Ab in den Bunker

In den vergangenen zehn Jahren hat die Schweiz ihre Asylpolitik deutlich verschärft. Weitere Einschränkungen sind geplant, um das Land für Schutz­suchende möglichst unattraktiv zu machen. Menschenrechts- und Flüchtlings­organisationen sind entrüstet und kündigten Proteste an.

Die Schweiz ist zu attraktiv für Asylbewerber – das finden zumindest viele Politikerinnen und Politiker aus dem bürgerlichen und rechten Lager. Um das zu ändern, sind ihnen viele Mittel recht. Die Wirklichkeit zeigt allerdings ein ganz anderes Bild: Die Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt, ist heillos überfordert mit den wenigen Tausend Asylbewerbern, die pro Quartal ins Land kommen. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es 7150, von denen 1200 gleich wieder in die Länder zurückgeschickt wurden, in denen sie zuerst europäischen Boden betreten hatten.

Am deutlichsten sichtbar wird die abwehrende Haltung bei der Unterbringung. „Die Lebensumstände im Zentrum sind miserabler als in meiner Heimat“, sagt Abo aus Mauretanien der Schweizer Tageszeitung „Der Bund“. „Wir leben unter der Erde und dann noch 24 Männer in einem Raum. Schlaf? Da schlägst du dich irgendwie durch die Nacht. Fast täglich kommt die Polizei und kontrolliert uns. Die Beamten sprechen nie mit uns.“ Dabei hat es Abo vergleichsweise gut getroffen: Das Gebäude, in dem er untergebracht ist, steht in einer Stadt. Auf der Suche nach Unterkünften gehen die Schweizer Behörden nämlich oft bis weit in die Peripherie: So sollen in zwei ehemaligen Militärbunkern im Kanton Graubünden Zentren für Asylbewerber entstehen.

Hilfsorganisationen reagierten entsetzt: Die Anlagen kämen einem Gefängnis schon sehr nahe. Was die Anwohner dazu sagen, ist nicht bekannt. Dass jedoch rebelliert wird, sobald Pläne über eine Unterkunft für Asylsuchende publik werden, zeigte sich unlängst in der 560-Seelen-Gemeinde Bettwil im Kanton Aargau. Dort wehrte sich die Bevölkerung mit Graffiti, Transparenten und fremdenfeindlichen Äußerungen bei Info-Veranstaltungen gegen eine befristete Unterbringung von rund 100 Menschen. Die Behörden verzichteten schließlich wegen „rechtlichen Problemen“ auf die Militäranlage als Unterkunft.

Die Behören greifen bis tief in die Privatsphäre der Menschen ein

Das sogenannte „Nothilferegime“ ist ein weiteres Mittel der Abschreckung. Seit 2008 erhalten abgewiesene Asylbewerber nur noch das absolute Überlebensminimum – Essensgutscheine oder Naturalien im Wert von sechs bis acht Franken (fünf bis sechs Euro) am Tag sowie einen Schlafplatz in einer Massenunterkunft, die tagsüber in den meisten Fällen geschlossen ist. In der reichen Schweiz nagen deshalb Menschen am Hungertuch – wie ein 50-Jähriger aus Bangladesch, der vor 17 Jahren um Asyl bat. Die Behörden lehnten das Gesuch ab und verfügten eine Abschiebung. Die konnte allerdings bis heute nicht vollzogen werden, weil die notwendigen Papiere aus Bangladesch fehlen. Seit viereinhalb Jahren erhält der Mann nur noch Nothilfe. Er darf weder arbeiten, noch befindet er sich legal in der Schweiz. Ein unwürdiger Zustand, wie das oberste Schweizer Gericht, das Bundesgericht, nun befand. Wenn der Mann nicht in Kürze abgeschoben werden könne, müsse er wenigstens eine Arbeitserlaubnis erhalten.

Die Behörden greifen bis tief in die Privatsphäre der Menschen ein. Als Folge einer parlamentarischen Initiative aus dem rechtsbürgerlichen Lager wurde vor gut einem Jahr ein faktisches Heiratsverbot für Papierlose im Gesetz verankert: Ausländische Verlobte müssen im Vorbereitungsverfahren zur Eheschließung nachweisen, dass sie sich rechtmäßig in der Schweiz aufhalten. Das Gesetz soll Scheinehen verhindern, trifft aber auch Paare, die aus Liebe heiraten wollen wie den 27-jährigen Jamaikaner Jahron und die 33-jährige Schweizerin Emilie. Die Zivilstandbehörde informierte die Ausländerbehörde über die geplante Heirat; Jahron wurde wegen illegalen Aufenthalts verhaftet und musste bis zu seiner Ausreise in Abschiebehaft. Emilie musste 1800 Franken Strafe zahlen, weil sie ihrem Verlobten ein Dach über dem Kopf gewährt und so den widerrechtlichen Aufenthalt gefördert hatte. Im Juni 2011 heiratete das Paar in Jamaika. Seither lebt es in Ungewissheit: Emilie weiß nicht, wann Jahron im Rahmen des Familiennachzuges wieder in die Schweiz reisen darf.

Laut Gesetz ist der Nachzug der Familie erst drei Jahre nach der vorläufigen Aufnahme möglich. In dieser Zeit können Familienangehörige in Gefahr geraten, wie der Fall des Kriegsdienstverweigerers Abiel aus Eritrea zeigt. Als Deserteur wurde er 2008 als Flüchtling vorläufig aufgenommen. Seine Frau Delina und die vier Kinder flüchteten in den Sudan, von dort drohte die Deportation nach Eritrea. Statt drei Jahre abzuwarten, um einen Antrag auf Familiennachzug zu stellen, beantragte Delina bei der Schweizer Botschaft in Khartum Asyl. Die lehnte ab mit der Begründung, Delina und die Kinder brauchten den Schutz der Schweiz nicht. Dank einer erfolgreichen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht durften Delina und die Kinder Ende 2011 dann doch zu Abiel reisen.

Künftig soll es nicht mehr möglich sein, in Schweizer Botschaften im Ausland Asyl zu beantragen

Für Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen sind die Zustände im Schweizer Asylwesen unhaltbar. Für viele Schweizer Politiker auch – doch aus ganz anderen Gründen: Sie wollen weniger Asylsuchende und sehen als einziges Mittel die Verschärfung der Regeln. Im Juni hat das Parlament mit neuen Beratungen begonnen. Die große Kammer, der Nationalrat, beschloss eine Reihe einschneidender Maßnahmen: Alle Asylsuchenden sollen künftig nur noch Nothilfe erhalten. Wehrdienstverweigerung soll künftig kein Grund mehr für die Anerkennung als Flüchtling sein. Diese Regel zielt vor allem auf Deserteure aus Eritrea, die zurzeit zu Hunderten in der Schweiz Zuflucht suchen.

Zudem soll es künftig nicht mehr möglich sein, in Schweizer Botschaften im Ausland Asyl zu beantragen. Und wer es trotz allem in die Schweiz schafft, soll seine Familie künftig erst nach fünf Jahren nachholen dürfen. Die kleine Kammer des Parlaments, der Ständerat, muss diese Entscheidungen im Herbst noch bestätigen. Sollte die Nothilfe für alle Asylbewerber eingeführt werden, wollen linke Parteien eine Volksabstimmung erzwingen. Für ein solches Referendum müssen sie in 100 Tagen 50.000 Unterschriften sammeln.

Anders als heute war die Schweiz während der Balkankriege in den 1990er Jahren noch fähig, Zehntausenden Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Doch vor rund zehn Jahren begann der Umschwung: Der rechtskonservative Justizminister Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) leitete Reformen ein, um die Schweiz für Asylsuchende möglichst unattraktiv zu machen. Der SVP-Bundesrat sorgte auch dafür, dass in der gesamten Schweiz nur noch 12.000 Asylsuchende untergebracht und betreut werden können. Unter anderem strich er mit dem Segen der Gesamtregierung ab 2008 die Beiträge für die Reserveunterkünfte der Kantone und baute Stellen ab im Bundesamt für Migration, das die Asylgesuche prüfen muss. Heute muss ein Asylbewerber in der Schweiz im Durchschnitt 1400 Tage auf eine Entscheidung warten. Ausgenommen sind die sogenannten „Dublin-Fälle“, die in das Land zurückgeschickt werden, in dem sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben.

Die Quittung für diese Entwicklungen zahlen die Asylsuchenden, aber auch die Kantone, die die Flüchtlinge aufnehmen sollen, und die neue Justizministerin der Sozialdemokraten, Simonetta Sommaruga. Sie hat die Aufgabe, das Asylwesen wieder funktionstüchtig zu machen. Ihr Hauptziel ist es, die Verfahren zu beschleunigen. Die Partei des ehemaligen Justizministers Blocher, die SVP, betreibt derweil Wahlkampf mit dem Asylthema. Das Motto: Die Misere muss endlich mit aller Härte bekämpft werden.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2012: Auf der Flucht
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