„Eine selbst auferlegte Fessel“

Zwei Drittel der staatlichen Entwicklungshilfe sollen bilateral, nur ein Drittel soll multilateral vergeben werden. So sieht es der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag vor. Fachleute halten das für Unsinn, wie eine Anhörung im Entwicklungsausschuss des Bundestags (AWZ) gezeigt hat.

Für Entwicklungsminister Dirk Niebel stand fest, kaum dass er im Amt war: Am besten wirkt Entwicklungshilfe dann, wenn sie bilateral, also direkt über deutsche Projekte und Programme in die Partnerländer fließt. Das erhöhe zudem die Sichtbarkeit deutscher Hilfe und nutze der deutschen Wirtschaft. Das sei man dem Steuerzahler schuldig. Nicht nur über einzelnen Projekten, etwa einem Schulbau, weht seither häufiger die deutsche Fahne. Selbst Hilfsgüter, die über multilaterale Organisationen wie etwa das Welternährungsprogramm der UN verteilt werden, ziert zwecks besserer Sichtbarkeit inzwischen ein schwarz-rot-goldener Aufkleber, bemerken Mitarbeiter.

Autor

Johannes Schradi

war bis Frühjahr 2013 Berlin-Korrespondent von „welt-sichten“.

Dass bilateral manchmal schneller und gezielter geholfen werden kann als über die oft komplizierten Mechanismen multilateraler Organisationen, stellen Fachleute gar nicht infrage. Aber die feste Quote, sagt Thomas Fues vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, sei eine „selbst auferlegte Fessel, die den deutschen Interessen zuwiderläuft“. In den Ministerien herrsche ein„permanenter Druck“, multilaterale Vorhaben kurz zu halten, etwa wenn es um Beiträge an die Vereinten Nationen gehe. Damit mindere Deutschland seine Chancen, auf die Agenda multilateraler Organisationen einzuwirken. Fues: „Deutschland verkauft sich multilateral unter Wert.“

Auch beim Geberländerclub OECD hat man für die deutsche Quoten-Prinzipienreiterei wenig Verständnis. Es sei keineswegs erwiesen, dass die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Weltbank, den UN und der EU überlegen sei, sagt Helmut Reisen, Chef des OECD Development Centre in Paris. Im Gegenteil: Sie sei weniger an der Armutsbekämpfung orientiert, weniger effizient und sie belaste die Verwaltung der Partnerländer stärker. Jedoch diene die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der deutschen Wirtschaft offenbar als wertvoller„Türöffner“ für lukrativere Handelsbeziehungen.

Multilaterale Hilfe ist weniger fragmentiert als bilaterale

Ob und wo bilaterale oder multilaterale Entwicklungszusammenarbeit besser hilft, sei noch lange nicht ausgemacht, meinen auch Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen. Auf beiden Seiten bedürfe es noch genauerer Evaluierungen. Einig sind sich die Fachleute, dass die Hilfe besser koordiniert werden muss und dass die bilaterale Hilfe noch fragmentierter ist als die multilaterale. Gefragt seien programmorientierte Ansätze und Geberharmonisierung entlang der Reformagenda von Paris und Accra, nicht neue Projektitis, sagte Tobias Hauschild von Oxfam.

Die feste Quote gehöre abgeschafft, da sind die Entwicklungspolitiker der Opposition im Bundestag einer Meinung mit den Experten. Sie schade der Wirksamkeit der Hilfe eher als sie – wie behauptet – zu fördern. Die Oppositionspolitiker beklagen nicht zuletzt, Deutschland könnte sich aus dem multilateralen Kontext hinauskatapultieren, eine Sorge, die auch die Fachleute umtreibt.

Mit Erleichterung nahm man im Ausschuss auf, dass Entwicklungsminister Niebel zumindest bei der Hilfe für den besonders fragilen neuen Staat Südsudan empfohlen hat, nicht im Alleingang vorzupreschen, sondern die EU oder das UN-Entwicklungsprogramm UNDP als zentrale Anlaufstelle zu nutzen und gemeinsame Expertise, etwa bei der Wasserversorgung, auch gemeinsam einzubringen. Auch die multilaterale Zusammenarbeit habe ihre Vorteile, räumt man im Entwicklungsministerium (BMZ) ein. Etwa wenn es um Fragen wie Klimaschutz, Handel oder die Einbindung der Schwellenländer in eine globale Entwicklungsagenda geht. Des ungeachtet hält namentlich der Haushaltsausschuss des Bundestags, der über die staatliche Entwicklungshilfe wacht, an der einmal beschlossenen Vergabequote unbeirrt fest. Und auch das BMZ möchte von seiner „grundsätzlichen politischen Präferenz“ für mehr bilaterales Engagement nicht lassen.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik
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