folglich übertrieben, wenn wir sagen: Das Böse ist ebenso wie das Morden ein Instinkt, während das Gute und mit ihm der Frieden Idee, Überzeugung und erworbene Haltung ist?“ fragt der Autor nicht zuletzt im Hinblick auf das große Schweigen im Westen angesichts wachsender Einnahmen aus Waffenexporten. „Es ist unsere Ignoranz und Arroganz, unser Dünkel und unsere Faulheit, die uns denken lassen: Warum sollen wir uns mit dem Tod von anderen beschäftigen, solange der Tod nicht zu uns kommt?“ Wali endet pessimistisch: Das Gute sei heute ins Hintertreffen geraten, befinde sich in einem ständigen Verteidigungskampf. Das Böse breite sich aus wie ein Krake. Lösungsansätze hat Wali allerdings keine im Angebot.

„Allzu freies Assoziieren“ ist Wali von Kritikern seines Essays vorgeworfen worden. So schreibt er beispielsweise: „Wenn wir den Kopf in den Sand stecken oder all jenen glauben, die nicht einen Tag ohne Geschrei auskommen – ich meine jenes Heer von Politikern und Experten, jene Könige des Pöbels und des Hasses, bei denen jedes Wort, das über ihre Lippen kommt, ein Samenkorn des Gifts ist –, dann erkennen wir nicht, dass die vergiftete Gefühllosigkeit, mit der sie ihre Parolen verbreiten, eine Ergänzung eben jenes Terrors ist, der wie ein Gespenst durch die Welt zieht und an unsere Türen klopft.“ Bei solchen Sätzen möchte man dankbar sein, dass sich hier einmal ein Literat mit dem Phänomen des Terrors auseinandergesetzt hat.

Und ein weiteres Verdienst sei ihm auf alle Fälle zugestanden: Mit seiner Herangehensweise nimmt Wali dem heutigen Terror die politische und religiöse Legitimation. Wer mag ihm widersprechen, wenn er zu dem Schluss kommt: „Der Terror ist so alt wie die Menschheit, so vielfältig wie der Mensch und die Orte, an denen er lebt, und seine Gleichsetzung mit einer einzigen Seite, sei es dem Islam, dem Christentum oder dem Judentum, ist bloß eine Maske der Berichterstattung über den jeweils konkreten Terrorakt.“

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