Schauerliche Einblicke, wenig Hintergrund

Der spanische Journalist Alberto Arce berichtet über das organisierte Verbrechen in Honduras und die Verstrickung der staatlichen Sicherheitskräfte darin. Sein Zugang ist reportagenhaft, politische Analysen liefert er nicht.

Als Alberto Arce in den Jahren 2012 und 2013 für die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) aus Honduras berichtete, galt das Land mit 85 bis 91 Morden pro 100.000 Einwohner als das gewalttätigste der Erde. In der Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula lag die Opferzahl sogar bei 166 Morden pro 100.000 Einwohner und Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland oder der Schweiz liegt die Opferzahl bei unter einem Mord.

Die meisten Mordfälle blieben und bleiben bis heute unaufgeklärt, weil die Polizei angesichts der schieren Anzahl von Tötungsdelikten überfordert ist. Dazu kommt, dass sie, wie Arce schreibt, kein Interesse an der Aufklärung hat, weil sie selbst in Verbrechen verstrickt ist. Am Beispiel eines erschossenen Taxifahrers schildert Arce, wie kriminelle Banden nicht nur Taxifahrer, sondern auch Busfahrer und Wirtschafts‑treibende aller Art mit Schutzgeldforderungen erpressen. Zahlen sie nicht, dann müssen sie mit dem Tod rechnen. Wer sich der Erpressung nicht beugen will, verlässt das Land.

Arce berichtet auch, dass ein Jugendlicher sich nachts heimlich aus dem Haus schlich, um sich mit seiner Freundin zu treffen. Als er nicht zurückkehrte, fand sein Vater auf eigene Faust heraus: Soldaten hatten den Jungen, der mit dem Motorrad nicht anhalten wollte, in eine Sackgasse gejagt und erschossen.

Die Armee reagiert auf Nachfragen mit Mauern und Verschleiern, bis das Verbrechen nicht mehr zu leugnen ist. Den Autor selbst machten, wie er schreibt, bei seiner ersten Pressekonferenz honduranische Kollegen darauf aufmerksam, dass man bestimmte Fragen besser nicht stelle. Journalisten würden von Politikern und der Polizei dafür bezahlt, dass sie in deren Sinn oder gar nicht berichteten.

Deswegen bezweifelt Arce auch, dass Medienvertreter, von denen in Honduras eine Rekordzahl ermordet werden, überwiegend aus politischen Motiven umgebracht werden, wie Menschenrechtsorganisationen und Reporter ohne Grenzen unterstellen: „Der erste Journalistenmord, über den ich berichten sollte, betraf einen Mann, der ein TV-Programm leitete, in dem man die Lottozahlen raten musste“. Der letzte wurde ermordet, nachdem er schon drei Jahre keine Filme mehr gedreht hatte: „Die Mutter erzählte mir, er sei in seltsame Drogengeschäfte verwickelt gewesen“.

Desillusioniert sieht Arce auch die politische Opposition. Nach dem Putsch gegen den gemäßigt linken Präsidenten José Manuel Zelaya im Juni 2009 sei zwar die Drogenkriminalität in die Höhe geschnellt, weil die Sicherheitskräfte mit der Unterdrückung von Demonstrationen beschäftigt waren. Meldungen über Verfolgung von Oppositionellen hätten sich aber meist als Propaganda herausgestellt. Und bigotte Homophobie aus dem Munde vorgeblich progressiver Politiker habe ihn schockiert.

Als sich Arce mit den Todesschwadronen innerhalb der Polizei beschäftigte und Informanten fand, die freimütig aus dem Nähkästchen plauderten, wurde ihm das Pflaster zu heiß. Verbale Drohungen von verschiedenen bewaffneten Akteuren nahmen zu, und er ließ sich versetzen.

Das flott geschriebene Buch gibt einen schauerlichen Einblick in „die tödlichsten Straßen der Welt“. Auf die politisch motivierten Morde, die es in Honduras durchaus auch gibt, geht er allerdings überhaupt nicht ein.

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