Propaganda von Weltbild unterscheiden

Marina Rudyak: Dialog mit dem Drachen. Wie uns strategische Empathie gegenüber China stärken kann. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2025, 240 Seiten, 28 Euro

China gilt als strategischer Konkurrent des Westens, wird aber selbst von vermeintlichen Fachleuten oft missverstanden, schreibt die Sinologin Marina Rud­yak in ihrem Buch "Dialog mit dem Drachen".

Die Autorin beklagt zu Recht, dass es im gesamten deutschsprachigen Raum nur rund 50 Professuren für Sinologie und Chinawissenschaften gibt, dagegen allein in Hessen 26 Professuren für Altphilologie und Romanistik. Allzu oft läsen hierzulande China-Fachleute nur die offiziellen englischen Übersetzungen politischer Texte, die von den Originalen meist inhaltlich abwichen. Dabei seien die Aussagen des kommunistischen Regimes nicht bloße Propaganda, sondern zeigten dessen Weltbild. 

Rudyak ist Mitarbeiterin des Sinologischen Instituts der Universität Heidelberg. Ihr zufolge lassen viele westliche Beobachtende nicht auf asiatische Perspektiven ein. So werde übersehen, welch riesige Bedeutung die Opiumkriege und das folgende „Jahrhundert der Schande“ von Großbritanniens Sieg über China 1842 bis zum Ende der japanischen Besatzung 1949 für China haben. Es werde auch nicht verstanden, wie sehr das Selbstbewusstsein der Parteiführung auf wirtschaftlichen Erfolgen beruhe, die nicht mit westlichen Rezepten erreicht wurden. 

Irreführende Vorwürfe

Entsprechend führe es in die Irre, wenn westliche Regierungen der Volksrepublik vorwerfen, sie wolle Partnerländer in Afrika mit Krediten abhängig machen und vermeide dabei demokratische Beteiligung von Parlamenten oder Zivilgesellschaft. Es stimme zwar, dass Intransparenz Korruption erleichtert und Projekte öfter scheitern, wenn sie keine breite Unterstützung genießen. Trotzdem habe sich der Fokus auf Infrastrukturausbau in China empirisch bewährt, während westliche Entwicklungsversprechen sich oft nicht erfüllt hätten. Ebenso werde in Europa unterschätzt, wie gut Appelle an antiimperialistische Solidarität in ehemaligen Kolonien ankommen, schreibt die ehemalige wirtschaftspolitische Beraterin der GIZ in Peking. 

Laut Rudyak wundern sich Reisende aus Europa in China regelmäßig über die Zustimmung, die sie bekommen, wenn sie die Menschenrechte ansprechen. Sie übersähen dabei aber, dass aus dortiger Sicht Entwicklung – verstanden als Teilhabe am technischen Fortschritt – als wichtigstes Menschenrecht gelte. Daraus leiteten sich Ansprüche auf Ernährungssicherheit und Armutsminderung ab, wohinter der Kommunistischen Partei zufolge politische Freiheitsrechte zurückstehen müssten. Rudyaks leicht verständliches und anekdotenreiches Buch lässt keinen Zweifel daran, dass die chinesische Diktatur freie Debatten nicht zulässt. Zugleich erläutert es aber, wie profilierte Intellektuelle, die hierzulande kaum bekannt sind, mit differenzierten Veröffentlichungen zu politischen Themen das Weltbild der Parteiführung prägen. 

Einer von ihnen ist Zhao Tingyang von der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaft. Ihm zufolge überfordern drängende globale Probleme wie der Klimawandel oder Pandemien die multilaterale Weltordnung, die auf souveräne Staatlichkeit und mithin nationale Interessen ausgerichtet sei. Nötig sei dagegen ein auf Harmonie ausgerichtetes System kooperativer bilateraler Beziehungen. Solche Analysen schließt Rudyak sich nicht an, will sie aber ernst genommen sehen. Außenpolitik, die solches Denken nicht mit einer gewissen Empathie in Betracht ziehe, könne nur suboptimale Ergebnisse bringen. Der 240 Seiten dünne Band ist ein guter Start für alle, die ihr Verständnis der Weltsicht und der Propaganda der chinesischen Führung verbessern wollen. 

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