Ein syrischer Höllentrip

Khaled Khalifa erzählt die Geschichte dreier Geschwister, die den letzten Wunsch ihres in Damaskus verstorbenen Vaters erfüllen wollen, ihn in seinem Heimatdorf Anabija bei Aleppo zu beerdigen. Im kriegsgebeutelten Syrien wird das zu einem grotesken Höllentrip.

Die Fahrt im Minibus mit einer sich zusehends zersetzenden Leiche, die unter normalen Umständen einen halben Tag dauern würde, zieht sich durch die Warterei an verschiedenen Checkpoints unerträglich in die Länge. Immer wieder muss die bizarre Reisegesellschaft den unterschiedlichen Kriegsparteien ihr Anliegen erläutern – ein geschickter Kniff des Autors, um die mörderische Vielfalt des Krieges aufzuzeigen und jeder Kriegspartei ihr Fett zu geben. Einmal kommen die Geschwister nicht weiter, weil die Soldaten am Checkpoint die Leiche des Vaters verhaften. Dieser hatte sich zu Lebzeiten für die Revolution engagiert. An einer anderen Straßensperre müssen sie sich in die Warteschlange für Lastwagen einreihen. Eine Leiche sei schließlich eine Ware – für die dann reichlich Schmiergeld gezahlt werden muss. Die Dschihadisten halten die Geschwister auf, um ihnen zunächst beizubringen, wie ein Muslim ihrer Meinung nach zu beten hat. Währenddessen machen sich die Maden über die Leiche des Vaters her. Der Autor spart nicht an schwarzem Humor.  

Ein Höllentrip ist die Fahrt für die drei allerdings auch, weil sie sich nicht aus dem Weg gehen können. Je länger sie dauert, desto deutlicher werden die Lebenslügen der Protagonisten. Da ist Fatima, die sich immer für eine besonders begehrte junge Frau gehalten hat. Heute lebt sie ein mittelmäßiges Leben an der Seite eines Mannes, den sie nicht liebt und der sie nicht liebt. Nabil, genannt Bulbul, hatte einst große Ideale, doch ihm fehlte der Mut, sie zu leben. Er führt das biedere Leben eines angepassten Angestellten. Auf Hussain, dem Ältesten, lagen einst die Hoffnungen des Vaters. Vor langer Zeit hatte der Sohn aber mit dem Vater gebrochen, wohl auch, weil er dessen Lebenslügen nicht mehr ertrug. Statt aus seiner Freiheit etwas zu machen, hat Hussain es nur zum Fahrer russischer Showgirls gebracht und auch seiner Schwester in der Not nicht beistehen können.

Khaled Khalifa ist ein großartiger Roman über das heutige Syrien gelungen mit literarischen Bildern, die den Leserinnen und Lesern noch lange im Gedächtnis bleiben. So die Szene, in denen die Geschwister in dunkler, kalter Nacht auf freiem Feld von streunenden Hunden angegriffen werden, die sich über den Kadaver des Vaters hermachen wollen. Oder der verbissene Kampf der beiden Brüder in einem zerstörten, verlassenen Dorf.

Fein beleuchtet Khalifa, dass Lebenslügen nicht nur aus der individuellen Unfähigkeit entstehen. Sie haben ihren Grund auch in einer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten von einem autoritären Regime beherrscht wird und zudem nach den starren Regeln einer Kultur der Scham und der Ehre lebt. Dies vor dem Hintergrund des blutigen Krieges, in dem verschiedene Gruppen bis auf den Tod etwas zu bewahren versuchen, sei es den Status quo, die Macht oder eine fixe religiöse Idee, ist aufwühlend zu lesen.

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