Kirchentag: Heißer Empfang für Gabriel

Im Januar fand Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Deutschen in der Debatte um TTIP und CETA noch zu hysterisch. Auf dem Kirchentag stellte er sich nun den Kritikern.

Der Saal auf dem Kirchentag tobte, als die Aktivisten von Campact  dem Bundeswirtschaftsminister 400.000 Unterschriften gegen das Freihandelsabkommen CETA zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada überreichte. Stein des Anstoßes ist die Streitschlichtung zwischen Staaten und Investoren: Unternehmen aus der jeweils anderen Region sollen laut CETA vor privaten Schiedsinstanzen klagen können, wenn Gesetze oder politische Entscheidungen – etwa im Umweltschutz – ihre Investitionen im Nachhinein entwerten. Gabriel versprach eine Antwort, wenn Campact diese an alle Unterzeichner weiterleite.

Im Zentrum der Kirchentags-Veranstaltung stand das Transatlantische Handels- und Partnerschaftsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Anders als CETA ist es noch nicht fertig verhandelt. Auch hier ist die Investor-Staat-Schlichtung vorgesehen und erregt die Gemüter.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm trug weitere Einwände vor: Es sei ungeklärt, ob Entwicklungsländer und besonders Afrika von TTIP Nachteile haben; das Abkommen könne den Verbraucherschutz in der EU und die Grundsätze der sozialen (und künftig hoffentlich ökologischen) Marktwirtschaft aushöhlen, da die USA anderen Prinzipien folgten. Bedford-Strohm verlangte eine ethische Orientierung der Handelspolitik: Falls Belange der Armen mit Interessen des eigenen Landes in Widerspruch gerieten, sollten die Armen Vorrang haben. Beim gegenwärtigen Stand könne er keine Zustimmung zu TTIP empfehlen, sagte er unter großem Applaus.

Dann bewies der SPD-Vorsitzende, dass er bei Gegenwind zu großer Form aufläuft. Gabriel betonte, es sei in der Tat falsch und dumm, die Verhandlungen geheim zu führen. Die neue EU-Handelskommissarin habe das auf seinen Rat geändert, sagte er: „Die Kritik an TTIP hat uns klüger gemacht.“ Die Sorge, der Verbraucher- oder Umweltschutz in der EU werde ausgehöhlt, bezeichnete er dagegen als unbegründet: Es gehe nur darum, vergleichbare Standards gegenseitig anzuerkennen, nicht verschiedene anzugleichen.

TTIP könne den Welthandel fairer machen

Vor allem aber, so Gabriel, sei die Alternative zu Verhandlungen mit dem USA viel schlechter. Weil ein globales Abkommen mit hohen Sozial- und Umweltstandards wegen des Widerstands aus Schwellenländern nicht erreichbar sei, bedeute ein Verzicht auf TTIP: Die EU würde es den USA und asiatischen Ländern überlassen, neue Handelsregeln zu setzen. „Wer den Welthandel fairen Regeln unterwerfen will, der kann nicht Verhandlungen mit dem stärksten Player über solche Regeln ablehnen“, sagte Gabriel. Das tue er auch nicht, erwiderte Bedford-Strohm – aber Form und Zielrichtung der Verhandlungen seien strittig.

Zum Thema Schiedsgerichte äußerte Gabriel Zweifel an den Motiven der Kritiker. Deutschland habe solche Schiedsgerichte erfunden und in rund 140 Abkommen mit kleineren und ärmeren Ländern vereinbart; erst jetzt, wo es um ein Abkommen mit einem stärkeren Partner geht, entfache das einen Proteststurm. Gabriel sieht dahinter Furcht vor den Nebenwirkungen der Globalisierung. Gleichwohl sprach er sich klar gegen private Schiedsgerichte aus und verwies auf seinen Vorschlag, dass Staaten ein multilaterales Handelsgericht einrichten. Davon müsse er die meisten anderen EU-Staaten noch überzeugen; doch wenn das nicht gelinge, werde er TTIP nicht zustimmen. Auf die Frage, ob er auch CETA deshalb notfalls verhindern werde, erklärte Gabriel: „Ich kann nicht gegen 26 andere EU-Staaten ein sonst gutes Abkommen wegen der Schiedsgerichte scheitern lassen.“

Dann zog der Wirtschaftsminister weiter und bekam  den Widerspruch im zweiten Teil der Veranstaltung nicht mehr mit. Die Präsidentin  von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, wies darauf hin, dass es bei TTIP nicht nur? um Umwelt- und Sozialstandards gehe. Es gehe auch um Handelserleichterungen für Sektoren, in denen die USA und die EU sich Wettbewerbsvorteile ausrechnen: Dienstleistungen, öffentliches Beschaffungswesen und Investitionen. Füllkrug-Weitzel fürchtet, dass ein Abkommen zwischen den USA und der EU den handelspolitischen Spielraum der armen Länder noch weiter einschränkt. Wer deren Belange achten wolle, müsse sie an den Tisch holen, sagte sie.

Überzeugt oder einfach nur erschöpft?

Der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling widersprach Gabriels Erfolgsmeldung in puncto Transparenz: In den Verhandlungsstand dürfe er nur in einem geschlossenen Raum Einsicht nehmen und weder etwas aufschreiben noch darüber sprechen. „Das ist vordemokratisch“, schimpfte er. TTIP werde es eindeutig erschweren, Umwelt- oder Verbraucherschutz-Standards höher zu setzen. Bereits heute lehne die EU-Kommission neue Regeln oft mit Hinweis auf das Handelsrecht ab, sagte Häusling. Das Problem sei zwar in der Tat nicht die Zulassung einzelner Agrarprodukte wie Genmais oder Chlorhühner, doch es gehe um das Agrarsystem insgesamt: Die Verdrängung kleiner Betriebe zugunsten großer werde noch beschleunigt. Und Michael Efler vom Bündnis gegen TTIP hält Sonder-Schutzrechte für ausländische Investoren für grundsätzlich zweifelhaft und überflüssig – egal ob sie vor privaten oder, wie Gabriel möchte, öffentlichen Gerichten verhandelt würden.

Lutz Güllner von der Generaldirektion Handel der EU-Kommission hielt dagegen. Er sieht keinen Grund anzunehmen, dass TTIP Entwicklungsländern schade, denn es ändere für sie die Handelsbedingungen nicht und ihre Produkte konkurrierten kaum mit denen der EU und der USA. Wie Gabriel betonte er, Europa brauche langfristig TTIP, um nicht Asien die Regelsetzung zu überlassen. Im Übrigen folge die EU-Kommission dem Verhandlungsauftrag der EU-Mitgliedstaaten, der das Eintreten für Schiedsgerichte einschließe. Wer das nicht wolle, müsse den Auftrag ändern, der in der EU außer in Deutschland und Österreich breite Unterstützung finde.

Am Ende blieb die Skepsis: Eine große Mehrheit sprach sich für die Resolution gegen TTIP aus, die die Veranstalter vorbereitet hatten. Doch Sigmar Gabriel hatte wohl doch manche zum Zweifeln gebracht – oder sie waren erschöpft: Von rund tausend Zuhörern waren am Schluss weniger als die Hälfte übrig und damit zu wenige, um nach den Regeln des Kirchentags eine Resolution zu verabschieden.

 

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