Sandinismus statt Danielismus

Der vom Informationsbüro Nicaragua herausgegebene Band dokumentiert Positionen nicaraguanischer Oppositioneller zum gescheiterten Aufstand von 2018 gegen das Ortega-Regime und zur widersprüchlichen Geschichte der sandinistischen Revolution.

Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.): Nicaragua und die Zukunft linker Politik. Utopie und Zerfall emanzipatorischer Gesellschaftsentwürfe. Nahua Script 18, Wuppertal 2020, 147 Seiten, 8 Euro
Grundlage des Sammelbands ist eine Tagung nichtstaatlicher Organisationen wie medico international, INKOTA-Netzwerk, Rosa-Luxemburg-Stiftung und SOS Nicaragua zu der Frage, ob das sandinistische Projekt in Nicaragua angesichts des von Daniel Ortega repressiv geführten Regimes noch eine Zukunft hat. Dabei geht es ausdrücklich nicht um eine tagesaktuelle Auseinandersetzung, sondern um eine historische Betrachtung.  

So verurteilt die bekannte Menschenrechtsanwältin Vilma Núñez, die zu den Protagonistinnen der Sandinistischen Revolution von 1979 gehörte, erstmals die Menschenrechtsverletzungen in den Tagen der Machtübernahme und der ersten Jahre. Núñez, die als Anwältin damals voll informiert war, prangert die Erschießung von 50 Gefangenen während der ersten Tage der Revolution in Granada an, obwohl man die Todesstrafe gerade abgeschafft hatte, und den Betrug an über 6000 minderbelasteten Mitgliedern der Nationalgarde. Ihnen hatte man zugesagt, sie zu verschonen und möglicherweise in eine neue Armee zu integrieren.

Stattdessen wurden sie von Sondertribunalen ohne rechtsstaatliche Garantien abgeurteilt und für Jahre ins Gefängnis geworfen. „Die Menschenrechte wurden zur Zeit der Revolution instrumentalisiert“, resümiert Núñez selbstkritisch. Aber sie betrachtet sich noch immer als Sandinistin und hofft, dass die heutige Opposition den Sandinismus wieder zum Leben erwecken kann: „Das was heute Danielismus genannt wird, ist nicht ein entarteter Sandinismus, sondern hier ist ein neues Monstrum entstanden.“

Die im spanischen Exil lebende Feministin Yerling Aguilera dagegen bezweifelt, dass die Menschen in Lateinamerika sich nach „linken“ oder „progressiven“ gesellschaftlichen Alternativen sehnen, „weil sie im kollektiven Gedächtnis mit der Sozialen Linken automatisch Massaker und Repression verbinden“. Teile der europäischen Solidaritätsbewegung seien nicht hilfreich, wenn sie meinten, „da sich Nicaragua mit Venezuela, Kuba und Russland verbündet hat, muss man es um jeden Preis als Teil der Globalen Linken verteidigen“.

Da hilft es auch nichts, dass Thelma Brenes, die Tochter eines politischen Gefangenen und sandinistischen Veteranen, klarstellt: „Für mich hat der Danielismus und der Sandinismus nichts mit links zu tun.“ Die von manchen gepriesene Sozialpolitik Ortegas sei klientelistisch und, wie die Dozentin María Teresa Blandón mit Beispielen und Zahlen ergänzt, nicht geeignet, die Armut nachhaltig zu bekämpfen. Der Band dokumentiert mit größtenteils gehaltvollen Beiträgen die hohe Qualität der Vordenkerinnen der nicaraguanischen Opposition, aber auch deren Hilflosigkeit gegenüber einem hochgerüsteten Machtapparat.

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