In seinem Roman erzählt der sudanesische Schriftsteller Abdelaziz Baraka Sakin lebendig und mit einer Portion Ironie Geschichten von Menschen, die vor Krieg und Gewalt im Sudan nach Westeuropa geflohen sind.
Im Mittelpunkt des Romans steht der Sprachwissenschaftler Adam aus Gedaref, der in England Professor werden will. Mit seinem Schul- und Studienfreund Al-Nur, Nuri genannt, der in Khartum Maschinenbau studiert hat, startet er Richtung Europa. Vor allem Nuri steht unter dem Druck seiner Familie, Geld zu verdienen; seine Mutter beschimpft ihn als Nichtsnutz.
Während Nuri in Frankreich Schrotthändler wird und alte Autos nach Westafrika verkauft, kommt Adam die Rolle des Intellektuellen zu. Schon während der Schulzeit wirkte Adam für seine Familie wie von Geistern besessen. Da er aber sein Linguistikstudium erfolgreich zu Ende brachte, machte sich keiner Sorgen um den Hochbegabten. Dann schlägt er sich mit Nuri auf dem Landweg über die Türkei nach Österreich durch, wo übrigens auch der Autor seit 2012 lebt.
Der Hochbegabte verliert seine Erinnerung – und den Verstand
All das klingt zunächst wie eine Flüchtlingsgeschichte wie viele andere. Jedoch nimmt Adams Leben eine dramatische Wendung, die aus der Sicht von Nuri und vielen anderen Wegbegleitern erzählt wird. Denn dieser bislang gutmütige und friedliche Menschenfreund verliert durch Alkohol und billiges Crack seine Erinnerung – ja sogar den Verstand. Offenbar isst er deshalb aus Versehen giftige Pilze, an denen er schließlich stirbt.
Bei seiner Trauerfeier, die ein Zentrum des Romans bildet, erinnern sich geflohene Sudanesen, Kurden und Syrer an den Toten. Aus deren Erzählungen erfährt der Leser viel über praktische Dienstleistungen unter Sudanesen in Europa, etwa Neuankömmlinge zu beherbergen, und über deren vielfältige Kommunikationswege. Dabei spannt der Roman ein ganzes Panorama unterschiedlicher Charaktere auf: vom hilfsbereiten Imbissbetreiber bis zu brutalen Schurken, die als Söldner im Dienst von Warlords standen, gemordet haben und in Frankreich einen Verräter aus den eigenen Reihen umbringen wollen. Dazwischen gibt es unter anderem Sufi-Sänger, die ihren Unterhalt als Straßenmusiker erbetteln und schließlich wegen ihrer schönen Stimmen in eine Band aufgenommen werden.
Ein besoffener Hammel und Gespräche mit Raben
Religion wird vom Autor mit viel Ironie in die Geschichte eingebaut; etwa als Adams Wegbegleiter nach seinem Tod einen Hammel schlachten, den sie vorher mit Bier besoffen gemacht haben, damit er nicht blökt und so die Polizei auf das illegale Ritual der Migranten ohne Papiere aufmerksam macht. Beim Verzehr des offenbar nach Bier schmeckenden Fleisches streiten sie, ob Muslime das überhaupt essen dürfen.
Abdelaziz Baraka Sakin ist ein begnadeter Erzähler, so ist der Roman keineswegs nur traurig. Vielmehr stellt er Grundfragen nach dem Leben. Im Lauf seiner Krankheit spricht Adam immer häufiger mit Raben, die für ihn Vermittler zu einer unsichtbaren Welt geworden sind, die er immer mehr als Wirklichkeit wahrnimmt. Deshalb wird die Alltagsorganisation für ihn bedeutungsloser, wenngleich er weiterhin seinen Mitmenschen hilft, wo er kann. Warum er schließlich selbst als Rabe bezeichnet wird und wer ihn liebt, das können die Leser selbst entschlüsseln.
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