Kindheit in Kinshasa

Nadège Kusanika: Unter derselben Sonne. Aufbau-Verlag, Berlin 2025, 207 Seiten, 22 Euro

Die kongolesische Autorin Nadège Kusanika ist eine begnadete Geschichtenerzählerin seit ihrer Kindheit. Wie diese Kunst ihr Selbstvertrauen gab, davon zeugt ihr autobiografischer Debütroman "Unter der gelben Sonne".

Nadège Kusanika, 1988 in der Demokratischen Republik (DR) Kongo geboren, erzählt anschaulich über ihre Kindheit in der Metropole Kinshasa. Großen Stellenwert haben dabei Geschichten, in denen die Kinder eigene Welten erfinden. Auch Mädchen erheben ihre Stimme, denn guten Erzählerinnen hören alle zu. Das prägte die Autorin. Für ihre Mutter gilt die eigenwillige Tochter schon früh als Rebellin, weil sie draußen gern herumtobt; ihre Erziehung ist von Strenge und Fürsorge geprägt. Allerdings erklärt die Mutter gelegentlich auch vorgegebene Regeln und beeindruckt ihre Tochter mit Stolz und Würde trotz vieler Entbehrungen.

Nadège Kusanikas Vater floh nach Deutschland, weil er unter Diktator Mobutu Sese Seko in der Opposition war. Dort gründete er eine neue Familie – mit seiner Tochter in Kinshasa hat er zunächst nur sporadisch Kontakt. Als sie 15 Jahre alt ist, holt er sie schließlich zu sich nach Deutschland.

Ein älterer Bruder der Mutter, der in der kongolesischen Hauptstadt Professor ist, nimmt für mehrere Jahre seine junge Schwester und die kleine Nichte in seinen großen Haushalt auf. Später heiratet Nadèges Mutter und trägt der heranwachsenden Protagonistin die Versorgung ihrer viel jüngeren Halbschwester auf. Die Mutter arbeitet bei der Polizei, erhält jedoch nur unregelmäßig ihr Gehalt. Mangel prägt den Alltag. Immer wieder ist Nadège gefordert, Wasser von weit her zu tragen oder Holz zum Kochen zu sammeln. Vor allem wenn das Mädchen nachts im Dunkeln zur unheimlichen Außentoilette gehen muss, wird klar, wie sehr die marode Infrastruktur in der Megacity Kinshasa das Leben von Kindern beeinträchtigt, die nicht einmal zu den Ärmsten zählen.

Poetische Beschreibungen des Kinderalltags

Die Autorin illustriert das sachlich und ansatzweise kritisch, diese Bedingungen waren für sie einfach normal. In ihrer kindlichen Wahrnehmung spielt Natur eine große Rolle: Bäume auf dem Hof, ein Wald in der Nähe, feuchte Erde nach dem Regen, der Sternenhimmel bei Stromausfall, tagsüber die wärmende Sonne. Sehr poetisch beschreibt sie diese Erinnerungen an ihre Heimat. Um den dortigen Kinderalltag einer deutschen Leserschaft näherzubringen, spielt auch das kongolesische Essen eine große Rolle. Durchsetzt mit Worten aus dem Lingala, einer der vielen Sprachen in der DR Kongo, erläutert sie ihre Lieblingsspeisen – die es meist nur gab, wenn Nadège an Malaria erkrankt war und wieder zu Kräften kommen sollte. 

Die Sorge vor dem Tod von Kindern – berechtigt angesichts des miserablen Gesundheitssystems – kommt auch zur Sprache, als eine Mitschülerin plötzlich stirbt. Krieg und Flucht wiederum betreffen die Protagonistin zumeist nur temporär und indirekt.

Nadège Kusanika migriert als Teenager zu ihrem Vater nach Deutschland, ihre hiesigen Erfahrungen veranschaulicht sie im zweiten Teil des Debütromans. Es ist eine Mischung aus viel Unterstützung durch Menschen aus ihrer Umgebung, die sie in ihrer zweiten Heimat ankommen lässt, aber auch Konfrontationen mit Afrikaklischees. Diese gut lesbare Lektüre richtet sich an alle, die sich erstmals und autofiktional mit der DR Kongo befassen wollen, und die offen für die Realität migrierter Kongolesen sind.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Flugzeug aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!