Mönche mit Macht

Sri Lanka
Der Buddhismus gilt als friedliche Religion. Doch in Sri Lanka terrorisiert eine radikale Gruppe die muslimische Minderheit.

Devaka Gunaratne fährt in Sri Lankas Hauptstadt Colombo ein Fahrradtaxi. Im vergangenen Sommer nahm er mich als Passagierin mit; zuvor hatte er wie jeden Sonntag den buddhistischen Tempel in einer Vorstadt  besucht. Unterwegs hielten wir an einem Markt, weil er Fisch kaufen wollte. Plötzlich brach in einer Ecke ein Tumult aus und viele Händler packten hastig ihre Waren ein. Ein Plakat war an die Mauer geklebt worden. Es zeigte eine Karte von Sri Lanka, in die auf Sinhala geschrieben war: „Wird ein stolzes Volk von der Erde verschwinden? 1971 machten die Singhalesen 74 Prozent der Bevölkerung aus. 2013 hat sich dieser Anteil auf 61 Prozent reduziert!“ Als sich Gunaratne umdrehte, war sein Fischhändler verschwunden. „Aber ich habe den Fisch doch noch gar nicht bezahlt“, sagte er. „Armer Kerl, er war Muslim, oder?“

Gunaratne kennt solche Plakate. Sie stammen von der Organisation „Bodu Bala Sena“ (BBS), der „Buddhistischen Streitmacht“, einer radikalen Bewegung, die wegen ihrer Attacken auf Muslime berüchtigt ist. Sie wird von fundamentalistischen Mönchen angeführt und ist zusammen mit ähnlichen Gruppen wie der „Sinhala Ravaya“ und „Ravana Baleya“ das Gesicht eines neuen singhalesisch-buddhistischen Chauvinismus in Sri Lanka. Die BBS hat Mobs angestiftet, die muslimische Minderheit anzugreifen, Moscheen und muslimische Geschäfte zu zerstören und christliche Priester zu lynchen. Zwar vertritt sie nicht alle Buddhisten im Land – Gunaratne, ein frommer Buddhist, nennt sie „gesetzlose Rowdys“ –, doch ihr Einfluss nimmt zu.

Die Gruppe ist nicht bewaffnet, aber sie stachelt indirekt zu Gewalt an, indem sie – wie auf dem Plakat – latente Unsicherheiten in der Gesellschaft anspricht oder sich religiöser Symbole bedient. Im vergangenen Juni erklärte BBS-Führer Galagoda Gnanasarain in der südwestlichen Küstenstadt Aluthgama in einer Hetzrede, das Mönchsgewand sei ein Symbol, das Muslime nicht berühren dürften. Wenn sie es täten, auch aus Notwehr, hätten die Buddhisten das Recht, sie anzugreifen. Das führte zu dreitägigen Ausschreitungen, bei denen Mitglieder der BBS und andere Buddhisten muslimische Häuser und Geschäfte überfielen. Vier Muslime wurden getötet, mehr als 80 verletzt. Die BBS kam ungeschoren davon.

Die radikalen Mönche finanzieren sich mit dem Verkauf von Klingeltönen

Entstanden ist die Bewegung nach dem Ende des 30-jährigen Bürgerkriegs zwischen der Regierung und den Rebellen der „Befreiungstiger“ (LTTE), die einen separaten Staat für die tamilische Minderheit anstrebten. Im Mai 2009 zerschlug die srilankische Armee unter dem damaligen Präsident Mahinda Rajapaksa die LTTE in einer brutalen Offensive. Das Ende der blutigen Auseinandersetzungen wurde im ganzen Land als Beginn friedlicher Zeiten gefeiert. Doch die Regierung setzte die Diskriminierung der Tamilen fort, die mehrheitlich Hindus sind und rund zwölf Prozent der Bevölkerung stellen. Sie verstärkte die Militärpräsenz in den überwiegend von ihnen bewohnten Gebieten und verweigerte eine unabhängige Untersuchung von Kriegsverbrechen. Statt die Einheit zu fördern, begünstigte sie die Singhalesen und verschärfte die Spannungen zwischen ihnen, den Tamilen und den Muslimen.

Vor diesem Hintergrund entstand im Mai 2012 die BBS, die das Schreckgespenst einer permanenten Bedrohung des Buddhismus durch andere Gruppen verbreitet. Sie drängt auf die innere Reinigung und den Schutz des Buddhismus gegen äußere Bedrohungen und Feinde – Ideale, die auch der damalige Präsident Mahinda Rajapaksa und sein Bruder und Verteidigungsminister Gotabaya Rajapaksa unterstützten. Der Präsident eröffnete das buddhistische Kulturzentrum, dem auch das Gebäude gehört, in dem die BBS ihr Büro hat. Gotabaya Rajapaksa nahm an mehreren größeren BBS-Veranstaltungen teil. Die Gruppe  verkaufte Klingeltöne über das staatliche Mobilfunknetz, um sich Geld zu beschaffen. Wenn die Mönche einen Mob anführen, schauen die Polizei und das Militär einfach zu. Eine derartige Welle von Gewalt durch buddhistische Geistliche hatte das Land noch nie erlebt.

Die BBS hat mit der Zeit viele säkulare Liberale und pazifistische Buddhisten zum Schweigen gebracht. Sie benutzt ähnliche Methoden wie ihre radikalen Glaubensbrüder in Thailand und Myanmar. Alle hegen einen besonderen Zorn auf Muslime; und es gibt eine Vielzahl von Reizthemen für sie: religiöser Terrorismus, der Reichtum einiger Muslime, die geringe Zahl von Mönchen an den Universitäten, Frauen, die einen Schleier tragen, die Halal-Zertifizierung von Fleisch und sogar der Ruf zum Morgengebet. Manche Experten betrachten die wachsende Zahl gewalttätiger Buddhisten in Sri Lanka als Teil eines globalen Phänomens, einer Reaktion auf den globalen islamischen Fundamentalismus. Aber nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein.

Die Mönche in Sri Lanka spielen seit Jahrhunderten eine einflussreiche Rolle in der Politik und agieren als „Königsmacher“. Sie führten aus Sorge, dass der britische Kolonialismus und christliche Missionare die srilankische Identität im 20. Jahrhundert verwässern könnten, eine nationale Bewegung zur Wiederbelebung des Sinhala an, um seine Vorrangstellung gegenüber dem Englischen zu sichern. Damals entstand der doppelte Nationalismus, der mit der singhalesischen Sprache und der buddhistischen Religion verknüpft ist. Die beiden größten politischen Parteien in Sri Lanka sind singhalesisch dominiert und lenken die Wähler seit Jahrzehnten mit ihrer Identitätspolitik vom wirtschaftlichen Chaos ab.

Seit etwa zehn Jahren mischen sich die Mönche immer direkter in die Politik ein. 2004 kandidierten sie mit der Partei Jathika Hela Urumaya (JHU) erstmals bei einer Wahl und gewannen neun Parlamentssitze. Sie sprachen sich nie für Gewalt aus, aber sie unterstützten Präsident Mahinda Rajapaksa nachdrücklich in seinem Kampf gegen die Rebellengruppe der Tamil Tigers.

Damit verliehen sie der Behauptung der Regierung, dass es um den Schutz der Singhalesen gehe, einen religiösen Anstrich. Angeführt von Gnanasara verließen einige Mönche 2012 die JHU, um die BBS zu gründen. Sie traten offen dafür ein, dass Minderheiten sich anpassen müssten, wenn sie nicht dasselbe Schicksal wie die Tamilen erleiden wollten.

Die Politik spielt ihnen in die Hände. Seit dem Ende des Bürgerkriegs ist Sehnsucht nach der glanzvollen singhalesischen Vergangenheit neu erwacht. Mehrere staatliche Stellen sind damit befasst, dieses Erbe wiederzubeleben und zu erhalten. Kinofilme, Bücher, Spielfilme im staatlichen Fernsehkanal sowie Artikel in den staatlichen Zeitungen machen es zum Thema; Realität und Mythos werden oft vermischt. Im tamilisch dominierten Norden und im Osten, wo vor allem Muslime leben, findet sich eine große Zahl gigantischer Siegesmonumente und Militärdenkmäler, die die Geschichte des Bürgerkriegs mit Symbolen der singhalesisch-buddhistischen Könige vereinnahmen – Löwen für das singhalesische Volk, Lotusblumen für den Buddhismus.

An Orten, die Muslimen und Tamilen heilig sind, werden neue buddhistische Bauwerke und Buddha-Statuen errichtet. In Kantharodai im Norden der Insel haben die Ämter für Archäologie und Tourismus die buddhistischen Stupas aus dem neunten Jahrhundert zum Beweis dafür erklärt, dass die Singhalesen die ursprünglichen Einwohner waren. Bei den heißen Quellen von Kanniya im Osten des Landes, einem heiligen Ort der Tamilen, verkündet eine Informationstafel, die Quellen hätten zu einem buddhistischen Kloster gehört.

Bringt der neue Präsident die Wende?

Weder Ausgrabungen noch Forschungen stützen diese Behauptungen. Die srilankische Regierung interpretiert die Geschichte auf eine ihr genehme Art und sieht die friedliche Gegenwart als zweite Chance, vergangene Glanzzeiten aufleben zu lassen. Das schließt Beiträge nicht-singhalesischer Gruppen aus. Die BBS hält dem verzweifelten Wunsch der Menschen nach einem friedlichen und vereinten Land einen Zerrspiegel vor und hat ein Schreckgespenst fortgesetzter Angriffe auf die Identität der Bevölkerungsmehrheit geschaffen. Der Unterton ist unverkennbar: Die Vorrangstellung singhalesischer Buddhisten infrage zu stellen, läuft auf nationalen Verrat hinaus.

Mit der Präsidentschaftswahl im vergangenen Januar wurde Rajapaksa abgewählt. Der Sieger, der ehemalige Gesundheitsminister Maithripala Sirisena, erhielt 80 Prozent der Stimmen bei den Tamilen, bei den Muslimen war der Anteil noch höher. Unterstützt wurde er von einer breiten Koalition, die es so in dem Inselstaat noch nie gegeben hatte. Zu ihr zählten die gewaltlose, aber ultra-singhalesische JHU, die marxistische JVP, zwei muslimische Parteien und die Tamilische Nationale Allianz. Die BBS dagegen unterstützte Rajapaksa und nannte Sirisena eine „Marionette des Westens” – obwohl er singhalesischer Buddhist ist.

Sirisena zeigte sich im Wahlkampf nicht besonders freundlich gegenüber Minderheiten. Als Präsident hat er aber schon guten Willen demonstriert. Er setzte einen Tamilen als Obersten Richter des Landes ein und erkannte die tamilische Fassung der srilankischen Nationalhymne an, die unter früheren Regierungen verboten war. Sein erster Staatsgast war Papst Franziskus, der den Ton für die neue Regierung vorgab. Sri Lanka hat fast zehn Prozent Katholiken, sowohl Singhalesen als auch Tamilen, und der Papst forderte die „Wahrheitsfindung“ als „notwendiges Mittel, um Gerechtigkeit, Heilung und Einheit zu fördern“.

Autorin

Rohini Mohan

ist freie Journalistin im indischen Bangalore und Autorin des Buches „The Seasons of Trouble“ (Verso-Verlag, 2014) über Sri Lanka nach dem Bürgerkrieg.
Doch bei den entscheidenden Fragen verhält sich Sirisena zögerlich. Auf seinen Druck verschoben die Vereinten Nationen die Veröffentlichung ihres Untersuchungsberichts über die  Kriegsverbrechen während der letzten Kriegsmonate 2009; enttäuschte Tamilen protestieren seitdem. Und er hat noch nichts getan, um eingeschüchterten muslimischen und christlichen Gruppen Rechtssicherheit zu garantieren. Um seinen wichtigsten Verbündeten, die JHU, zu beschwichtigen, hat Sirisena stattdessen wiederholt versprochen, die verfassungsmäßig verbürgte Vorrangstellung des Buddhismus beizubehalten. Die BBS ist weiter mit Kundgebungen und Protestmärschen öffentlich präsent, allerdings ohne sichtbare staatliche Unterstützung.

Der lange Bürgerkrieg hat die Spaltungen in Sri Lanka vertieft und die singhalesisch-buddhistische Vormachtstellung ist heute tief verankert. Sirisena mag buddhistischer Gewalt eine vorsichtige Absage erteilen. Aber er wird es gegenwärtig wohl nicht riskieren, seine kompromisslosen buddhistischen Verbündeten durch eine minderheitenfreundliche Politik herauszufordern – vor allem auch deshalb, weil er seine Koalition für die bevorstehenden Parlamentswahlen zusammenhalten will. Sri Lanka hat jahrzehntelang unter dem Konflikt gelitten und die ethnische Einheit ist überfällig. Gunaratne, der Fahrer des Fahrradtaxis, brachte es auf den Punkt, als er von dem Hetzplakat wegfuhr: „Wenn die Leute immer wieder in den Wunden stochern, wann werden wir dann jemals geheilt werden?“

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2015: Töten für den rechten Glauben
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