Annalena Baerbock liebt symbolträchtige Auftritte. Zum Amtsantritt als neue Präsidentin der UN-Generalversammlung Anfang September legte sie ihren Eid auf das Original der UN-Charta von 1945 ab. Das Dokument wurde vom US-Nationalarchiv in Washington für die Zeremonie extra ins UN-Hauptquartier in New York geschafft.
Ein bisschen Aufmerksamkeit kann die Charta gut gebrauchen. Die Völker der Vereinten Nationen seien „fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, heißt es aus heutiger Sicht etwas altmodisch darin gleich im ersten Satz – und zu ihrem 80. Geburtstag, den die Weltorganisation diesen Herbst feiert, scheint sie so weit entfernt von diesem Anspruch wie selten zuvor in ihrer Geschichte. In den Kriegen, die derzeit toben, in der Ukraine, im Nahen Osten oder im Sudan, spielen die Vereinten Nationen praktisch keine Rolle.
Das ist nicht ihr Versagen, sondern dass der Regierungen. Russland, Israel und die USA bombardieren andere Staaten und verteidigen das gar nicht mehr groß vor dem Völkerrecht. Der deutsche Bundeskanzler hat nach dem Angriff der USA und Israels auf Iran von „Drecksarbeit“ gesprochen, die zu erledigen gewesen sei. So macht man Gewalt als Mittel der internationalen Politik hoffähig. Vor 80 Jahren war die Idee, mit den UN ein System kollektiver Sicherheit aufzubauen, um Kriege zu verhindern. Das hat nie geklappt, aber heute scheinen nicht einmal mehr die großen Mächte im gemeinsamen Interesse – und im besten Fall mit Hilfe der UN – Kriege beschränken zu wollen.
Vereinte Nationen, wie Donald Trump sie will?
Obwohl die UN also ziemlich machtlos sind, Kriege zu verhindern und Frieden zu schaffen, will die US-Regierung unter Donald Trump, dass sie sich genau darauf fokussieren. „Back to basics“ – zurück zum Wesentlichen – lautet das Motto in Washington. Das klingt paradox, doch letztlich macht Trump damit nur klar, worum sich die Vereinten Nationen nicht mehr kümmern sollten: um aus seiner Sicht „woken“ Unsinn wie Menschenrechte, Klimaschutz, Gesundheit und Gendergerechtigkeit.
Die USA hatten schon immer ein ambivalentes Verhältnis zur Weltorganisation: einerseits der größte Beitragszahler, andererseits immer auf skeptische Distanz bedacht. Doch Trump hat die UN jetzt in eine fulminante Krise gestürzt, indem er die US-Beiträge praktisch über Nacht radikal gekürzt und etlichen UN-Organisationen den Rücken gekehrt hat. UN-Generalsekretär António Guterres hat darauf mit dem eilig zusammengeschriebenen Reformplan UN80 reagiert, der vor allem drastische Sparmaßnahmen vorsieht. Das dürfte Trump allerdings kaum beeindrucken oder seine grundsätzlich ablehnende Haltung zu den Vereinten Nationen ändern.
Guterres sollte seine Reformideen nicht daran ausrichten, dass sie den USA gefallen. Das ist bei diesem erratisch handelnden Präsidenten ohnehin sinnlos. Es wäre falsch, wenn die Vereinten Nationen sich nur noch um Sicherheit und Frieden und vielleicht noch um humanitäre Hilfe kümmerten. UN-Mitglieder aus dem globalen Süden sind denn auch gegen Trumps „back to basics“. Zum Wesentlichen gehört für sie ebenso die Entwicklungsarbeit der UN, etwa in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Es ist ein großer Fehler, dass zurzeit auch etliche europäische Länder ihre Mittel für internationale Zusammenarbeit und ihre Beiträge zu UN-Organisationen kürzen. Sie verpassen damit eine Gelegenheit, den Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika zu signalisieren, dass man mit ihnen in der Weltorganisation an einem Strang ziehen will.
Klug gemacht von der Afrikanischen Union
Dass die UN in den großen Konflikten und Kriegen derzeit nur an der Seitenlinie stehen, heißt ja nicht, dass sie nutzlos sind. Man darf sie nicht kleiner machen, als sie sind. Wo sonst lässt sich mit Staaten aus aller Welt an gemeinsamen Zielen arbeiten? Die Afrikanische Union etwa hat das klug genutzt und eine Initiative für mehr Zusammenarbeit in der internationalen Steuerpolitik eingebracht. Die USA haben die Beratungen wenig überraschend bald nach Beginn verlassen, während etliche EU-Mitglieder nach zunächst großer Skepsis zunehmend konstruktiv mitmachen. Vielleicht kommt am Ende die geplante UN-Steuerkonvention dabei heraus. Das klingt unspektakulär, steht aber für die wichtige Arbeit, die in den Vereinten Nationen oft hinter den Kulissen stattfindet.
Die UN werden es wohl niemals schaffen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren. Damit sind sie schlichtweg überfordert. Trotzdem wäre die Welt ohne sie ein noch düstererer Ort. Annalena Baerbock hat insofern recht getan, zum 80. Jubiläum der Weltorganisation auf ihre immer noch wertvolle Charta zu schwören.
Neuen Kommentar hinzufügen