Schadenszauber vor Gericht

In weiten Teilen Afrikas sind die Menschen überzeugt, dass Hexerei die Ursache vieler Krankheits-, Unglücks- und Todesfälle ist. Auch die Justiz muss sich mit Anklagen wegen Schadens­zauber befassen. Auf welcher Rechtsgrundlage das geschieht und wie man moderne Vorstellungen über Beweisführung damit vereinbart, ist jedoch ungeklärt.

Wenn in Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik oder Kamerun ein Richter ein Urteil spricht, dann geht es nicht selten um Hexerei. Die Anschuldigung, eine andere Person mittels übernatürlicher Kräfte verwunschen oder sogar getötet zu haben, würde vor einem europäischen Gericht nie Bestand haben. In vielen Ländern Afrikas gehört sie aber nach wie vor zum Alltag und wird von den staatlichen Institutionen ernst genommen.

Der Grund dafür ist simpel: Der Glaube an Hexerei und Geisterbeschwörung ist zwischen der Sahara und dem Kap der Guten Hoffnung weit verbreitet, auch in den wohlhabenden und gebildeten Schichten. Das Übernatürliche spielt dabei aus gesellschaftlicher Sicht eine durchaus wichtige Rolle, denn es dient als Erklärung für Ereignisse, die sonst nur schwer erklärt werden können – etwa wenn ein junger Familienangehöriger stirbt, der berufliche Erfolg trotz großer Anstrengung ausbleibt oder die Ernte wegen Dürre und Überschwemmung verloren geht. Gleichzeitig kann Hexerei auch ein Ausweg aus schwerer Not sein, denn sie bietet Hoffnung, wo die Schulmedizin, die kränkelnde Wirtschaft und ein schwacher Staat nicht weiterhelfen.

Autor

Peter Dörrie

ist freier Journalist und berichtet über Ressourcen- und Sicherheitspolitik in Afrika.

Sessouma Daouda vom Ministerium für Soziales in Burkina Faso kann das nur bestätigen: „Auf dem Land ist der Glaube an Hexerei stark wie Eisen“, erzählt er. „Als ich klein war, haben uns meine Eltern auf bestimmte alte Menschen im Dorf hingewiesen, die Hexen und Zauberer seien. Wir sollten nicht vor deren Häusern spielen.“ „So etwas wie einen natürlichen Tod gibt es auf dem Dorf nicht“, bestätigt Awa Nikièma, die Leiterin des „Hofs der Solidarität“, eines staatlichen Hilfswerks für Opfer von Hexerei-Anschuldigungen in Burkina. „Man muss immer herausfinden, wer hinter dem Tod steckt.“

Ob Hexerei „real“ ist, das heißt wissenschaftlich gesehen wirken kann, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Sie ist eine gesellschaftliche Realität und hat damit spürbare Konsequenzen. Eine der wichtigsten stellt den modernen Rechtsstaat in Afrika vor ein ernstes Problem: Wo sich Menschen geschädigt fühlen, muss der Staat Schuld und Unschuld ermitteln. Wie aber soll das möglich sein bei einem Verbrechen, welches seiner Natur nach in der „realen“ Welt keine Spuren hinterlässt? Ist es überhaupt möglich, moderne Vorstellungen über Beweisführung und traditionelle Vorstellungen über Hexerei zu vereinbaren, oder muss am Ende das eine dem anderen weichen?

Problematisch sind Hexerei-Anschuldigungen vor allem deshalb, weil sie erwiesenermaßen oft dazu dienen, unerwünschte Personen sozial auszugrenzen. Laut Awa Nikièma sind über 90 Prozent der Beschuldigten in Burkina Faso alte Frauen, die von ihren Familien in Krisenzeiten oft nur noch schwer ernährt werden können. In Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, trifft der Vorwurf der Hexerei dagegen vor allem Kinder. Die vielen Kriege und Unruhen der letzten 20 Jahre haben viele von ihnen im Kongo zu Waisen gemacht, die bei entfernten Verwandten Unterschlupf suchen, die aber meist ebenfalls im Kreislauf der Armut gefangen sind. In Kamerun wiederum hat der Forscher Peter Geschiere detailliert herausgearbeitet, wie eine urbanisierte Elite mit Hexerei-Anschuldigungen systematisch wirtschaftlich marginalisierte junge Männer vor Gericht bringt.

In allen diesen Fällen dient die Anklage wegen Hexerei, ob vor Gericht oder im Rahmen der Dorfgemeinschaft, dazu, sich einer lästigen oder als bedrohlich empfundenen Minderheit zu entledigen. In vielen Fällen geschieht dies vermutlich unterbewusst – die Kläger haben wirklich das Gefühl, Opfer von böswilliger Hexerei geworden zu sein.

Interessanterweise wurde diese Gefahr der Instrumentalisierung bei traditionellen Hexereiprozessen durchaus berücksichtigt. Ein lokaler Amtsträger, etwa der Dorfchef, ermittelte in vielen Gesellschaften zuerst, ob der Kläger tatsächlich Opfer von Hexerei geworden war oder dem Streit eine andere Ursache zugrunde lag. Erst wenn die übernatürliche Eigenschaft des Verbrechens feststand, wurde die Klage auch auf dieser Grundlage behandelt.

Traditionelle Hexereiprozesse waren und sind dabei in der Regel von Ritualen geprägt, die den Schuldigen und den Tathergang ebenfalls auf spirituellem Weg ermitteln. In Kamerun und der Zentralafrikanischen Republik spielten und spielen Heiler, die auch Magiekundige sind, eine zentrale Rolle in traditionellen Hexereiverfahren. In der Gesellschaft der Mossi in Burkina Faso kommt bei Todesfällen, bei denen übernatürliche Einflussnahme vermutet wird, dagegen ein Ritual namens Siongo zum Einsatz. Dabei wird der Körper des Verstorbenen auf dem Kopf von zwei in Trance versetzten jungen Männern mit den Füßen voran durch das Dorf getragen. Der Geist des Verstorbenen leitet dabei die Träger zu der Person, die für seinen Tod verantwortlich ist.

Ähnlich wie die meisten gewohnheitsrechtlichen Normen in Afrika erregte in der Kolonialzeit auch der Umgang mit Hexerei die Aufmerksamkeit und das Missfallen der europäischen Kolonialherren. Traditionelle Hexereiprozesse wurden etwa von der englischen Kolonialverwaltung als „unvereinbar mit der europäischen und christlichen Moral“ verboten. Hexerei, so die Einstellung der Kolonialherren, sei ein schädlicher Teil der primitiven Kultur der Afrikaner und hätte keinen Platz in der Rechtsprechung der Kolonien. Doch der Versuch, den Glauben an Hexerei in Afrika einzuschränken, schlug auf ganzer Linie fehl. Paradoxerweise beschädigte die koloniale Herrschaft dabei aber die Schutzmechanismen für die Angeklagten in traditionellen Hexereiprozessen irreparabel. Weil traditionelle Organe und Würdenträger, die in das staatliche Herrschaftssystem eingebunden waren, die Annahme von Klagen wegen Hexerei verweigerten oder sogar den Kläger wegen Rufmords oder übler Nachrede bestraften, entstand eine Kultur der Selbstjustiz. Darauf haben die Justiz und die Polizei bis heute nur noch eingeschränkt Einfluss.

Nach der Unabhängigkeit sahen sich viele Richter und Regierungen in Afrika nicht mehr in der Lage, Hexerei-Anschuldigungen zu ignorieren – auch weil sie oft selbst an die Existenz von Hexerei glaubten. In dem Versuch, die europäische Rechtstradition mit der afrikanischen Realität zu vereinbaren, wurde nicht nur im Bereich Hexerei wieder verstärkt auf Rechtsvorstellungen aus dem Gewohnheitsrecht zurückgegriffen. Länder wie Ghana erkannten das Gewohnheitsrecht als offizielle Grundlage für die Rechtsprechung an.

Schweigen wird oft als Eingeständnis der Schuld gewertet

Das Gewohnheitsrecht hat in der Kolonialzeit allerdings einige fundamentale Änderungen durchlaufen und ist heute nicht geeignet, die aus Hexereiprozessen erwachsenden Widersprüche zu überbrücken. Insbesondere ist bis heute in keinem Staat explizit geklärt, auf welcher Rechtsgrundlage Hexereiprozesse geführt werden sollten und was passiert, wenn traditionelle Rechtsnormen mit jenen des modernen Rechts kollidieren. Was passiert etwa, wenn sich der Kläger gegen die beschuldigte Hexe zur Wehr gesetzt hat, sie vielleicht sogar – in selbst empfundener Notwehr – getötet hat? Welche Beweise werden vor Gericht zugelassen? In der Praxis entscheidet der Richter dies alles meist nach persönlichem Ermessen.

In einem Interview beschreibt die US-amerikanische Forscherin Louisa Lombard einen typischen Hexereiprozess in der Zentralafrikanischen Republik: „Die häufigsten Beweisarten sind Zeugenaussagen, die Konsultation traditioneller Heiler, der Ruf des Angeklagten und sein Verhalten während des Prozesses und bei der Anklage – Schweigen wird dabei oft als Eingeständnis der Schuld gewertet.“

Laut Forschungsberichten zu modernen Hexenprozessen in Afrika ist vor allem die Rolle der traditionellen Heiler ein wiederkehrendes Merkmal. Sie steht in der Tradition des vorkolonialen Gewohnheitsrechts, die Heiler werden heute aber mehr im Sinne moderner Sachverständiger eingesetzt. Peter Geschiere beschreibt in seinen Arbeiten zu Hexereiprozessen in Kamerun, dass Gerichte oft Heiler mit einem besonderen Ruf als Experten heranziehen und ihre Aussagen maßgeblichen Einfluss auf den Verlauf der Prozesse haben. Manchmal erheben sogar die Heiler selbst die Anklage. Von ihnen wird im Prozess erwartet, dass sie ihre eigenen übernatürlichen Kräfte einsetzen, um Schuld oder Unschuld des Angeklagten festzustellen. Geschiere weist in seinem Buch „The Modernity of Witchcraft“ auch auf problematische Interessenskonflikte bei diesen Kronzeugen hin. Denn sie verdienen an den Prozessen gut, nicht zuletzt, weil die Opfer die Heiler dafür bezahlen, die Verhexungen wieder von ihnen abzuwenden.

Auch andere Elemente moderner Hexereiprozesse in Afrika sind hoch problematisch. In vielen Fällen wird der oder die Angeklagte auf Grundlage eines Geständnisses verurteilt. Das wird in der Regel abgelegt, weil sich die betroffene Person davon Milde verspricht und eine Chance, wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. In anderen Fällen werden die Angeklagten bei ihrer Verhaftung, die oft Privatpersonen oder die schon angesprochenen Heiler vornehmen, körperlich misshandelt und fühlen sich zu einem Geständnis gezwungen.

Einige Staaten folgen daher einem anderen Weg: In Burkina Faso etwa will die Regierung in den nächsten Jahren Hexerei-Anschuldigungen unter Strafe stellen und schon heute werden Beschuldigte von staatlicher Seite in aller Regel als Opfer und nicht als mögliche Täter behandelt. Hexerei selbst taucht als Delikt schon seit längerer Zeit nicht mehr in den Gesetzbüchern auf.

Dieser Weg wird vor allem von Menschenrechtsorganisationen gefordert, bringt aber eigene Probleme mit sich. Denn der Staat und seine Repräsentanten geraten so in die Gefahr, von der Bevölkerung als Komplizen der Hexen und Zauberer wahrgenommen zu werden. Dabei ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Hexerei in den meisten afrikanischen Gesellschaften aktiv praktiziert wird, und das zum Teil auch mit böswilligen Absichten.

Die Lösung liegt in der Beseitigung von Armut und Not

Dementsprechend müssen Gerichte, Richter und Staatsanwälte darauf vorbereitet und dazu bereit sein, sich mit Hexerei auseinanderzusetzen. Im Vordergrund sollte dabei allerdings der Schutz der Rechte der Angeklagten stehen. Wie das gehen kann, zeigt laut Louisa Lombard die NGO Danish Refugee Council: Die Organisation leiste fantastische Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik, um den Schutz von Beschuldigten zu erhöhen. Sie arbeite mit einem respektierten zentralafrikanischen Staatsanwalt zusammen und setze auf sehr lokaler Ebene an, erklärt Lombard. So sei es gelungen, den Menschen dabei zu helfen zu verstehen, dass die Angeklagten Rechte haben, die respektiert werden müssen. „Entscheidend dabei ist, dass es sich um eine zentralafrikanisch geführte Initiative handelt, die von einem Anthropologen geleitet wird, also auf einem tiefen Verständnis der lokalen Dynamiken beruht.“

Vor einer wichtigen Wahrheit können sich afrikanische Staaten aber auch dann nicht drücken: Die allermeisten Hexerei-Anschuldigungen entstehen aus sozialen Krisen. Der Vorwurf der Hexerei dient als Ventil für eine Gesellschaft, die am Rande des Zusammenbruchs steht. Die Lösung für diese Fälle kann nicht allein aus einem professionelleren Umgang der Gerichte mit dem Thema entstehen, sondern liegt in der Beseitigung von Armut und Not.

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In unserer Kirchenzeitung ("Die Kirche"-EKBO) wurde der Inhalt Ihrer sehr differenzierten und detaillierten Darstellung so verkürzt wiedergegeben, dass es mich schauderte (übrigens ebenso in der säkularen "Berliner Zeitung"). Mir ist dabei bewusst geworden, dass das Thema "Hexerei" in unserer Gesellschaft offensichtlich als "exotisch" und interessant gilt und wir unbedingt sachliche Aufklärung brauchen, wie der Artikel sie zur Verfügung stellt. Mein Mann und ich begleiten aktiv seit 1979 das Zentrum "Delwende" in Burkina Faso, wo zur Zeit über 350 verfolgte und ausgestoßene Frauen leben (zeitweise waren es fast 500), um deren Reintegration sich in aufopfernder Weise die "Weißen Schwestern" kümmern. Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, der sich der Moogho Naaba ("Kaiser" der Mossi) anschloss, hat zu ersten Erfolgen geführt. So konnten im letzten Jahr 12 Frauen wieder in ihre Familien zurückkehren. Darum sind wir überaus dankbar für den "Sonderweg", den die Justiz in BF geht. Ursula Koch

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erschienen in Ausgabe 5 / 2013: Wer spricht Recht?
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