Schwierige Gastfreundschaft

Syrische Flüchtlinge in Jordanien
Viele Syrer fliehen vor dem Krieg nach Jordanien. Dort sind die Menschen sehr hilfsbereit. Doch die Spannungen zwischen Flüchtlingen und Einhei­mischen wachsen.

Es war eine ruhige Nacht in Irbid. Nur drei völlig erschöpfte Syrer wurden an der Grenze von jordanischen Soldaten aufgegriffen und zur Behandlung ins Krankenhaus der Provinzstadt gebracht. Am Morgen erwacht die Stadt dann wieder zu ihrem normalen Leben. Irbid mit seinen 650.000 Einwohnern ist eine quirlige Universitäts- und Verwaltungsstadt. Es gibt viel Verkehr, noch mehr Geschäfte und mittags bevölkern Scharen von Studentinnen und Studenten die internationalen Fastfood-Ketten.

Bis nach Daraa, der syrischen Kleinstadt, in der die Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad 2011 begannen, sind es nur etwa 30 Kilometer. Knapp hinter den letzten Ausläufern von Irbid verläuft am Fluss Yarmouk die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen dem sicheren Hafen Jordanien und dem vom Bürgerkrieg zerfleischten Nachbarland.

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Inam hat es geschafft. Vor neun Monaten ist die 30-Jährige hochschwanger mit ihren vier Kindern aus Daraa über die Grenze geflüchtet. Ihre Jüngste musste sie damals tragen. Ehemann Bilal, ein ehemaliger Regierungssoldat, konnte erst später nachkommen. Das Haus der Familie war bei einem Bombenangriff von Assads Armee zerstört worden. Jetzt hofft Inam, dass ihre Kinder gesund durch den Winter kommen. Die Familie lebt in einem einfachen Haus aus Beton und zahlt umgerechnet etwa hundert Euro Miete im Monat, inklusive Strom und Wasser. Es gibt zwar einen mit Gas betriebenen Heizofen, aber noch keine Patronen dafür. Die drei älteren Kinder haben Winterkleidung bekommen, aber die beiden jüngsten besitzen noch nicht einmal feste Schuhe. Bilal findet gelegentlich Arbeit auf Baustellen, sonst ist die Familie auf die Zuwendungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) angewiesen. Sie sind in Sicherheit und dankbar dafür. Ihre jordanischen Nachbarn helfen mit Decken und Kinderkleidung, „aber wir wollen so bald wie möglich zurück nach Syrien“.

Die Grenze zwischen Syrien und Jordanien markiert eine künstliche Trennlinie. Sie geht auf das geheime Sykes-Picot-Abkommen zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich aus dem Jahr 1916 zurück. Ethnisch, kulturell und sprachlich sind die Menschen auf beiden Seiten eng verwandt. Es gibt viele familiäre Bande über die Grenze hinweg. Auch Inam hat Familie auf der jordanischen Seite. Für die Jordanier im Grenzgebiet sei es bisher selbstverständlich, ihre Verwandten aus Syrien aufzunehmen, erzählen die Leute. Es gibt viele Geschichten über die große Hilfsbereitschaft der Jordanier.

Auf dauerhafte Bleibe nicht vorbereitet

Doch der Druck auf Jordanien wächst, weil der Strom der Flüchtlinge anhält und ein Ende der Syrienkrise nicht in Sicht ist. Niemand ist darauf vorbereitet, dass die Flüchtlinge dauerhaft bleiben. Im August 2013 waren beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bereits mehr als 500.000 Syrer offiziell registriert, davon leben etwa 120.000 im Lager Zaatari, dem zweitgrößten Flüchtlingscamp der Welt. Alle anderen sind bei Freunden oder Verwandten untergekommen, leben zur Miete oder in Behelfsunterkünften, viele davon im Norden des Landes und in der Hauptstadt Amman, aber mehr und mehr auch im Süden. Wie viele Syrer sich zudem illegal in Jordanien aufhalten, ist nicht bekannt. Laut Schätzungen sind es noch einmal mindestens genauso viele wie offiziell registriert. Dann hätte das kleine Jordanien mit seinen sechs Millionen Einwohnern 1,3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

Die staatlichen Dienste geraten unter Druck. In manchen Nächten kommen bis zu 50 hilfsbedürftige Syrer über die Grenze. 4500 Syrer habe man 2013 im Krankenhaus von Irbid behandelt, berichtet Distrikt-Gouverneur Badr al-Qadi. Die Mittel für Personal und Ausstattung seien nicht aufgestockt worden. Die Flüchtlinge angemessen zu versorgen, „geht weit über unsere Möglichkeiten hinaus“, klagt er.

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Die Schulen sind völlig überfüllt. Die Al-Mothanna-Schule in Irbid hatte einmal rund tausend Schüler, heute sind es mehr als doppelt so viele. Sie lernen in zwei Schichten, vormittags und nachmittags. Das ist kein Einzelfall, insgesamt 25 solcher Zwei-Schicht-Schulen gibt es in Irbid. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef übernahm 2013 die Kosten für neue Lehrer und Materialien, in diesem Jahr wird die Europäische Union einspringen.

„Wir geraten noch aus einem anderen Grund unter Druck“, erläutert Nawaf Titi, der Direktor der Al-Mothanna-Schule: Auch für Jordanier sei die wirtschaftliche Situation schwieriger geworden. Viele Eltern müssten ihre Kinder von den Privatschulen nehmen und sie auf öffentliche Schulen schicken. Dort zahlen sie nur ein geringes Schulgeld von umgerechnet etwa 30 Euro pro Kind und Schuljahr.

Dass viele Jordanier kaum über die Runden kommen, liegt nicht in erster Linie an den syrischen Flüchtlingen. Die Arbeitslosenquote beträgt um die 30 Prozent. Zwischen 15 und 30 Prozent der Jordanier müssen mit einem Einkommen von weniger als 300 Euro pro Monat auskommen, was der offiziellen Armutsgrenze entspricht. 2012 hatte König Abdallah II. begonnen, auf Druck des Internationalen Währungsfonds Subventionen auf Güter des täglichen Lebens wie Strom oder Gas zum Kochen und Heizen abzubauen. Jordanien ist hoch verschuldet und nur mit Krediten aus dem Westen und den Golfstaaten überlebensfähig. Nachdem die Regierung die Preiserhöhungen angekündigt hatte, kam es zu heftigen Protesten vor allem im Süden des Landes. Denn die Lebenshaltungskosten in Jordanien sind sehr hoch, in Amman liegen sie auf europäischem Niveau. Wenn der König für die syrischen Flüchtlinge die Schulgebühren bezahlt, die Jordanier jedoch selbst in die Tasche greifen müssen, fühlen sich viele benachteiligt.

Schwierigkeiten in der Schule

Aber kaum jemand gibt zu, dass das Verhältnis zwischen Einheimischen und Flüchtlingen voller Spannungen ist. In den jordanischen Medien findet man darüber keine Berichte, Konflikte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sind tabu. Das liegt daran, dass Jordanien ein fragiles staatliches Konstrukt ohne eine tragfähige nationale Identität ist. Rund 60 Prozent der Jordanier sind Palästinenser, die nach den kriegerischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1948 und 1967 aus dem Westjordanland geflüchtet sind. Zwischen ihnen und den alteingesessenen Jordaniern oft beduinischer Abstammung existiert eine sorgfältig austarierte Balance, die auch ohne die Syrer schon prekär ist.

Auch Schuldirektor Nawaf Titi räumt nur zögernd ein, dass nicht nur Gastfreundschaft und Verständnis zwischen den Einheimischen und den Flüchtlingen aus Syrien herrschen. Erst nachdem das Gespräch eigentlich schon beendet ist, sagt er, dass seine Schule große Schwierigkeiten hat. Viele der syrischen Schüler, vor allem die Teenager, reagierten aggressiv auf die Belastungen, die sie erlebt haben. „Sie beschädigen Stühle und Schulbänke oder es kommt zu Rangeleien mit den jordanischen Schülern“, erzählt er widerstrebend. Er versuche dann, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen und die Probleme anzusprechen. Aber mehr kann er nicht anbieten, um die schwierige Situation zu bewältigen. Damit bleibt die Schule allein.

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„Ja, es gibt Spannungen vor allem im Norden“, bestätigt Michele Servadei, stellvertretender Leiter von Unicef in Jordanien. „Es ist sehr positiv, dass sie bisher nicht eskaliert sind. Damit das so bleibt, müssen wir auf jeden Fall mehr für bedürftige Jordanier tun.“ Laut einer neuen Verfügung des Ministeriums für Planung und internationale Kooperation müssen bei Hilfsprojekten für die syrischen Flüchtlinge mindestens 20 Prozent der Projektsumme Jordaniern zugutekommen.

Zu den wenigen Studien zum Thema gehört eine Umfrage des Center for Strategic Studies an der Universität von Jordanien in Amman. Dazu wurden 2012 die Einwohner von Mafraq, einem Ort etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt befragt, in dem inzwischen mehr Syrer als Jordanier leben sollen. In Mafraq häufen sich Strom- und Wasserausfälle, Müllabfuhr und Straßenreinigung kommen mit den steigenden Anforderungen nicht zurecht. 80 Prozent der Befragten in Mafraq würden die Syrer lieber in Flüchtlingslagern sehen. Dort sollten sie von Hilfsorganisationen versorgt werden, ohne mit den Jordaniern um Wohnungen und Jobs zu konkurrieren.

Nach Angaben der Studie sind die durchschnittlichen Ausgaben einer jordanischen Familie für Wohnraum in Mafraq von rund 50 Euro auf 150 bis 200 Euro im Monat gestiegen. Das schafft eine Menge Frustration, weil junge Erwachsene erst dann heiraten können, wenn sie eine eigene Wohnung mieten können. Für die Hauptstadt Amman gilt ähnliches, aber hier liegen keine verlässlichen Zahlen vor.

Hausbesitzer profitieren von der Situation, indem sie einheimischen Mietern kündigen und von den Flüchtlingen völlig überzogene Mieten verlangen. Sowohl Einwohner von Mafraq als auch Behördenvertreter befürchten, dass es zu Auseinandersetzungen kommen könnte, wenn es nicht gelingt, die unterschwelligen Spannungen abzubauen. Bisher gab es nur kleinere Zwischenfälle bei der Verteilung von Hilfsgütern, und bei Hilfsorganisationen wurden die Fensterscheiben eingeschlagen.

Auf dem Arbeitsmarkt findet bei den wenig qualifizierten Jobs ein Verdrängungswettbewerb statt. Offiziell dürfen Syrer nicht arbeiten, doch die Behörden drücken die Augen zu. In der Gastronomie, im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft sind viele Flüchtlinge beschäftigt – oft zu wesentlich schlechteren Bedingungen als die Einheimischen. Viele sind gezwungen, Hungerlöhne unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 115 jordanischen Dinar pro Monat (etwa 110 Euro) zu akzeptieren, um mit ihren Familien zu überleben. Weil sie illegal arbeiten, können sie sich nicht gegen Ausbeutung wehren; manche Arbeitgeber nutzen ihre Notlage aus. Aber es trifft auch die ärmeren Jordanier. Denn warum sollten die Arbeitgeber sie zum normalen Gehalt einstellen, wenn die Syrer für weniger Geld arbeiten? Das schafft eine Menge Unmut.

Auch das Schicksal Jordaniens steht auf dem Spiel

„Offiziell existieren solche Konflikte nicht“, sagt Michaela Liess von der britischen Hilfsorganisation Human Relief in Amman, „dabei brodelt es unter der Oberfläche.“ Human Relief hat deshalb ein Trainingsprogramm für nichtstaatliche jordanische Organisationen entwickelt, um sie für den konstruktiven Umgang mit Konflikten zu schulen. Dazu gehört es zum Beispiel, Syrer und Jordanier an einen Tisch zu bringen, damit jede Seite ihre Perspektive eines Konflikts schildern kann. Diese Art von Konfliktbewältigung genießt allerdings weder bei den jordanischen Behörden noch bei den großen internationalen Hilfsorganisationen derzeit Priorität. Zu sehr kämpfen beide mit den logistischen und administrativen Problemen der täglichen Versorgung von Flüchtlingen. Aber das wird auf Dauer nicht ausreichen. Verschlechtert sich die humanitäre Lage in Syrien weiter, steht auch das Schicksal Jordaniens auf dem Spiel.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2014: Neue Helden der Arbeit
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