Berührende Visionen eines anderen Lebens

Saúl Alvídrez: Chomsky & Mujica – Überleben im 21. Jahrhundert. Westend Verlag, Neu-Isenburg 2025, 224 Seiten, 24 Euro

Der mexikanische Aktivist Saúl Alvídrez hat den US-Publizisten und Sprachwissenschaftler Noam Chomsky mit dem ehemaligen, im Mai verstorbenen Staatspräsidenten Uruguays, José (Pepe) Mujica, zu einem intensiven Gedankenaustausch zusammengebracht. Herausgekommen sind bemerkenswerte gesellschaftspolitische Visionen und persönliche Erkenntnisse.

Drei intensive Tage verbrachten die beiden großen alten Männer Noam Chomsky und José (Pepe) Mujica auf Initiative des Autors zusammen, obwohl sie sich zuvor noch niemals getroffen hatten. Dabei sollte es um die brennenden Fragen der Menschheit und Perspektiven für die Zukunft gehen. Eigentlich hatte Alvídrez vor, über diese Begegnung auf der kleinen Finca von Uruguays Ex-Präsidenten und seiner Frau Lucía Topolansky östlich von Montevideo einen Dokumentarfilm zu drehen. Der ist zwar noch immer nicht abgeschlossen, aber dafür ist der Gedankenaustausch zwischen den beiden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte nun in Buchform nachzulesen. 

Chomsky, Linguist, Philosoph und Politikwissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der einflussreichsten Intellektuellen unserer Zeit, und Mujica, von Beruf Blumenzüchter, in den 60er Jahren Mitglied der Guerrillabewegung Tupamaros, deshalb fast anderthalb Jahrzehnte in Haft, nach dem Ende des uruguayischen Militärregimes Abgeordneter, Senator, Landwirtschaftsminister, zwischen 2010 und 2015 Präsident des kleinen südamerikanischen Landes und der bis heute mit Abstand populärste noch lebende Politiker Lateinamerikas, arbeiten sich in diesen drei Tagen profund und eloquent durch die Geschichte der Menschheit, aber vor allem durch die drängendsten Herausforderungen der Gegenwart. 

Beklemmende Treffsicherheit

Obwohl ihr Treffen im Juli 2017 während der ersten Amtszeit von Donald Trump stattfand, ist vor allem Chomskys Blick auf die Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat und ihre weltweiten Folgen während der aktuellen zweiten Trump-Präsidentschaft von beklemmender Treffsicherheit. 
Die Vorschläge für Widerstands- und Überlebensstrategien, die Mujica und Chomsky im Laufe ihres Dialogs entwickeln, knüpfen (nicht ganz überraschend) an die anarcho-syndikalistischen Überzeugungen der beiden Männer an, bei denen es immer wieder um Selbstverteidigung in Form von gewerkschaftlichem Engagement, aber auch um alternative, selbstorganisierte Formen des Miteinander-Arbeitens und Werte-Schöpfens geht.

Gegen die Folgen der menschgemachten Klimakatastrophe, Vertrauens- und Legitimationskrisen repräsentativer Demokratien, Populismus und Korruption, sowie immer brutaler ausgetragene militärische Konfrontationen setzen sie ihre Vision von miteinander über Grenzen und Kontinente hinweg kooperierenden Gesellschaften. Nur solchen Gesellschaften könne es gelingen, ihr demokratisches Zusammenleben durch Volksbefragungen und Volksentscheide auf lokaler und regionaler Ebene sowie durch generationenübergreifende Formen gemeinschaftlichen Engagements und Verantwortungsübernahme zu verteidigen. 

Sinnerfülltes Leben in solidarischer Gemeinschaft

Mujica erinnert dabei an eines der Schlüsselerlebnisse seines politischen Lebens, den Volksentscheid in Uruguay vom Dezember 1992, durch den es gelang, die Privatisierung von Energie- und Wasserversorgung sowie des Telekommunikationsnetzes und der öffentlichen Banken abzuschmettern. Der 90-Jährige, der während seiner Zeit als Uruguays Präsident 90 Prozent seines Gehalts für soziale Projekte spendete, beschwört die Notwendigkeit, Manipulationen autokratischer Herrscher eine im Lokalen verwurzelte solidarische Gemeinschaft entgegenzusetzen wie eine Art Credo, das sich nach seinem Tod im Mai 2025 wie ein Vermächtnis liest. 

Am intimsten, berührendsten wirkt dieser Gesprächsband jedoch dort, wo es um die persönlichen Lebenserfahrungen der beiden alten Männer geht – darum, wie sie mit Scheitern, persönlichen Krisen- und Verfolgungssituationen umgehen, und was sie über das  Wiederaufstehen, die Definition eines sinnerfüllten Lebens und gemeinsam mit anderen erfahrene Glücksmomente zu sagen haben. 

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