Verfolgt, versklavt, massakriert

Die Jesiden werden fast überall im Nahen Osten verfolgt. Der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger stellt Geschichte und Kultur dieser abgeschotteten ethnisch-religiösen Minderheit vor.

Ins Licht der Öffentlichkeit gerieten die Jesiden, als der „Islamische Staat“ im August 2014 ihr wichtigstes Siedlungsgebiet um das irakische Sindschar-Gebirge eroberte und dort ein Massaker anrichtete. Für die Jesiden – vom Autor durchgehend Êzîdî geschrieben – war es nicht das erste Blutbad; in ihrem kollektiven Gedächtnis sind viele Verfolgungen im Osmanischen Reich verzeichnet.

Der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, ein ausgewiesener Experte für kurdische Geschichte und Kultur, hat die Region Sindschar und damit das Stammgebiet der Jesiden bereist. Deren Wurzeln gehen dort bis in die Antike, wahrscheinlich in Gestalt westiranischer Kulturen zurück. Als Stammesgesellschaft und Bergbauernkultur dürften sich die Jesiden aber erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts entwickelt haben. Die jesidische Kultur wurde bis ins 20. Jahrhundert rein mündlich überliefert.

Anders als Christentum und Islam kennt die jesidische Religion weder Teufel noch Hölle. Dennoch werden gerade Jesiden häufig als „Teufelsanbeter“ verfolgt. Schmidinger führt dass darauf zurück, dass Menschen, zu deren Glauben der Teufel gehört, gerade jene hassen, die die Furcht vor dem Teufel nicht übernommen haben. Wie der Autor beschreibt, lebt die jesidische Gemeinschaft streng abgeschottet. Jesidische Familien würden ihre Kinder eher ermorden, als eine Heirat mit einem Muslim oder eine Konversion zum Islam zuzulassen. Zudem ist die jesidische Gesellschaft durch eine Art Kastensystem dreigeteilt, aber weniger strikt und undurchlässig als in Indien.

Im 19. Jahrhundert lebten die Stämme am Sindschar-Gebirge größtenteils von Überfällen auf Reisende und Karawanen, bis der osmanische Sultan Abdülhamid II. dem ab 1892 ein Ende bereitete, Steuern eintreiben ließ und die Jesiden zwangsislamisierte. Mitte des 20. Jahrhunderts begannen die Jesiden, unter Druck des Staates Kinder in Schulen zu schicken. Unter der Diktatur Saddam Husseins gerieten sie noch mehr unter starken Assimilierungsdruck.

Das Massaker im August 2014 hatte sich laut Schmidinger bereits angekündigt, als die Islamisten in das Gebiet vorrückten. Doch weder die irakische Regierung noch die in der Region herrschenden Kurden schickten rechtzeitig Truppen, so dass die jesidische Bevölkerung in die Berge flüchten musste. Erst als die grausamen Angriffe einen internationalen Skandal auslösten und westliche Mächte, allen voran die USA, Stellungen des IS bombardierten, vertrieben die kurdischen Peschmerga die Islamisten aus dem engeren Siedlungsgebiet der Jesiden.

Schmidinger beschreibt ausführlich, dass die jesidische Minderheit weiter ein Spielball der lokalen Machtspiele ist und unter welch elenden Bedingungen die Vertriebenen noch heute leben. Aussagen von Überlebenden, darunter einer Frau, die vom IS als Sex-Sklavin verkauft wurde, bezeugen die Tragödie dieser Bevölkerungsgruppe. Wer sich für die Jesiden, von denen heute auch viele in Deutschland leben, interessiert, wird um dieses Buch nicht herumkommen.

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