Breite Front gegen Drogenhändler

Zwei Jahre lang haben Drogenfahnder aus Nigeria jeweils für einige Wochen in der Schweiz Dienst getan. Ziel der Kooperation ist eine bessere Bekämpfung des Drogenhandels. Beide Seiten werten das als Erfolg, doch das Projekt ist nicht unumstritten.

David Kumchi und Adeyemo Osin marschieren in grünen Uniformen durch die Straßen Berns. An ihrer Seite zwei Berner Polizisten in blau. Die Gruppe weckt Neugierde, Passanten zücken ihre Handys und filmen das ungewöhnliche Quartett. Kumchi und Osin sind von der nigerianischen Anti-Drogenbehörde National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA). Sie begleiten ihre Schweizer Kollegen auf Streife. Sie sind die beiden letzten von rund 20 nigerianischen Polizisten, die im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojekts in der Schweiz während zwei bis drei Wochen ihren Dienst versehen. Die Polizeikooperation zwischen der Schweiz und Nigeria geht auf die Migrationspartnerschaft mit dem afrikanischen Land zurück. Mit der Partnerschaft soll die Zahl nigerianischer Asylbewerber in der Schweiz gesenkt werden. Ziel der Polizeikooperation ist eine bessere Bekämpfung des Drogenhandels.

Vorrangig geht es bei den Besuchen der nigerianischen Drogenfahnder um den Austausch von Wissen und Strategien, unter anderem im Umgang mit Drogenhändlern. In der Schweiz ist der Kokainhandel vor allem in Händen nigerianischer Asylbewerber. Sie werden „Chügelidealer“,  Kügelchendealer, genannt, weil sie Kleinstmengen der Droge im Mund verstecken und schlucken, wenn die Polizei auftaucht.

Autorin

Rebecca Vermot

ist Redakteurin bei der Schweizerischen Depeschenagentur sda und ständige Korrespondentin von "welt-sichten".

David Kumchi hat überhaupt kein Verständnis für seine Landsleute, die sich in der Schweiz als Kleinkriminelle durchschlagen. „Hier wird man nicht wegen schlechter Lebensbedingungen in den Asylunterkünften Drogendealer. Die, die das tun, machen das bewusst“, sagt er. Und das macht ihn wütend: „Von mehr als 160 Millionen Menschen in Nigeria beschädigen diese wenigen Drogendealer den Ruf unseres Landes.“ Er weiß, dass das Drogenproblem weder in Nigeria noch in der Schweiz noch weltweit ausgemerzt werden kann, „aber wir können es mit einer guten Zusammenarbeit auf ein erträgliches Minimum senken.“

Prägend waren für beide Seiten – für die nigerianischen Drogenfahnder wie für die Schweizer Polizisten – persönliche Erlebnisse und Erkenntnisse. „Für mich war es der erste Austausch mit Nigerianern und er war spannend“, erklärt der Berner Polizist Adrian Krähenbühl. „Das Projekt hilft, Verständnis für Menschen aus anderen Kulturen zu entwickeln.“ Das geht am besten mit Hilfe persönlicher Geschichten – zum Beispiel der von den Narben auf David Kumchis Wangen. Sie weisen ihn als Mitglied einer Volksgruppe in Nigeria aus, der er gar nicht angehört. Die Schnitte hat ihm seine Mutter als Kind beigebracht, um ihn im Bürgerkrieg vor dem Tod zu bewahren.

Auch das Bundesamt für Migration ist überzeugt, dass der „Einsatz von nigerianischen Beamten gewaltmindernd wirkt“

Zum ersten Mal haben David Kumchi und Adeyemo Osin in der Schweiz eine Drogenanlaufstelle gesehen. Dort können Junkies ihre selbst mitgebrachten Drogen konsumieren, erhalten saubere Spritzen und medizinische oder soziale Beratung – oder duschen nur mal kurz. Im Gegenzug werden sie registriert. „Am Anfang war ich geschockt“, sagt Adeyemo Osin.  „Bei uns gelten Drogenabhängige als Kranke, und eine Krankheit muss geheilt werden.“ Nicht selten kommen die Süchtigen dafür ins Gefängnis.

Die nigerianischen Drogenfahnder sind außerdem in ihrer Heimat vor allem hinter Drogenhändlern her, die große Mengen verschieben, denn Nigeria gilt als Transitland für den globalen Drogenhandel von Südamerika nach Europa. So steigt das Verständnis für die Drogenanlaufstelle in Bern, als Adeyemo Osin und David Kumchi mehr über deren Vorteile erfahren: In der Stadt gibt es keine offene Drogenszene mehr, auch die Ansteckungen mit HIV oder Hepatitis sind zurückgegangen. Zudem wissen dank der Registrierung die Verantwortlichen, wer zu ihnen kommt, und auch die Polizei kann die „Drögeler“ besser im Auge halten.

Gestaunt haben aber auch die Schweizer Kollegen. So zum Beispiel, als Kumchi ihnen in einer Wohnung ein mögliches Drogenversteck zeigte: „Wer greift schon in ein Hähnchen, das im Kühlschrank liegt?“, fragt Adrian Krähenbühl. Die Nigerianer taten es  – und wurden fündig. Weitere Details wollen die Schweizer Polizisten aus „polizeitaktischen Gründen“ nicht nennen, aber gelernt hätten sie viel, sagen sie. Alle Beteiligten sind sich zudem einig, dass die Präsenz der nigerianischen Uniformierten deeskalierend wirkte. „Ich habe selten so reibungslose Personenkontrollen erlebt, wie in Begleitung der beiden Kollegen aus Nigeria“, sagt Krähenbühl.

Auch das Bundesamt für Migration, bei dem die Fäden der Kooperation zusammenlaufen, ist überzeugt, dass der „Einsatz von nigerianischen Beamten gewaltmindernd wirkt“. Erfahrungen hätten gezeigt, dass bei gemeinsamen Patrouillen sowie bei Befragungen von nigerianischen Drogenhändlern deren Gesprächsbereitschaft höher sei, schreibt die Behörde in einer ersten Bilanz.

Linke Politiker befürchten eine erneute Traumatisierung der Asylbewerber aus Nigeria und kritisieren die Polizeikooperation scharf

Kumchi und Osin betonen im Gespräch immer wieder, dass sie von der Anti-Drogenbehörde sind – und nicht von der nigerianischen Polizei. Die genießt in Nigeria und weltweit einen schlechten Ruf, Amnesty International wirft ihr Folter und Mord vor. Aber auch gegen die NDLEA werden immer wieder Foltervorwürfe laut. Davon wollen weder die Schweizer Regierung noch die Polizisten wissen: „Wir haben mit den Kollegen über die Menschenrechtsproblematik gesprochen“, erklärt Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern.  „Sie wissen Bescheid über die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen und Korruption. Aber sie haben uns versichert, dass nur Einzelpersonen dafür verantwortlich sind. Die Organisation sei nicht korrupt“. In einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage im Schweizer Parlament hält auch der Bundesrat fest: „Die nigerianische Antidrogenbehörde NDLEA genießt einen guten Ruf. Nigerianische Menschenrechtsorganisationen berichten, ihnen seien keine fundamentalen Menschenrechtsverstöße wie extralegale Tötungen oder Folter durch NDLEA-Offiziere bekannt.“

Dennoch ist der Einsatz der Polizisten aus dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas in der Schweiz nicht unumstritten. Linke Politikerinnen und Politiker befürchten eine erneute Traumatisierung der Asylbewerber aus Nigeria und kritisieren die Polizeikooperation scharf. Zudem fürchten sie, dass die nigerianischen Polizeibeamten Daten mit nach Hause nehmen, die ausgewiesenen Asylbewerbern zum Nachteil ausgelegt werden könnten. Doch auch hier winkt der Bundesrat ab: In die Schweiz kämen nur langjährige NDLEA-Mitarbeitende der mittleren Führungsebene. Ihr Lebenslauf sei bekannt und sie seien überprüft worden, bevor sie das Visum erhielten. Zudem werde den nigerianischen Beamten kein Zugang zu vertraulichen Informationen und personenbezogenen Daten gewährt. „Sie unterzeichnen außerdem eine Schweigeverpflichtung, die sie unter anderem dazu verpflichtet, keine Daten Dritten zugänglich zu machen“, so der Bundesrat in seiner Antwort auf die Anfrage im Parlament.

Da das Pilotprojekt nach zwei Jahren als Erfolg gewertet wird, hat die Schweiz die nächste Phase gestartet. Dabei wird es darum gehen, direktere Kommunikationswege zwischen den schweizerischen und den nigerianischen Behörden zu vereinbaren, „um effizienter gegen Drogenhändler ermitteln zu können“, erklärt das Bundesamt für Migration. In der Vergangenheit seien zahlreiche Anfragen aus der Schweiz nicht bei der zuständigen nigerianischen Stelle angekommen und deshalb unbeantwortet geblieben. Zudem soll der Austausch von Informationen nicht nur über Interpol, sondern neu gleichzeitig auch direkt über die zuständigen Behörden geführt werden. Und nicht zuletzt sollen Schweizer Polizisten nach Nigeria reisen.

David Kumchis und Adeyemo Osins Abreise nach Nigeria steht kurz bevor. Am liebsten würden sie wieder in die Schweiz zurückkommen. Die Probleme seien hier viel kleiner als zu Hause. „Und meiner Frau würde es hier sehr gut gefallen“, sagt Kumchi.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2013: Zentralasien – Als Partner umworben
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